Originalton

Hand und Fuß, Folge 1: Höhlenhände

Sie beherbergt auf ihrer Wandfläche von rund 7X5 Metern hunderte von bestens erhaltenen Felszeichnungen, die als Motive zahlreiche Menschen, Jäger und Schwimmer und ebenso Wildtiere wie Giraffen, Gazellen und Strauße, aber keine domestizierten Tiere zeigen.
Hunderte bestens erhaltene Felszeichnungen: Die Wände der Foggini-Mestekawy-Höhle erzählen viel. © picture alliance / dpa / Matthias Tödt
Von Patricia Görg |
Der Mensch hat wohl schon immer gerne Selfies gemacht, so zumindest könnte man die Handabdrücke in urzeitlichen Höhlen interpretieren. Was wirklich dahinter steckt, bleibt allerdings bis heute ein Rätsel.
Wie alles begann? Mit Bildern in Höhlen. Vor 30.000 bis 40.000 Jahren hielten Menschen ihre Hände an Felswände, pusteten durch ein hohles Rohr Ocker- oder Holzkohlenstaub darauf und schufen so die ersten Handnegative: geheimnisvolle, helle, mit Farbe umrandete Abdrücke an den dunkelsten Orten der Erde. In manchen Steinzeithöhlen gibt es hunderte von ihnen.
Selbstverständlich schlingern Archäologen und Anthropologen wie wüste Spekulanten von Hypothese zu Hypothese, wenn es um Sinn und Zweck dieser Zeichen geht. Sie könnten religiös sein, sie könnten kultisch sein, sie könnten die menschliche Kunstproduktion einleiten oder einfach erste Selfies darstellen, à la "Ich war hier".
In wilder, magischer Präsenz
Die Grotten schweigen, einige von ihnen mit rot umrandeten Händen und lakonischen Farbflecken übersät, als hätten sie Scharlach. In den meisten von ihnen lebt ja zusätzlich das Pandämonium der alten Tiere: Mammuts, Bisons, Pferde, Löwen und Bären sind auf die Wände gemalt in wilder, magischer Präsenz. Weil dies so ist, und weil man sich angewöhnt hat, die Gegenwart der Tiere als Jagdszenen zu interpretieren, gingen die Forscher bislang davon aus, dass es männliche Handnegative sind, die als Signaturen und Wächter der Werke in den Höhlen wesen. Einer der Anthropologen stutzte jedoch: Die Proportionen der Hände verrieten ihm, es mit den Abzeichen von Frauen zu tun zu haben. Man kann die Geschlechter relativ eindeutig dadurch unterscheiden, dass bei Männern der Ringfinger länger als der Zeigefinger ist, wohingegen es bei Frauen umgekehrt ist oder beide Finger gleich lang sind. Noch niemand war auf die Idee gekommen, dies zu prüfen.
Der neue Befund lautet: 75 Prozent der steinzeitlichen Handnegative stammen von Frauen.
Ein Monstrositätenkabinett?
Damit haben sich die Geheimnisse natürlich nur verschoben: Pusteten die Frauen Farbe auf ihre Hände auf den Felsen aus kultischen, religiösen, künstlerischen oder Selbstdarstellungsgründen? Sie spreizten die Finger, hinterließen einen Abdruck ihrer Gegenwart, der magisch die Zeiten vom Aufbruch des Menschen bis heute kurzschließt, denn kein Touchpad hat etwas an der Anatomie des Körpers verändert, mit dem wir uns in der Welt festhalten und verewigen wollen. Die sehr alten Hände sehen also aus wie unsere, bleiben aber trotzdem in der immer gleichen Entfernung eines Rätsels.
Noch undurchschaubarer ist die Höhle von Gargas in den französischen Pyrenäen: Von 154 Handabdrücken, die man in ihr gezählt hat, stammen 144 von verstümmelten Händen – also solchen, die nicht mehr preisgeben, ob sie Männern, Frauen oder Kindern gehörten.
Ein Tatort? Ein Monstrositätenkabinett? Eine Mutation? Ein Unfall, der hier aktenkundig gemacht wurde?
Was bleibt, sind wüste, schweigsame Spekulationen.

Patricia Görg studierte Theaterwissenschaft, Soziologie und Psychologie in Berlin, wo sie heute als freie Schriftstellerin lebt. Neben Romanen verfasst sie Erzählungen, Essays und Hörspiele.
Ihr "Handbuch der Erfolglosen" (2012) wurde von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats gewählt. Im vergangenen Jahr erschien ihr Buch "Glas.Eine Kunst" in der Anderen Bibliothek. Ihr täglicher Originalton in dieser Woche kreist um das Thema "Hand und Fuss" - und fördert erstaunliche Erkenntnisse zutage.