Patricia Görg studierte Theaterwissenschaft, Soziologie und Psychologie in Berlin, wo sie heute als freie Schriftstellerin lebt. Neben Romanen verfasst sie Erzählungen, Essays und Hörspiele.
Ihr "Handbuch der Erfolglosen" (2012) wurde von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats gewählt. Im vergangenen Jahr erschien ihr Buch "Glas.Eine Kunst" in der Anderen Bibliothek. Ihr täglicher Originalton in dieser Woche kreist um das Thema "Hand und Fuss" - und fördert erstaunliche Erkenntnisse zutage.
Hand und Fuß, Folge 2: Die schwarze Hand
Bücher digitalisieren sich nicht von selbst, sie werden von Menschen unter Scanner geschoben. Und manchmal wird dann eben die Hand mitgescannt. Eine schwarze Hand. Was wir daraus lernen.
Was, wenn Sie ein eingescanntes Buch lesen wollen, die Seite, die Sie interessiert, aber von einer versehentlich mit-eingescannten Hand verdeckt wird? So geschehen bei Google Books, einem Service, der bekanntlich unzählige Buchseiten digitalisiert und dadurch allgemein zugänglich macht.
In diesem Fall jedoch hat sich die Materie zurückgemeldet im Reich des virtuellen Zugriffs. Sie ist aus Fleisch und Blut, hat schwarze Haut und trägt auf dem Zeigefinger einen rosa Gummiüberzug, um besser umblättern zu können. Wir lernen daraus: Bücher digitalisieren sich nicht von selbst, sondern werden in Nachtschichten von Latinos und Afroamerikanern umgeblättert und unter Scanner geschoben.
Ein Fall für den Google-Sicherheitsdienst
Diese Lesart legt das lakonische filmische Resumée "Workers leaving the Googleplex" des Dokumentarfilmers Andrew Norman Wilson nahe. Er war auf dem Firmengelände von Google im Silicon Valley beschäftigt und sah dort von seinem Büro aus, wie aus einem abseitig gelegenen Gebäude zu einer bestimmten Uhrzeit stets größtenteils farbige Mitarbeiter strömten und nach Hause fuhren, die mit den anderen Arbeitern keinerlei Kontakt hatten. Als er sich ihnen näherte, um sie nach ihren Aufgaben zu fragen, wichen sie ihm aus, weil sie nicht mit ihm sprechen durften. Stattdessen war Wilson durch diese Annäherung verhaltensauffällig und somit sicherheitsrelevant geworden: Ein Fall für den Google-Sicherheitsdienst.
Es zeugt von Witz, wie Wilson auf der Tonspur unter seinen heimlich gefilmten Bildern vom Werksgelände das Protokoll seiner peinlichen Befragung und der anschließenden Entlassung erzählt. Er erzählt auch, dass bunte Abzeichen die Google-Belegschaft in Klassen unterschiedlicher Privilegien unterteilen – die so genannten ScanOps, Scan Operators, mit denen er zu sprechen versucht hatte, haben seinen Aussagen nach keinerlei Zugang zu den Vergünstigungen, die anderen Mitarbeitergruppen zustehen.
Fingerzeige auf digitalisierten Kulturgütern
Die Hand einer dieser schwarzen Google-Arbeiterinnen ist also vor einer Buchseite ins Bild geraten, als gespenstisch-plastisches Fragment des Lebens, das den Text verdeckt. Es sieht aus, als wollte sie uns die Augen öffnen, indem sie die Informationen verdeckt, und natürlich fallen einem dazu Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" ein, z.B. "Wer baute das siebentorige Theben?"
Gar nicht mal so selten gelangen solche Fingerzeige auf die digitalisierten Kulturgüter.
Ein Professor moniert, er habe Goethe und Schillers Briefwechsel deswegen nicht zur Gänze studieren können. Ein Grafiker entdeckt seine erste Hand auf einer Dezimal-Klassifikation, beginnt diese Fehler sofort zu sammeln, macht einen eigenen Bildband daraus.
Wir finden in ihm eine Geschichte von Arbeitsbedingungen und vom Vervielfältigen, und zwar Schwarz auf Weiß.