Orhan Pamuk im Interview

„Der Maler in mir blieb immer lebendig“

15:33 Minuten
Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk vor einem bunten Hintergrund. Er lacht in die Kamera und gestikuliert mit erhobenen Händen.
Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk im Oktober 2023 in Dresden © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
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Bevor er Erfolg als Autor hatte, wollte Orhan Pamuk Maler werden. 50 Jahre später beweist der Literatur-Nobelpreisträger seine Leidenschaft fürs Zeichnen in dem Buch „Erinnerungen an ferne Berge“. Im Interview verrät er, warum er so oft Schiffe malt.
In der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden ist derzeit eine Ausstellung mit Werken von Orhan Pamuk zu sehen: „Der Trost der Dinge“ zeigt ihn als bildenden Künstler und besessenen Sammler. Und ein ungewöhnliches Buch des türkischen Schriftstellers ist im Hanser Verlag erschienen: „Erinnerungen an ferne Berge“. In diesem Buch sind Auszüge aus seinen Tagebüchern abgedruckt: etwa 180 Doppelseiten, auf denen Pamuk geschrieben, aber vor allem auch gemalt und gezeichnet hat. Als junger Mann in Istanbul hatte Pamuk den Wunsch verspürt, Maler zu werden, und mit diesen Bildern kehrt er zu seinem Jugendtraum zurück. Im Gespräch mit Frank Meyer erzählt der Literatur-Nobelpreisträger von 2006, inwiefern sein Skizzenbuch auch persönliche Gedanken offenbart und wie er über Geheimnisse im Tagebuch denkt.

... seine Liebe zu Schiffen

Ich habe das Glück, zwei Wohnungen zu haben, wo mein Arbeitstisch so am Fenster steht, dass ich aufs Meer schauen kann. In New York, wenn ich dort ein Semester an der Columbia University unterrichte, sehe ich Schiffe vom West Hudson in Richtung Westen ziehen, und in Istanbul am Goldenen Horn sehe ich, wie die Schiffe den Bosporus erreichen. In Istanbul gibt es natürlich viel mehr Schiffsverkehr als in New York. Ich liebe es einfach, auf Wasser zu schauen, und seit meiner Kindheit sehe ich gerne Schiffe.

... das Glück beim Schreiben

Es gibt Menschen, die arbeiten müssen, wenn sie depressiv sind. Ich gehöre auch zu denen. Wenn mich die Trauer überkommt, kann ich mich trösten, indem ich zeichne oder schreibe – das macht mich wieder glücklich. Und ich zeichne dann sehr gerne Schiffe! Wenn mich diese dunklen Seiten überkommen, ist es eine Medizin für mich.

... seine Qualen beim Schreiben

Natürlich möchte ich mich mit jedem Roman noch verändern, eine neue Form probieren, eine neue Struktur. Vielleicht bin ich auch zu selbstkritisch, ich setze mir selber sehr hohe Standards. Vielleicht sind diese Standards höher, als es mein Talent ist. Ich quäle mich dabei und bin leicht unzufrieden. Ich habe mir mal zum Ziel gesetzt, pro Jahr nicht mehr als 200 Seiten zu schreiben. Ich arbeite seit 50 Jahren zehn Stunden pro Tag, aber am Ende kommt weniger als eine Seite pro Tag heraus.

... den Jugendtraum, Maler zu werden

Als ich 22 Jahre alt war, beschloss ich plötzlich, Romane zu schreiben, Schriftsteller zu werden. Ich komme aus einer Familie von Ingenieuren und sollte ursprünglich Architekt werden, studierte auch Architektur. Ich dachte mir, ich werde so eine Art Le Corbusier, der Architekt war und gleichzeitig Zeichner. Aber irgendwo war in mir wohl eine Schraube locker, die dazu führte, dass ich Romane geschrieben habe. In diesem Moment dachte ich, ich hätte den Maler in mir getötet!

... die Entdeckung des Zeichnens

Ich hatte Erfolg als Schriftsteller, aber der Maler in mir blieb immer lebendig. Als ich mich 2000 in den USA befand, ging ich in einen Laden für Zeichen- und Malbedarf. Mit großer Freude kaufte ich mir sehr viele Utensilien und fing an, in meine Notizbücher zu malen, sie zu illustrieren in gewisser Weise. Das Gleiche tat ich in meinen Tagebüchern. Was Sie jetzt sehen, ist eine Auswahl aus den letzten 15 Jahren.

... Tagebücher und Geheimnisse

Als ich angefangen habe, meine Notizbücher und Tagebücher zu kolorieren und zu illustrieren, war mir schon klar, dass sie irgendwann veröffentlicht werden. Ich dachte aber, das würde vielleicht erst nach meinem Tod geschehen. Aber dann habe ich beschlossen, das einfach vorzuziehen. Früher waren ja Tagebücher streng geheim. Man weiß heute, dass Geheimnisse einen anderen Stellenwert in Tagebüchern einnehmen, wenn die Chance groß ist, dass jemand sie finden und lesen wird.

... „die Einsamkeit, Türke zu sein“

Es ist nicht leicht zu erklären, was ich damit alles meine. Auch wenn ich Europäer und sehr westlich geprägt bin, vielleicht ist das Türkischsein doch noch irgendwie etwas anderes. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich aus einem repressiven Land komme. Ich werde leider seit dem Nobelpreis permanent auf Politik angesprochen und muss mich politisch erklären. Ich bin kein Diplomat und muss mich teilweise sehr stark kontrollieren, um anders zu sein, als ich eigentlich normalerweise bin. Das führt zu einer gewissen Künstlichkeit. So fühlt man sich als Türke in Europa.

Orhan Pamuk: Erinnerungen an ferne Berge. Skizzenbuch
Hanser, München 2023
400 Seiten, 46 Euro


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