Orthodoxe Kirchen

Über die Haltung zum Ukraine-Krieg wird gestritten

07:38 Minuten
Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche der Ukraine hält zwei Kerzenständer mit grünen Kerzen in seinen Händen. Im Bildhintergrund sind einzelne Sonnenstrahlen zu sehen, die von oben in die Kathedrale einfallen.
Streben nach Eigenständigkeit: Metropolit Epiphanius, das Oberhaupt der orthodoxen Kirche der Ukraine, bei einem Ostergottesdienst. 2019 erkannte das Patriarchat von Konstantinopel seine Kirche als unabhängig an. © picture alliance / NurPhoto / Maxym Marusenko
Von Jürgen Buch · 01.05.2022
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Der Krieg in der Ukraine verschärft einen Konflikt orthodoxer Kirchen. Das Autonomiestreben ukrainischer Gemeinden sorgte bereits für Streit mit der russischen Orthodoxie. Nun müssen auch Gemeinden in anderen Ländern zum Krieg Position beziehen.
Ein Rockkonzert in Kiew, 2008. Auf der Bühne steht Kyrill, der damalige Metropolit von Kaliningrad und Smolensk und heutige Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche: „Russland, die Ukraine, Belarus, das ist die heilige Rus!“ Er beschwört eine Einheit der ostslawischen christlichen Welt, die es so schon damals in der Ukraine nicht mehr gab.

Ringen um Anerkennung in der orthodoxen Welt

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der Ruf nach einer unabhängigen, also autokephalen Kirche in der Ukraine laut geworden. 1992 spalteten sich zahlreiche orthodoxe Gemeinden von der ukrainisch-orthodoxen Kirche ab, die dem Moskauer Patriarchat unterstand. Sie nannten sich nun ukrainisch-orthodoxe Kirche Kiewer Patriarchat. Keine andere orthodoxe Kirche erkannte diese neue Gruppierung allerdings als legitim an.
Das änderte sich erst 2019. Damals verlieh der orthodoxe ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., der ukrainischen Orthodoxie den Tomos, eine Bulle, die ihre Eigenständigkeit besiegelte. Der Kiewer Metropolit Epiphanius sagte dazu:

Dieser Krieg ist wie der Mord Kains an seinem Bruder Abel.

Metropolit Onufri

„Es gibt nun die autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche. Aber es gibt noch keine Einheit. Es liegt nun an der gesamten Geistlichkeit, diese Einheit zu erreichen und alle ukrainischen orthodoxen Christen zu erreichen, die noch einem anderen Patriarchat unterstehen.“

Moskaus Einfluss im ukrainischen Kirchenstreit

Mit dem „anderen Patriarchat“ meinte Epiphanius Moskau. Seit seine Kirche den Status der Autokephalie erreicht hat, sind immer mehr ukrainische Gemeinden zum Kiewer Patriarchat übergetreten. Vor der russischen Invasion zählten sich über 45 Prozent der Menschen in der Ukraine zum Kiewer Patriarchat, etwa 13 Prozent zum Moskauer.
Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche schwingt den Weihrauchkessel während eines Gottesdienstes.
Der Patriarch von Moskau: Kyrill I. ist das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.© AFP / Russian Orthodox Church Press Service / Igor Palkin
Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist die Nähe des Patriarchen Kyrill in Moskau zur russischen Staatsmacht. 2014 begrüßte er die Annexion der Krim, jetzt unterstützt er die Argumentation Putins von einem angeblichen Völkermord der ukrainischen Regierung an der eigenen Bevölkerung im Osten des Landes. In einem Gottesdienst Anfang März sagte er: „Acht Jahre dauert nun die Unterdrückung und Tötung von Menschen im Donbass! Acht Jahre des Leidens! Und die ganze Welt schweigt.“
Das Verhalten Kyrills stürzt die ukrainische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats in eine Krise. Ihr Metropolit Onufri wandte sich im März an den russischen Präsidenten: „Wir bitten Sie heute, beenden Sie den Krieg. Es ist die größte Schande, dass wir gegeneinander kämpfen. Dieser Krieg ist wie der Mord Kains an seinem Bruder Abel.“

