Ort des braunen und roten Terrors

Von Susanne Arlt |
Der Rote Ochse in Halle an der Saale. Keiner weiß genau, wo der Name herrührt. Vielleicht ist es die Farbe der Ziegelsteine, vielleicht der Blick aus der Vogelperspektive. Von oben hat der Gebäudekomplex die Silhouette eines liegenden Ochsen. Der Rote Ochse steht vor allem für die Gräuel der braunen und der roten Diktatur. Unter den Nazis war er Hinrichtungsstätte, in der DDR Untersuchungshaftanstalt des MfS. Nach der Wende wurde der Rote Ochse dann Gedenkstätte für die Opfer politischer Verfolgung.
Wolfgang Stiehl, ein großer massiger Mann mit Brille und weißen Haaren, saß drei Jahre und zehn Monate im Roten Ochsen ein. Erst in Untersuchungshaft, dann im Vollzug. Sein Vergehen 1953: Als 19-jähriger Student liest er antikommunistisch-satirische Zeitschriften, hört den RIAS und verteilt Handzettel mit dem Aufdruck "Iwan raus". Im Februar wird er festgenommen und in den Roten Ochsen gebracht. Seine Zelle: sechs Quadratmeter groß. In der Ecke stand ein Kübel für die Notdurft, auf der Pritsche lag ein Strohsack, zum Sitzen gab es nur einen Hocker, sagt Wolfgang Stiehl.

"Wir hatten keine Glasfenster, wir hatten Holzschuten vor den Fenstern, das heißt, es war ein etwa 20 Zentimeter breiter Streifen Himmel zu sehen draußen, ansonsten war die Zelle total abgedunkelt, also auch das war noch ein Dämmerzustand, der nachts erhalten blieb, indem dort so eine 140 Watt Lampe die ganze Nacht brannte. Das sollte alles dazu führen, den Menschen zu zermürben."

Die ersten Wochen muss Wolfgang Stiehl in totaler Isolation verbringen, dann bekommt er einen Zellengenossen. Der Mann ist kein Stasi-Spitzel, wie sich herausstellt, sondern ein Zeuge Jehovas. Und er sitzt im Roten Ochsen schon zum zweiten Mal ein. Von ihm erfährt Wolfgang Stiehl, was unter den Nazis der Rote Ochse war: Hinrichtungsstätte für politisch Andersdenkende, Widerstandskämpfer, Kleinkriminelle und Anhänger der Zeugen Jehovas. Im Erdgeschoss stand das Schafott. Bis zum 10. April 1945 wurden hier 549 Frauen und Männer geköpft. Als das Ministerium für Staatssicherheit das Haus fünf Jahre später von den Sowjets übernahm, wurde aus dem Todestrakt ein Verhörkomplex.

Nach der Wende wurde der Rote Ochse Gedenkstätte für die Opfer politischer Verfolgung. Seit zwei Jahren erinnern zwei neu konzipierte Dokumentationen an beide Diktaturen. Räumlich sind sie voneinander getrennt. Im Erdgeschoss ist die Ausstellung über die Jahre zwischen 1933 und 1945 zu sehen. Zwei Stockwerke darüber die aus der DDR-Zeit. Ein Verhörzimmer ist nachgestellt worden. Wolfgang Stiehl erinnert sich.

"Man wird also aus dem Schlaf rausgerissen um elf, zwölf, wird ins Vernehmerzimmer geführt, wird vier, fünf Stunden behandelt, kommt wieder zurück auf die Zelle und wenn man nicht so gespurt hat, wie man sollte, wurde man in der nächsten Nacht wiedergeholt. Mit dem Ergebnis, bei Tage nicht schlafen zu dürfen, da wurde peinlichst drauf geachtet und dann ist man irgendwann, ohne dass man von dieser Folter später etwas merken kann, total geschafft. Schlafentzug ist einer der härtesten Möglichkeiten, jemanden in die Knie zu bringen."

Wolfgang Stiehl steht vor einem offenen Schaukasten, blättert eine Kartei durch. Dort sind Fotos, Namen und beruflicher Werdegang von 50 Stasi-Vernehmern aufgelistet. "Mein Untersuchungsvernehmer ist nicht dabei", sagt Stiehl. Für ihn ist es eine Genugtuung, dass einige Täter endlich ein Gesicht für jedermann bekommen.

Ein großer Teil der ehemaligen Stasi-Offiziere sieht das allerdings anders. Der frühere Leiter der Untersuchungsabteilung, Jürgen Stenker, und ehemalige Kollegen fordern, die Karteikarten zu entfernen. Zu einem Interview mit Deutschlandradio Kultur ist Stenker nicht bereit, aber per E-Mail lässt er mitteilen: "Wir verwahren uns gegen die Gleichsetzung mit NS-Verbrechern". Außerdem sei die Behauptung der Gedenkstätte falsch, die Stasi-Offiziere hätten zur Erzielung der Geständnisse psychische und physische Gewalt angewendet. Stenker sieht darin eine persönliche Diskriminierung und moniert weiter, dass man sich nicht die Mühe einer sachlichen Prüfung dieser Behauptungen manche. Für den ehemals inhaftierten Wolfgang Stiehl aber geht es nicht um Datenschutz, ihm geht es um die Deutung der DDR-Geschichte.

"Es geht auch gar nicht darum, den Menschen Stenker oder wen auch immer an den Pranger zu stellen, es geht darum, und genau das wollen diese Leute auch verhindern, dieses System an den Pranger zu stellen. Es ist eine Verbrechorganisation gewesen und demzufolge ist sie genauso zu benennen wie die NS-Organisation. Die Leute haben gewusst, was sie tun, die haben gewusst, dass sie das Menschenrecht mit Füßen treten."