Die Dramatikerin Marianna Salzmann wurde 1985 in der ehemaligen Sowjetunion geboren, mit zehn Jahren kam sie nach Deutschland. Schon während ihres Studiums in Hildesheim und Berlin hat sich Marianna Salzmann auf das Theater spezialisiert. 2009 hatte ihr erstes Stück Premiere, es folgten viele weitere, auch preisgekrönte Arbeiten. Zur Zeit lebt Marianna Salzmann in Berlin, leitet als Haus-Autorin am Maxim-Gorki-Theater die Studiobühne. – Ihre Original-Töne stehen unter der Überschrift "Coming Out". Es sind Telefonate ohne direkten Adressaten, sie landen auf dem Anrufbeantworter.
Mädchenhände
Die Dramatikerin Marianna Salzmann liefert in dieser Woche die "Originaltöne", die sie "Coming out" betitelt hat. Den Beginn macht eine erotische Geschichte: ein Besuch in der "Kontakt Bar", in der die Realität verschwimmt.
Ich gehe an einem Etablissement vorbei: Barbecue, Drinks, Girls. Von rechts ragt das bescheidene Schild Kontakt Bar und über den roten Lichtern lächelt eine blonde Frau mit sehr gezupften Augenbrauen. Mir wird für kurz sehr warm.
Ich laufe mehrmals um das Haus herum. Obwohl mich die EC Card, Visa Card, American-Express-Aufkleber an den verdunkelten Türen anekeln, diese vielfältigen Möglichkeiten des Kontakteknüpfens, drehe ich meine Runden. Ein Hund, der den Eingang sucht. Atmet schwer durch den Mund mit Zunge raus.
Die Vorstellung, an einer lamettabehängten Bar zu sitzen. Frauen beim Tanzen, Flirten zu beobachten, wie sie mich zufällig streifen und dann direkt zur Sache gehen, erregt mich. Mädchenhände, die unter meiner Kleidung nach meinen Schwachstellen suchen, während wir noch an der Bar, also inmitten aller sind.
EC Card, Visa Card, American Express.
Ich sitze an der Bar, sehe mich vervielfältigt in bunten Spirituosenflaschen. die Spiegelung meines Gesichts ist verzerrt, ich mag es, was ich da sehe. Ich kenne diesen Umriss nicht, aber er gefällt mir.
Man kann mich nicht zuordnen. Einige Männer, aber vor allem Frauen sind durch die Tatsache meiner Anwesenheit verwirrt. Ich bin nicht willkommen. Ich bin nicht zahlungsfähig. Sieht man mir das an?
Eine Frau kommt auf mich zu. Sie küsst mich. Ich habe das Gefühl, meine Lippe blutet. Sie sagt, sie will was trinken und stellt ihr Bein zwischen meine beiden. Sie greift sich in den Nacken und zieht sich selbst an den Haaren nach hinten, so dass ihre Brüste vor meinem Gesicht stehen und lachen. Ich greife nach ihrer Hand, die sich selbst am Schopfe zieht, ziehe tiefer, vergrabe mich in ihr, als würde ich in sie rein können, reinschmelzen, als hätte ich Eintritt in die Welt, in der man nicht friert.
In den Händen halte ich nichts. Ich hebe den Kopf – da ist die Frau, von weitem sehe ich sie, sehe ihre Umrisse erleuchtet von einer Discokugel auf mich zusteuern. Aber sie kommt nicht an. Sie bewegt sich fast auf der Stelle, geht rückwärts oder gehe ich weg, fliege ich raus. Als würde ich an ihrer Vorstellung abprallen.
Ich strecke die Hand nach ihr aus und pralle ab mit einer Wucht in den Ohren, als fahre ich gegen eine Wand, werde ich befördert in mein frierendes Ich auf der Straße mit nassen Füßen und einem kaputten Regenschirm.
Mir ist für kurz sehr kalt. Ich suche nach einem Stein, er ist zu klein, aber ich nehme ihn, in diesen Straßen wird es keine größeren geben, und schleudere ihn so hart ich kann gegen die Tür. Er prallt ab. Nichts ist zerbrochen. Da ist ein kleiner Kratzer an der Tür und mein Umriss darin. Und ich bin unversehrt. Wir alle unversehrt. Und wir schauen uns an, das Haus und ich. Wir starren uns an. Wer zuerst zwinkert.