Sarah Blau, geboren 1973, wuchs in einer orthodoxen religiösen Familie in Bnei Brak auf. Ihre Großeltern mütterlicherseits waren im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert, ihr Großvater väterlicherseits wurde im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Sie ist Schriftstellerin und veröffentlichte Romane und Theaterstücke. Ein wichtiger Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Rekonstruktion von jüdischen Symbolen. Sie begründete die Alternativen Holocaust-Zeremonien in Israel und arbeitete als Lehrerin am Institut für Holocaust-Studien.
Erschreckend normalisierte Beziehung
In der Rubrik "Originalton" geben in dieser Woche israelische Autorinnen und Autoren ihre persönliche Sicht auf Deutschland zum Besten. So wundert sich Sara Blau, dass bei ihrem Besuch in Deutschland alles so normal ist. Und findet das gar nicht so schlecht.
In meiner Kindheit war Deutschland immer präsent. Meine Großeltern sind Holocaust-Überlebende. Mein Vater besuchte Deutschland nie. Als er hörte, dass ich dorthin reise, war er unglücklich.
Ich erinnere mich, wie ich aus dem Flugzeug stieg: Ein Schock. Ich war also in Berlin. Ich fuhr zu meinem hübschen Hotel. Ging über Straßen und Plätze – nichts passierte. Ich war einfach nur da.
Was ich bemerkte: ich war ich in einer sehr, sehr netten europäischen Großstadt. Und die Geschichte machte sich nicht bemerkbar. Ich musste mich vergewissern, denn ich drohte panisch zu werden: Wo ist sie denn nun? Was passiert hier mit mir? Wie kann Berlin eine nette Stadt für mich sein? Wie ist das möglich? Aber es blieb dabei. Drei, vier Tage lang.
Bei meiner Lesung sagte der Moderator gleich als erstes: Ok, Sara, du hast dich beruflich jahrelang mit dem Holocaust beschäftigt, was denkst du also über Berlin? Er erwartete eine Lektion von mir über Geschichte, die lebendig wird und so weiter. Ich wollte ehrlich sein und antwortete: Berlin ist schön. Danach herrschte Stille, das Publikum schien geschockt. Der Moderator war enttäuscht. Schön?, fragte er. Ich sagte, ja, sehr schön.
Ich muss zugeben, es ist für mich noch immer nicht leicht, das zuzugeben. Ich zog in Erwägung, dass ich mir etwas vormache, dass es tief in mir Gefühle gäbe, die eines Tages hervorbrächen. Aber so war es nicht. Nichts passierte. Vielleicht ist das gesund. Vielleicht soll es so sein. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Verräter. Aber es ist die Wahrheit, Berlin war und ist eine schöne Stadt. Ein Schock, nicht?
Die spezielle Beziehung zwischen Deutschland und Israel wird in der Zukunft nicht mehr so speziell sein. Das Besondere daran geht zu Ende. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Ich kann es nicht genau erklären. Vielleicht liegt es daran, dass die Jüngeren dieser Pflicht müde geworden sind. Ich finde, das ist gar nicht so schlecht.
Übersetzt von Carsten Hueck
Der Text im Original:
Well, I grew up in a home that Germany was all over, I mean, my grandparents were Holocaust survivors. My father ... he was never in Germany. When he heard, I want to go to Germany, he wasn't very happy. And when I stepped from the plane, I remember: Something shocking happened. I mean, I was in Berlin. I arrived to that nice hotel. I walked in the streets, in all the places ... nothing occurred. I mean, I am just there. As far as I am concerned, it was a very, very nice European city. And the history wasn't there. And I started to check myself.
In the beginning, I was a little bit in a panic. I said: Where is it? I mean, what happened? How come Berlin is just a nice city for me? How come, how could it be? And it didn't change.
I was there for three, four days. And I was in the reading, in front of an audience. And the first question of the interviewer was: Okay, Sara, we know that you worked many years in a Holocaust-Institution. What do you think about Berlin? And he was expecting me now to start talking, giving him a lecture about the history coming alive. And I wanted to be honest. I said: Well, Berlin is a very nice city. And there was a very, very big quiet. I mean, the audience was, I think, a little bit shocked. The interviewer was disappointed. I felt his disappointment. He said: What? Nice? - I said: Yes. Berlin is a very nice city.
Still I have to tell you that it is not convenient for me to tell you that. I said to myself: I don't know, maybe I'm lying to myself. Maybe there are some feelings that are, you know, very, very, very deep inside - that one day will, you know, will wake up and become alive. I don't know. But it didn't happen.
I don't know. Maybe it is healthy. Maybe it is a real thing. I don't know. A little bit, I have to tell you that I felt like a little traitor that I betrayed, I don't know, thing they had do to feel didn't happened. But this is the truth. Berlin was and is a nice city. Shocking?
The special relationship in the future is not going to be so special. It is now, I think, the end of the specialness. I don't know, I don't think it's good or bad. It is just something that I can not explain you exactly why. But I think, it is maybe the obligation, maybe the youngers are a little bit tired, maybe. And that is what I think. I am not sure, it is bad, you know.
Weitere Autoren der Originalton-Reihe "Through my eyes":
Montag, 4. Mai: Amos Oz
Dienstag, 5. Mai: Yiftach Ashkenazy
Donnerstag, 7. Mai: Chaim Beer
Freitag, 8. Mai: Liat Elkayam
Samstag, 9. Mai: Amichai Shalev