Orthodoxe Rabbinerkonferenz in Berlin

Antisemitismus als große Gefahr

150 Rabbiner aus Europa sind Anfang März zur Rabbinerkonferenz des Rabbinical Center of Europe nach Berlin gekommen; Aufahme vom 1. März 2016 vor dem Brandenburger Tor
150 Rabbiner aus Europa sind Anfang März zur Rabbinerkonferenz des Rabbinical Center of Europe nach Berlin gekommen; Aufahme vom 1. März 2016 vor dem Brandenburger Tor © picture alliance / dpa
Von Thomas Klatt |
Fast jeder dritte Mensch in Europa hege Vorurteile gegen Juden. Das sagte Menachem Margolin, Vorsitzender der orthodoxen Rabbinervereinigung, in Berlin. Der Antisemitismus sei dort am größten, wo es die wenigsten Muslime gebe, etwa in Griechenland, Polen, Ukraine, Rumänien und Ungarn.
Nicht alle der rund 150 nach Berlin angereisten orthodoxen Rabbiner machen beim Selbstverteidigungstraining mit, aber der Saal ist gut gefüllt. Die einen greifen an, die anderen wehren die gespielten Faust- und Messerattacken nach den Grundregeln der israelischen Krav Maga-Technik ab.
Auch wenn die meisten hier anwesenden Rabbiner im gesetzten Herrenalter sind, lassen sie es an Ernsthaftigkeit nicht fehlen. Der israelische Rabbi Lior Inbal leitet die Übungen an:
"Es hilft jedem, nicht nur orthodoxen Rabbinern. Jedem, der das Konzept der Selbstverteidigung versteht. Es ist nicht nur für Rabbiner, auch für Kinder, die angegriffen werden."
Gesetzte Herren üben Selbstverteidigung
Denn Juden in Europa fühlen sich bedroht, insbesondere nach den letzten Attacken islamistischer Terroristen in Paris und Brüssel. Auch wenn jüdische Einrichtungen in der Regel von der Polizei geschützt werden, so will man sich doch als Jude auch auf der Straße frei bewegen können. Schon gar nicht will man sich einschüchtern oder gar vertreiben lassen, sagt der orthodoxe Rabbiner Benjamin Jacobs aus Amsterdam:
"Wir haben 30.000 Juden in Holland. Ich bin kein Prophet, was wird sein. Aber ich bin holländischer Mensch, meine Eltern sind hier geboren, mein Großeltern, alle Juden von Holland. Ich will bleiben in Holland. Wenn ich will gehen nach Israel, dass muss meine eigene choice, mein eigener Wille sein. Ich will nicht, dass andere wollen mich zwingen gehen in ein anderes Land. Und ich habe ein Recht zu bleiben in Holland."
Wie eben auch das Recht, als Jude jederzeit in Israel leben zu dürfen. Aber eben freiwillig und nicht weil Terror und Antisemitismus einen dazu zwingen. Ihm pflichtet auch Menachem Margolin, Vorsitzender des Rabbinical Center of Europe bei.
"Wenn ein Jude wegen der Bedrängung und Gefahr Europa verlassen muss, dann ist es eine Schande für die jeweilige Regierung. Sie tragen Verantwortung für die Juden im eigenen Land. Wenn 7000 Juden im vergangenen Jahr von Frankreich nach Israel ausgewandert sind, so muss man doch ganz klar sehen, dass 600.000 Juden weiterhin in Frankreich wohnen, bei allen Attacken und Lebensbedrohung. 99 Prozent entscheiden sich zu bleiben und vertrauen darauf, dass sie letztlich doch Schutz genießen in ihrem Land."
Bundespräsident mit deutlichen Worten
Insofern haben die orthodoxen Rabbiner die Worte des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert auf ihrer Konferenz wohlwollend aufgenommen, dass die Bekämpfung des Antisemitismus auch weiterhin zu den vordringlichen Aufgaben der deutschen Bundesregierung gehören wird. Jüdisches Leben sei geschützt, das habe sich gerade erst in der Beschneidungsdebatte gezeigt. Das Recht der Eltern, männliche Säuglinge nach jüdischem Ritus am achten Tag beschneiden zu lassen, werde auch weiterhin durch die Religionsfreiheit in Deutschland garantiert. Auf die Frage der Rabbiner aber, ob sich hinter einer zunehmenden Israelkritik nicht auch ein versteckter Antisemitismus verberge, gibt Lammert eine deutliche Antwort.
"Ich muss wahrnehmen, dass es von Zeit zu Zeit eine versteckte Form des Antisemitismus gibt in den politischen Positionen gegen Israel. Aber es gibt auch eine Versuchung auf israelischer Seite, jede Art der Kritik an der eigenen Politik als eine Form des Antisemitismus abzuwehren, was auch nicht akzeptabel ist."
Millionen Menschen, die antisemitsch denken
Wofür ihn die anwesenden Rabbiner durchaus mit wohlwollendem Applaus bedachten. So wie Deutschland in den 1990er-Jahren zehntausende Juden aus der ehemaligen Sowjetunion aufgenommen hat, so begrüßt man nun, dass Flüchtlinge aus Syrien, Irak und anderen muslimischen Ländern Schutz finden. Aber Menachem Margolin, Vorsitzender der orthodoxen Rabbinervereinigung mit Sitz in Brüssel, mahnt, dass es da noch großer Integrationsaufgaben bedarf:
"Die Mehrheit der Flüchtlinge kommt aus Ländern, wo der Antisemitismus sehr groß ist. Wenn die Regierung also entscheidet, die Türen weit auf zu machen für diese Flüchtlinge, reicht Essen und ein Platz zum Schlafen nicht aus. Sie müssen eine gute Erziehung unterstützen, sie müssen Programme gegen Antisemitismus unterstützen. Aber es geht nicht nur um eine Millionen Flüchtlinge in Deutschland, sondern um 500 Millionen.
Im heutigen Europa sind es rund 30 Prozent der Bevölkerung, die antisemitische Ansichten vertreten. Wenn wir also von 500 Millionen Europäern sprechen, dann betrifft das 150 Millionen Menschen, die antisemitisch denken. Das ist viel gewichtiger als ein Million Flüchtlinge."
Denn der europäische Antisemitismus sei weit weniger ein Problem dschihadistischer Strömungen. Viel mehr finde er sich gerade dort, wo die Mehrheit der Bevölkerung einen christlichen Hintergrund habe.
"Die Länder mit der höchsten Rate an Antisemitismus sind gerade die mit den wenigsten Muslimen im Land. Zu nennen sind da etwa Griechenland, Polen, Ukraine, Rumänien und Ungarn. So kann man also Muslime nicht für einen Anstieg des Antisemitismus in Europa allein verantwortlich machen."
Insofern war diese Konferenz orthodoxer Rabbiner mitten in Berlin auch eine Mahnung, dass die europäischen Demokratien in ihrem Schutz für die jüdischen Minderheiten in ihren Ländern nicht nachlassen dürfen.
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