Orthodoxe Kathedrale in Paris

Symbol für russische Staatsmacht

Die Kuppeln der neuen orthodoxen Kathedrale am Seine-Ufer - im Hintergrund ist der Eiffelturm zu sehen.
Die Kuppeln der neuen orthodoxen Kathedrale am Seine-Ufer - im Hintergrund ist der Eiffelturm zu sehen. © Deutschlandradio / Bettina Kaps
Von Bettina Kaps |
Klingt ungewöhnlich, aber Paris hat eine lange russisch-orthodoxe Geschichte. Nun kommt in Frankreichs Hauptstadt eine neue architektonische Perle dazu: Eine Kathedrale samt Kulturzentrum, die Ende Oktober von Russlands Präsident Wladimir Putin eingeweiht werden sollen.
Im Schatten des Eiffelturms ragt ein Zwiebelturm mit orthodoxem Kreuz in den Himmel. Prall und goldglänzend zieht er den Blick auf die Kathedrale aus hellem Stein. Die vier kleineren Zwiebeltürme sollen im August gesetzt werden, sagt Borina Andrieu vom Architekturbüro Wilmotte, das die russisch-orthodoxe Kathedrale und das Kulturzentrum entworfen hat.
"Das ist wohl das schwierigste Bauprojekt, das wir jemals verwirklicht haben. Wir mussten die Gebäude auf einer sehr schmalen Parzelle unterbringen. Sie grenzt an das Seine-Ufer – es gehört zum Weltkulturerbe - und an ein denkmalgeschütztes Gebäude. Wir mussten uns in die Pariser Kulisse mit dem Eiffelturm einfügen und zugleich die Regeln der Orthodoxie einhalten."
Das ist gelungen. Die Kathedrale ist ein strenger, hoher Bau mit wenigen Fensterschlitzen. Von weitem sind schmale Querstreifen auf den Wänden zu erkennen. Von nahem zeigt sich, dass es massiver Stein ist, der in einzelne Bänder mit unterschiedlichem Profil unterteilt ist. In dem Linienmuster bricht sich das Licht, so dass die Mauer zu vibrieren scheint. Bischof Nestor Sirotenko, künftiger Hausherr des Kirchengebäudes, ist begeistert.
"Es gibt nichts Vergleichbares. Hier entsteht nicht nur eine Kirche, sondern auch ein Zentrum für russische Kultur. Auch deshalb ist dieser Komplex einzigartig."

Politische Gründe für spektakulären Bau

In drei Gebäuden neben der Kathedrale werden eine russisch-französische Grundschule für 150 Kinder, ein Kulturzentrum, Unterkünfte für Priester und Seminaristen, außerdem Räume für die Kulturabteilung der russischen Botschaft untergebracht - weshalb der gesamte Komplex ex-territorialen Status erhält. Dieses Prestigeprojekt habe der inzwischen verstorbene Patriarch Alexij II. angestoßen, als er 2007 in Paris war, sagt Bischof Nestor.
"Damals suchte unsere Gemeinde einen neuen Kirchenraum, weil die jetzige Kirche im 15. Pariser Bezirk viel zu klein ist. Jeden Sonntag ist sie überfüllt. Als Patriarch Alexij II. den damaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy traf, haben wir diese Frage ins Programm einfließen lassen."
Bischof Nestor Sirotenko
Bischof Nestor Sirotenko© Deutschlandradio / Bettina Kaps
Kenner des Projekts vermuten allerdings auch politische Gründe für den spektakulären Bau. Jean-François Colosimo, selbst orthodoxer Christ, leitet den auf religiöse Literatur spezialisierten Verlag "Éditions du Cerf". Er ist überzeugt:
"Da wurde eine Art stillschweigender Pakt geschlossen."
Colosimo betont, dass es in Paris bereits seit 1861 eine russisch-orthodoxe Auslandskirche gibt, die sich nach der Oktoberrevolution von Russland freigeschwommen und dem Patriarchat von Konstantinopel angeschlossen hat. Dieses so genannte "Erzbistum der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa" habe sich französischen Verhältnissen angepasst. Es wolle keine Rückkehr zum russischen Patriarchat. Das Erzbistum betreibt auch eine Hochschule für orthodoxe Theologie, wo Colosimo unterrichtet.
"Das Erzbistum war bis vor kurzem noch im Besitz von drei Kathedralen, die unter Zar Nikolaus dem Zweiten gebaut wurden. Die Alexander-Newski-Kathedrale in der Rue Daru im 8. Pariser Arrondissement, die Kathedrale von Biarritz (wo die Zarenfamilie ihren Sommerurlaub verbrachte) und die Kathedrale von Nizza (wo sie Winterferien machte)."
Zu Beginn der 2000er Jahre hat Russland seine Ansprüche angemeldet. Weil die Auslandskirche die prächtige Kathedrale von Nizza nicht hergeben wollte, kam es zum Prozess – den Russland gewonnen hat. Die französische Regierung habe die Alexander-Newski-Kathedrale in Paris vor einem ähnlichen Schicksal schützen wollen, sagt Colosimo. Deshalb vermute er folgenden Pakt:
"Das Patriarchat von Moskau wird angehalten, seinen Anspruch auf die Kathedrale in Paris aufzugeben. Im Gegenzug wird es ermutigt, sich für den Kauf des begehrten Geländes am Seine-Ufer zu bewerben, um dort seine eigene Kathedrale zu erbauen. So bleiben die beiden russisch-orthodoxen Gemeinden in Westeuropa getrennt. Die Verhandlungen wurden im Elysee-Palast geregelt, zwischen Nicolas Sarkozy und Wladimir Putin oder seinen Vertretern."

Putin wird die Kirche einweihen

Bischof Nestor bestätigt, dass die Bausumme von rund 170 Millionen Euro komplett vom russischen Staat finanziert wurde. Indiz dafür, dass Moskau den Komplex eindeutig als Symbol für seine Staatsmacht betrachtet - zu der auch die orthodoxe Kirche beiträgt.
Jean-François Colosimo vermutet, dass Moskau trotzdem eines Tages Anspruch auf die Konkurrenz in der Rue Daru erheben wird. Bischof Nestor wünscht sich, dass die beiden Gemeinden aus freien Stücken aufeinander zugehen.
"Die christliche Kirche ist zur Einheit aufgerufen. Zwei Kirchen, die sich so nahe stehen, sollten diese Herausforderung wohl erst recht meistern. Gewiss, die russische Kirche muss ihren Platz wiederfinden. Aber wir können die Auslandskirche nicht brutal zur Rückkehr zwingen, sie muss es wollen. Weil wir unter Druck standen, haben wir uns für eine neue Kirche entschieden – und die sollte ursprünglich gar nicht so repräsentativ ausfallen. Vielleicht hat da göttliche Vorsehung mitgespielt."
Das russische Religions- und Kulturzentrum an der Seine soll Ende Oktober von Staatspräsident Wladimir Putin eingeweiht werden. Die fünfstündige kirchliche Zeremonie kann laut Bischof Nestor aber erst ein bis zwei Jahre später stattfinden, wenn auch die aufwendige Innenausstattung der Kathedrale mit Ikonostase und Wandmosaiken fertig ist. Da sei nämlich noch nicht entschieden, was der Staat und was das Patriarchat bezahlen wird.
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