Mit 13 habe ich den Anfang der neuen Zeit verschlafen, so stelle ich es mir vor, eine Art Dösen in meinem Kopf, in der Wahrnehmung, denn wie ist es sonst zu erklären, dass ich keine Erinnerung an den Mauerfall habe? Da sind andere, die haben die ersten Jahre ihres Studiums verschlafen oder bestimmte Entscheidungen oder den Anfang vom Ende einer Beziehung. Es gibt Anfänge, die machen sich überhaupt erst im Rückblick bemerkbar.

Im Rückblick finde ich an einem Wochenende bei meinen Eltern, das sich weder datieren noch konkret erinnern lässt, einen schwarz-weißen Fotoband aus den 60er-Jahren. Wochen später schreibe ich nachts die ersten Seiten eines Romans, dessen Ausgangspunkt jener Fotoband ist, und probe tagsüber in den Berliner Sophiensaelen. Es ist Juni und es ist heiß. Im Rückblick beginnt in dieser Zeit eine mir wichtige Freundschaft. Im Rückblick beende ich Jahre später mit dieser Freundin ein gemeinsames Filmprojekt, in dem wir unter anderem über die Abschaffung der Ehe nachdenken, und weiß noch nicht, dass ich schwanger bin.

Wenn man regelmäßig Tagebuch schreiben würde, könnte man solche Anfänge jederzeit nachlesen. Das erste Mal versuche ich mich 1990, mit 13 bzw. 14 Jahren, an so einem Tagebuch. In jenem Jahr komme ich auf insgesamt elf Einträge und drei Gedichte. In allen drei Gedichten stürmt es, sowohl am Meer wie auch im Herzen. In den Einträgen ist einmal kurz vom Westen die Rede, an den man sich erst noch gewöhnen muss. Auf dem Einband des Tagebuchs hockt ein Eichhörnchen, zwischen den Seiten liegen lose Pausblätter mit Lolek und Bolek sowie Spejbel und Hurvinek drauf. Außerdem ein GIRL-Fragebogen zum Thema: Liebe und Sex. Frage 39: Wem würdest Du von einer Schwangerschaft zuerst erzählen? Ich habe damals die beste Freundin angekreuzt. Frage 44: Wer hat Dich aufgeklärt? Natürlich die Bücher. Frage 60: Willst Du später einmal heiraten und Kinder haben? Die Antwort: Heiraten möchte ich schon, aber ob ich Kinder will, weiß ich nicht.