Originalton: Amos Oz

"Meine Beziehung zu Deutschland ist nicht einfach"

Der israelische Schriftsteller Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren.
Der israelische Schriftsteller Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren. © Marc Tirl / dpa
Von Amos Oz |
An den kommenden Tagen sind in der "Lesart" täglich ein israelischer Autor oder eine israelische Autorin zu hören, die aus ihrem persönlichen Blickwinkel über Deutschland sprechen. Die Reihe "Through my eyes" eröffnet Amos Oz, der heute Geburtstag hat.
In meinen Jugendjahren hatte ich mir angewöhnt, alles Deutsche zu boykottieren. Deutsche Produkte, deutsche Waren. Ich folgte damit der Haltung meiner Eltern.
Das Einzige, was ich nicht boykottieren konnte, war die Literatur. Wenn man Literatur boykottiert, gehört man zu den Bösen. Und sobald die deutsche Nachkriegsliteratur ins Hebräische übersetzt wurde – mehr oder weniger in den 60er-Jahren – stürzte ich mich voller Neugier darauf.
Es fiel mir immer schwerer, dieses Deutschland zu hassen. Wenn man einen guten Roman liest, schlüpft man in die Pantoffeln und manchmal sogar in die Haut der Figuren. Man fragt sich: Was würde ich tun? Wie hätte ich mich als Nazi-Gegner verhalten? Wie würde ich empfinden, wenn die Eltern dieses Autors meine Eltern gewesen wären? Solche Fragen trieben mich um. Das hat mein Leben nicht einfacher gemacht. Es war schmerzhaft. Aber es wurde mir unmöglich, Deutschland so zu hassen, wie ich es als Kind ja getan hatte.
Meine Beziehung zu Deutschland ist nicht einfach. Bis heute. Es ist anders als mit Australien oder Uruguay. Und wird es auch immer bleiben. Inzwischen war ich bestimmt zwanzig Mal oder öfter in Deutschland. Tagsüber funktioniere ich gut. Ich rede, halte Vorträge, reiße Witze, genieße das Essen und die Leute um mich herum. Aber nachts, jedes mal wieder, kann ich nicht einschlafen. Das ist nur so in Deutschland und Österreich. Selbst jetzt noch.
Übersetzt von Carsten Hueck

Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren und verbrachte dort seine Kindheit. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Von 1960 bis 1963 studierte er Literatur und Philosophie an der Hebräischen Universität von Jerusalem und kehrte nach seinem Bachelor-Abschluss in den Kibbuz zurück. Seit dem 6-Tage-Krieg ist er in der israelischen Friedensbewegung aktiv und befürwortet eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Er ist Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now). Seit 1987 lehrt er Hebräische Literatur an der Ben-Gurion Universität von Negev, Beesheba. Die Werke von Amos Oz wurden in 37 Sprachen übersetzt. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten und ist die Galionsfigur der hebräischen Gegenwartsliteratur. In diesem Frühjahr erschien sein Roman "Judas" auf Deutsch, für dessen Übersetzung Mirjam Pressler den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt.

ie Schriftstellerin Mirjam Pressler wird am 12.03.2015 auf der Buchmesse in Leipzig für ihre Übersetzung von Amos Oz (r) "Judas" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2015 ausgezeichnet.
Die Schriftstellerin Mirjam Pressler wird am 12.03.2015 auf der Buchmesse in Leipzig für ihre Übersetzung von Amos Oz (r) "Judas" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2015 ausgezeichnet.© dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt
Der Text im Original:
Well, in my teen-years, I was in the habit of boycotting everything German: German products, German merchandise. It was a family decision; and I followed my parents in this decision. The only thing which I couldn't boycott was the literature; because if you boycott literature, you are like the bad ones. So I read the post-war German literature as soon as it begins to be translated into Hebrew which happened in the nineteen sixties more or less. And I read it with huge curiosity and with huge excitement.
It became harder and harder for me to just hate Germany period. When you read a good novel, you put yourself in the shoes and sometimes even under the skins of the protagonists. You ask yourself: What would I do, if I were in the opposition? How would I behave? How would I feel if the parents of this writer would have been my parents? So, those questions bugged me. They didn't make my life easy, not at all. They were difficult and painful questions. But it became impossible for me to just hate Germany period, which is what I did as a child.
My relationship with Germany is not simple - even today. It's not the same as my relationship with Australia or Uruguay; and it will never be. I have been to Germany maybe twenty times, maybe more. And always, when I am in Germany, I function very well during the day. I talk to people. I lecture. I get interviews. I crake jokes. I enjoy the food and the company. But at night, always, I have troubles getting sleep. This is the case in Germany, and this is the case in Austria and nowhere else - even after twenty visits or more.

Weitere Autoren der Originalton-Reihe "Through my eyes":

Dienstag, 5. Mai: Yiftach Ashkenazy 
Mittwoch, 6. Mai: Sara Blau 
Donnerstag, 7. Mai: Chaim Beer 
Freitag, 8. Mai: Liat Elkayam
Samstag, 9. Mai: Amichai Shalev
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