Konflikte orthodoxer Gemeinden in Deutschland

Auch in der Diaspora ist das Verhältnis zwischen den verschiedenen Orthodoxien schwieriger geworden. Bis 2014 besuchten orthodoxe Ukrainer in Deutschland häufig russisch-orthodoxe Kirchen. Nach der Annexion der Krim und Russlands Intervention im Donbass machten sich aber zum Beispiel Ukrainer in Berlin dafür stark, eine eigene Gemeinde zu gründen, die dem Kiewer Patriarchat folgt.
Seit 2015 feiert diese Gemeinde ihre eigenen Gottesdienste. Der Pfarrer der Gemeinde, Oleh Zhepoljanka, sagt angesichts des Krieges: „Natürlich muss man mit dem russischen Volk reden. Man muss es auf einen guten Weg führen. Es gibt dort viele gute Menschen. Aber leider verstehen viele nicht, was gerade vor sich geht.“
Wladimir Putin steht im Bildhintergrund und hält eine Kerze in den Händen. Im Bildvordergrund ist das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill,  ebenfalls mit Kerzen, zu sehen.
Staatsnahe Kirche in Russland: Präsident Putin und der Moskauer Bürgermeister Sobjanin am 24. April 2022 bei der orthodoxen Ostermesse mit Patriarch Kyrill.© Getty Images / Contributor
Der Geschäftsführer des ökumenischen Rats Berlin-Brandenburg, Hans-Joachim Ditz, sieht die russische Orthodoxie in einer schwierigen Lage:
„Ich glaube, die Entscheidung oder die Frage, vor der sie steht, ist tatsächlich ihr Verhältnis zu klären zur russischen Staatsführung, zu Putin. Da ist eine extreme Nähe gegeben, im Moment jedenfalls, und ob das auf Dauer so bleiben kann und so bleiben wird, das genau ist meines Erachtens die Frage an die russisch-orthodoxe Kirche."

Kirche zwischen allen Stühlen

Auch die russische Orthodoxie in Deutschland muss sich nach Ansicht von Ditz positionieren. Erzbischof Tichon von Rusa, der in Berlin residiert, ruft einerseits zur Unterstützung der Flüchtlinge aus der Ukraine auf. Andererseits distanziert er sich nicht vom Patriarchen in Moskau.
„Der hiesige Erzbischof Tichon von Rusa legt Wert darauf, dass er trennen möchte zwischen Politik und Glauben und Religion. Ich weiß nicht, ob das wirklich funktionieren kann. Denn zu schweigen zu dem, was da im Krieg gegen die Ukraine passiert, ist eben auch nicht unpolitisch, sondern meines Erachtens schon eine politische Haltung.“
Neben der Orthodoxie gibt es in der Ukraine noch eine weitere bedeutende Konfession, nämlich die ukrainische griechisch-katholische Kirche. Ihr gehören knapp acht Prozent der Bevölkerung an. Ihre Entstehung ist eng mit der polnischen und litauischen Geschichte verbunden und reicht zurück ins 16. Jahrhundert.
Der polnisch-litauische Staat dehnte sich damals von der Ostsee bis weit nach Südosten über Kiew hinaus aus. Der König in Krakau war katholisch. Doch die Reformation hatte großen Zulauf. Und: In den weiten Landesteilen, die heute Belarus und einen Großteil der Ukraine bilden, lebten auch viele orthodoxe Christen.

Konfessionelle Spaltung in der Ukraine

Die Einheit des Staates drohte unter der konfessionellen Spaltung zu zerbrechen. Deshalb entschlossen sich Katholiken und Orthodoxe, eine Kirchenunion zu bilden. 1596 unterstellten sich die orthodoxen Gemeinden dem Papst in Rom, blieben aber beim orthodoxen Ritus und beim orthodoxen Kalender.
Die griechisch-katholische Kirche lebte nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im Ausland fort, denn in der sowjetischen Zeit war sie in der Ukraine verboten. In Berlin und Magdeburg betreut Pfarrer Sergij Dankiv die Gläubigen.
„Wir können nicht nach Rache leben", sagt Dankiv. "Später oder früher kommt die Vergebung. Aber die Verantwortlichkeit für die Taten, für Propaganda, dafür, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Russland solidarisch oder schweigend gegen Putins Taten waren, wird das ganze russische Volk heute tragen.“
Die Orthodoxie betrachtet die griechisch-katholische Kirche als abtrünnig. Angesichts des Krieges Russlands gegen die Ukraine treten diese Differenzen jedoch im Alltag in den Hintergrund. Der Krieg zwingt die unterschiedlichen Konfessionen stattdessen zur eindeutigen politischen Positionierung.

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