Akrobaten des Gesangs
05:36 Minuten
Seit mehr als 50 Jahren dokumentiert der französische Ornithologe Jean Claude Roché das Singen der Vögel. Eine seiner Aufnahmen aus dem Jahr 1973 belegt die besondere Musikalität der Vogelwelt in Venezuela. Jetzt wurde die Platte neu veröffentlicht.
Was wollen Vögel eigentlich mitteilen, wenn sie singen? Wenn nicht gerade Alltagskommunikation anliegt, wie etwa das Warnen vor Eindringlingen, machen die Tiere das tatsächlich oft aus Freude am Musizieren.
Der englische Musiker und Autor David Toop schrieb den Covertext für die Neuveröffentlichung des Albums. Er beschäftigt sich schon lange mit ganz unterschiedlichen Formen von Musik.
1970 machte er beim Hören einer Platte mit Tieraufnahmen aus der Serengeti eine Entdeckung.
"Viele Klänge kamen mir wie eine Art Musik vor. Boo boo shrikes zum Beispiel veranstalten mit zwei Vögeln eine Art Duett. Manchmal ist ihr Gesang synchron, aber läuft dann auseinander. Mich erinnerte das an Improvisationen, die ich zu der Zeit hörte - und auch an Steve Reich. Es eröffnete mir eine neue Art des Hörens."
Vogelgesang inspirierte Menschen
Toop arbeitete Anfang der Siebzigerjahre auch für die BBC und hatte Zugang zum umfangreichen Archiv des Senders. Dort fand er Aufnahmen aus Afrika, Asien und Südamerika mit musikalischen Imitationen von Vogelgesängen.
"Ich fand heraus, dass Menschen, die nah bei solchen Klängen lebten, eine reiche Mythologie haben, die mit den Sounds verbunden ist. Es gibt dort auch eine größere Nähe zwischen der Idee einer menschlichen Kultur und einer nicht-menschlichen Kultur. Man hat die Vorstellung, dass Vogelgesang eine Art Botschaft sein könnte. Und ein Aspekt des Musikmachens in diesen Kulturen ist der Versuch, mit einer anderen Spezies zu kommunizieren."
Im Westen ließen sich unter anderem Musiker vom Gesang der Vögel inspirieren.
Olivier Messiaen adaptierte ihn in den Fünfzigerjahren fürs Klavier, Richard Maxfield etwas später bei einer elektronischen Komposition – und ganz aktuell: Björk, die auf ihrem letzten Album Aufnahmen von Jean Claude Roché als Hintergrund benutzt hat.
Für David Toop war Rochés Umgang mit aufgenommenem Material eine Offenbarung.
Wie bei einem Konzert
"Als ich anfing, solche Platten zu sammeln, war es frustrierend, dass es oft eine Erzählstimme gab, und man die Aufnahmen nicht als Musik hören konnte. Roché hingegen hat eine ganze Seite nur mit Sounds arrangiert. Das hatte einen richtigen Fluss, wie bei einem Konzert."
Mitte der Siebzigerjahre wurden Arrangements von Roché in einem Park in Lyon aufgeführt. Bei Einbruch der Dunkelheit konnte man dort im Sommer die Gesänge von Vögeln aus Lautsprechern in den Bäumen hören.
Manche Tiere klingen wie aus der Special-Effects-Abteilung beim Film, etwa der Potoo - zu deutsch: Tagschläfer.
Die unheimlichen Laute des Potoo stammen aus einem Arrangement mit Aufnahmen, die Roché am Fuß der Anden gemacht hat.
Es ist einer von fünf Landstrichen, anhand derer der Ornithologe die Vogelwelt Venezuelas der Welt zugänglich gemacht hat.