Ort der Grenzerfahrung

Von Jürgen König |
Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat jetzt eine neue Dauerausstellung im "Tränenpalast" in Berlin eröffnet. Mit der Schau "GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung" soll die Geschichte der deutschen Teilung erzählt werden.
Aus dem alten "Tränenpalast" im Jahr 2011 noch einen Erinnerungsort zu machen, ist wahrlich nicht leicht. In der Abrisswut der frühen 90er-Jahre wurde bis auf einzelne Schilder die gesamte Inneneinrichtung entfernt; von den engen Kabinen, in denen schikanöse Befragungen, Kontrollen, Leibesvisitationen zu überstehen waren, blieb nichts übrig; auch die düsteren Gänge auf den labyrinthartigen Wegen zu den Bahnsteigen der S- und U-Bahn wurden vollständig entkernt, nicht einmal Pläne und Skizzen der Bahn existieren noch.

Dem beherzten Engagement eines Bürgers ist es zu danken, dass wenigstens eine der drei Personenschleusen für die Passkontrolle erhalten blieb; und man muss sehr genau hinsehen, um sie neben den beiden nachgebauten Attrappen zu erkennen. Steht man aber in dieser Schleuse, vor sich auf Brusthöhe der Tisch, auf den man den Pass zu legen hatte, hinter sich im Nacken oben an der Wand eine Spiegelleiste, damit der Kontrolleur den Grenzübertreter auch von hinten sehen konnte – steht man dort und sieht vor sich Visa-Anträge, ein altes DDR-Telefon, auf einem Bügel eine Uniform der Grenztruppen der DDR: Dann stellt sich dem, der früher diese Grenze oft passierte, das alte Empfinden von Unruhe, Bedrückung, Angst sofort wieder ein. Dies ist der wahre, auch der einzige Erinnerungsort im neuen alten "Tränenpalast". Kulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Eröffnung:

"Jeder, der hier mal durchgegangen ist ... wenn ich Ost-Berlin besuchte mit einem Tagesvisum ... dann fällt mir ein: eine herrische Arroganz, eine Demütigung – ich glaube, es gibt keinen Ort des Übergangs, der, wenn man die Breite der Unterdrückungsmechanismen der DDR sieht, so lebhaft, so anschaulich und auch so einprägsam war."

Vom Gebäude selber blieben nur der Fußboden, das Dach und die Wände mit den hohen Fenstern übrig: Jener lichte Pavillon also, elf Monate nach dem nach einem Entwurf des Architekten Horst Lüderitz als Grenzübergangsstelle eröffnet. Das Gebäude wurde behutsam saniert, aber eben - und was sollte man auch sonst machen? – nach den Kriterien und Anforderungen moderner Ausstellungsgebäude, die mit großem Publikumsandrang rechnen können.

Gezeigt werden einzelne Originalschilder wie "Einreise Bürger der BRD" oder "Weiße Kontrolllinie nicht vor Aufforderung überschreiten!", außerdem Texttafeln neben persönlichen Gegenständen: Koffer, Kleidungsstücke, Puppen, Briefe, die jene "Grenzerfahrungen" vom "Alltag der deutschen Teilung" illustrieren, die der Ausstellungstitel andeutet. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erzählte ihre Geschichte vom "Tränenpalast":

"Ich persönlich war hier oft mit meinen Eltern, und wir haben meine Großmutter Jahr für Jahr verabschiedet, die dann auch immer älter wurde, und man Angst hatte: Siehst Du sie wieder?

Und das war schon sehr, sehr traurig. Die Atmosphäre, die sich dann anschloss, dass man dann auf dem Bahnhof Friedrichstraße musste – die hab ich auch noch sehr gut, im Wesentlichen aus der Ostsicht in Erinnerung, weil ich damals in der Marienstraße wohnte, jeden Morgen vom S-Bahnhof Friedrichstraße nach Adlershof fuhr, im Grunde immer an der Grenze lang ... man war dann auf dem Ost-S-Bahnsteig immer konfrontiert mit einer Wand und dahinter war der West-S-Bahnsteig.

Aber der war eben überhaupt nicht zu erreichen, und dann hörte man immer das Bellen von Hunden, die damals Kontrollen machten, und so hatte man also morgens beim Weg zur Arbeit schon die erste Erfahrung mit der innerdeutschen Grenze und dieser ... unmenschlichen Teilung."

Auch die Geschichte dieser deutschen Teilung erzählt die Ausstellung oder besser: Deutet diese Geschichte an. Ebenso wie den Aufbau der innerdeutschen Grenze - etwa mit einer ausgestellten Selbstschussanlage an einem DDR-Grenzpfahl – oder auch: die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung – von den Bürgerrechtsbewegungen in der DDR bis zum Mauerfall. Auf engem Raum wird viel gezeigt, vielleicht auch: zu viel. Der Präsident der "Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", Hans Walter Hütter:

"Diese Ausstellung lebt im Grunde genommen vom größten Objekt, nämlich dem Tränenpalast selbst, dem historisch authentischen Ort. Darüber hinaus sind es dann Dokumente, Fotos, Ton- und Filmausschnitte, die die genannten Themen lebendig werden lassen.., Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass wir mit dieser Ausstellung Kenntnisse vermitteln können, Diskussionen anregen und auch zur kritischen Meinungsbildung beitragen können. Ein geladen sind Jung und Alt aus dem In- und Ausland."

Und dieses Publikum wird die Ausstellung wohl auch erreichen. Die Ausstellungsmacher haben sich große Mühe gegeben, allein schon die Tatsache, dass das Haus überhaupt - vom Bund - erhalten wurde, ist mehr als lobenswert. Denn der neue "Tränenpalast" offenbart eben auch jenes trübe Kapitel der Berliner Kulturpolitik, die jahrelang mit dem Haus - als Erinnerungsort - nichts anzufangen wusste, sondern es samt Grund und Boden für 915.000 Euro an einen Investor verkaufte, dem die Stiftung jetzt – in einem für 20 Jahre abgeschlossenen Mietvertrag 18.400 Euro monatlich zahlt, nach Ablauf dieser Frist werden Mietkosten von fast viereinhalb Millionen Euro entstanden sein – für den Investor eine exzellente Rendite.

Homepage der Ausstellung GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung
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