Originalton

Auf den Stufen der Kirche

Aufnahme vom 17.01.2012. Die in Berlin lebende Autorin Marianna Salzmann ist die Trägerin des Kleist-Förderpreises 2012 für junge Dramatiker. Ausgezeichnet wird das Stück "Muttermale Fenster blau", wie die Messe und Veranstaltungs GmbH Frankfurt (Oder) am Dienstag in der Geburtsstadt Heinrich von Kleists bekannt gab. Mit der Ehrung ist auch die Uraufführung des Theaterstückes am 20. Mai auf den Ruhrfestspielen Recklinghausen verbunden. Der Kleist-Förderpreis ist mit 7500 Euro dotiert.
"Ich habe manchmal so Fantasien, dass ich mit einer Bombe um den Bauch dieses Kibbuz finde, wo du dich hinverschanzt hast, und uns beide in den Himmel bringe", so die Ich-Erzählerin. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Marianna Salzmann |
Die Dramatikerin Marianna Salzmann liefert in dieser Woche die "Originaltöne" unter dem Titel "Coming out". Im dritten Teil schreibt sie über ihre Wut, die sie auf den Stufen einer Kirche empfand - und ihren Versuch, anderen zu helfen.
Ich saß auf den Stufen dieser Kirche gegenüber meinem Haus. Ich habe eine Synagoge gesucht, gebe ich zu, nur um dir schreiben zu können, dass ich dort war und mich schrecklich benutzt gefühlt habe oder so was, aber ich habe keine gefunden und bin einfach zu der griechisch-orthodoxen Kirche bei mir gegenüber zurückgekehrt.
Ich war so wütend, ich schwappte so über vor Wut, dass du uns wegen dieser Scheiße verlassen hast, also gegangen bist, also nie da warst, also was war jetzt der gottverdammte Punkt für dein Gehen, also ich saß da und wurde nass vom Regen, ich und mein Bier. Ich habe mir gewünscht, dass etwas Schreckliches passiert, das ich dir erzählen könnte. Oder ein Vogel würde mir auf den Kopf kacken, ich weiß nicht, das heißt doch bestimmt in irgendeiner Religion, dass man gesegnet ist, der würde ich dann sofort beitreten.
Und weil nichts geschah und mir echt verdammt langweilig war, und ich HASSE es, wenn mir langweilig ist, schrie ich WARUM BIST DU GEGANGEN, DU BLÖDER ARSCH, WEGEN DIESEM QUATSCH HIER?!
Ich habe manchmal so Fantasien, dass ich mit einer Bombe um den Bauch dieses Kibbuz finde, wo du dich hinverschanzt hast, und uns beide in den Himmel bringe, dort können wir uns dann bis ans Ende aller Zeiten beglückwünschen für unseren Einsatz für den Weltfrieden. Manchmal wünsche ich mir einfach eine Bombe im Auto und keine Bremsspuren im Kopf.
Ich ging rein in diese griechisch-orthodoxe Kirche. Ich wollte jemanden finden, der mir sagt, wie ich helfen kann. Wie ich was machen kann. Habe nach einem Priester oder Pfarrer gesucht oder ihre Jungen da, ich habe keine Ahnung, wie die alle heißen, habe dann einen gefunden und gefragt, ob ich was machen kann. Etwas Sinnvolles machen in meinem Leben. Außer beten. Beten meine ich nicht. Er schaute mich an und drehte sich um und ging weg. Ich lief ihm hinterher. Ich würde gern was tun für die Welt, haben Sie eine Verwendung für mich?
Er bat mich zu gehen, ich ließ nicht locker, er wurde lauter, ich trat gegen eine Bank und jedenfalls haben die mich dann irgendwann zu zweit hochgehoben und rausgeschleift aus der Kirche, und aus meiner Bierdose hat es rausgetropft, als würde ich auf dem Weg raus den Gang vollpissen.
Anscheinend bin ich nicht gemacht für große Taten. Leuten helfen. Das hast du für uns beide gepachtet.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche kommen die Texte von der Dramatikerin Marianna Salzmann. Sie wurde 1985 in der ehemaligen Sowjetunion geboren, mit zehn Jahren kam sie nach Deutschland. Schon während ihres Studiums in Hildesheim und Berlin hat sich Marianna Salzmann auf das Theater spezialisiert. 2009 hatte ihr erstes Stück Premiere, es folgten viele weitere, auch preisgekrönte Arbeiten. Zur Zeit lebt Marianna Salzmann in Berlin, leitet als Haus-Autorin am Maxim-Gorki-Theater die Studiobühne.

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