Oscar Pistorius

"Die gefährliche Person war er selbst"

Oscar Pistorius auf der Anklagebank während des Schlussplädoyers der Staatsanwaltschaft.
Der Sportler Oscar Pistorius ist angeklagt, weil er seine Freundin Reeva Steenkamp umgebracht haben soll. © AFP - WERNER BEUKES
Margie Orford im Gespräch mit Nana Brink |
Der beinamputierte Spitzensportler Oscar Pistorius hat seine Freundin erschossen - das sei ein Versehen gewesen, meint der Angeklagte. Seine Begründung: Er hatte Angst vor Einbrechern. Ein typisches Beispiel für die südafrikanische Paranoia, meint die Autorin Margie Orford.
Nana Brink: Dieser Fall, ja, der könnte ein Drama sein oder vielleicht auch ein Kriminalfall: Erst erklimmt der beinamputierte Athlet den sportlichen Olymp, der ist ein Held für viele – und dann stürzt er ab, gnadenlos. Am Valentinstag 2013 erschießt Pistorius durch die Badezimmertür seine Freundin. Heute nun soll nach einem spektakulären Prozess mit über 40 Zeugen und vielen auch psychologischen Gutachten begonnen werden, das Urteil zu verkünden. Es wird zwei Tage dauern. Beobachtet und immer wieder kommentiert hat den Fall Oscar Pistorius Margie Orford, südafrikanische Journalistin und mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin, gerne auch die "Queen of Crime" Südafrikas genannt. Und wir erreichen sie jetzt in Kaptstadt. Good morning, Misses Orford!
Margie Orford: Hi, how are you?
Brink: Sie haben über den Fall Pistorius geschrieben, das Gerichtsverfahren hätte Ihrem Thriller-Kollegen John Grisham sicher gut gefallen. Was hat Sie bewegt?
Dramatisch: Mord am Valentinstag
Orford: Also besonders der Mord am Valentinstag ist an sich ja schon eine traumatische, eine dramatische Angelegenheit, und mein Eindruck war, dass das Opfer Reeva Steenkamp praktisch aus dem Verfahren hätte ausgeblendet werden sollen, aus dem Prozess – wie es Frauen so oft geschieht, die Opfer häuslicher Gewalt werden. Aber sie war da. Und im Verfahren war es wirklich, wie es Grisham gefallen hätte: Diese zwei Anwälte, die gegeneinander antreten, gegeneinander anreden. Und ich denke, dass Gerrie Nel, der Staatsanwalt, ihre Anwesenheit und ihre Erinnerung immer lebendig gehalten hat und sie ins Verfahren eingebracht hat.
Brink: Oscar Pistorius Verteidigung war klar: Ich habe geschossen, weil ich mich bedroht fühlte, nicht, weil ich meine Freundin erschießen wollte. Sie haben dazu etwas ganz Interessantes geschrieben, nämlich, Pistorius hätte einfach geschossen, ohne zu fragen, und das sei typisch für Südafrika. Warum?
Weiße verstehen Art der Argumentation
Orford: Pistorius Verteidigung war ja von Anfang an so ausgelegt, dass er gesagt hat: Ich habe aus Angst geschossen, ich hatte Angst, da sei jemand. Und das ist so, dass diese Angst vor der Kriminalität in Südafrika so allgemein hochgehalten wird, dass das ein Appell sei, dass das sozusagen jedem so gehen könnte, und das ist eine fast pathologische Angst vor dem Verbrechen in Südafrika, die besonders unter Weißen sehr verbreitet ist. Und er sagte ja, dass er solche Angst gehabt hätte, dass er von einem Verbrechen bedroht sei, dass er gar nicht nachgedacht hatte, und weil Südafrika eben ein so gewalttätiges Land sei, wäre im Prinzip jede Verteidigung und jede Form der Gewaltanwendung in diesem Fall gerechtfertigt gewesen.
Das ist natürlich sehr zweifelhaft. Viele Weiße fühlen aber, dass diese Bedrohung besteht und verstehen daher diese Art Argumentation. Dagegen steht aber, dass dort, wo Pistorius lebte, ein absolut sicheres Gebiet war. Er lebt in dieser hochsicheren Anlage, einer geschützten Wohnanlage, in der es kein Verbrechen gibt. Seine Verteidigung war in diesem Sinne falsch, aber viele haben sie geglaubt. Und der Eindringling, den er im Badezimmer vermutet hat, der kann dort nicht gewesen sein. Es ist also eine Paranoia, die in diesem Sinne falsch war. Es bestand überhaupt keine Gefahr in diesem Moment in seinem Haus. Die einzige gefährliche Person dort war er selbst.
Brink: Es gibt allerdings schon Menschen, die von Gewalt bedroht sind. Jedes Jahr werden in Südafrika 2.000 Frauen ermordet, 200.000 werden Opfer von Gewalt. Südafrika ist eines der gefährlichsten Länder der Welt für Frauen, das haben Sie in Ihrem Essay "Die Grammatik der Gewalt" gesagt. Wie sieht diese Grammatik aus?
Aggressiver Frauenfeind oder Macho-Paranoia
Orford: Südafrika ist ein sehr gewalttätiges Land. Es gibt eine sehr lange Geschichte der Gewalt und es gibt in Südafrika mehr Vergewaltigungen als sonst wo auf der Welt, auch wenn man Krisengebiete mit einberechnet, und 85 bis 90 Prozent aller Frauen werden, wie man so euphemistisch sagt, von ihren Intimpartnern getötet, das heißt, entweder ihr Freund oder ihr Ehemann, manchmal auch enge Verwandte bringen sie um. Und der Fall von Reeva Steenkamp sah in diesem Sinne erst einmal aus wie viele andere Fälle in Südafrika auch, und das meinte ich mit der Grammatik der Gewalt, wenn man sich diesen Mord ansieht. Und das Interessante an dem Fall von Pistorius ist, auch die Tatsache, warum Südafrika so ein gefährliches Land für Frauen ist, ist die, dass Pistorius gesagt hat, er habe eben nicht nachgedacht und weil er nicht gedacht hat, hat er so schnell gehandelt – und deswegen sei er für sein Handeln nicht verantwortlich.
Das bietet zwei Möglichkeiten: Entweder, er ist einfach ein ganz aggressiver Frauenfeind, der seine Freundin töten wollte, oder, die zweite Möglichkeit, er folgte einer Art Machoparanoia vor einem Eindringling ohne nachzudenken. Er hatte ja, wie so viele andere weiße Südafrikaner, die in diesen sicheren Wohnanlagen wohnen, einen Panikknopf gleich neben seinem Bett. Den hätte er drücken können, und innerhalb von 30 Sekunden wären Sicherheitsleute gekommen. Aber er hat eben nicht gedrückt. Und das ist das, was Südafrika so gefährlich macht, und das geht zurück in die Geschichte von Südafrika, das ist verwurzelt in der Apartheid, in der Geschichte des Bürgerkriegs. Die Demokratie 1994 hat dann versucht, damit aufzuräumen, mit dieser gewaltsamen Geschichte, die aber eigentlich jetzt mehr oder weniger nur maskiert wird von unserer Verfassung und den Errungenschaften, den Kompromissen für den Frieden, die wir erreicht haben, obwohl es in Südafrika tatsächlich auch Frieden gibt. Es gibt nicht nur Gewalt.
Brink: All das, was Sie erzählen, das klingt ja so, als ob dieser Fall Pistorius, ja, eine Art Blaupause auch ist für die südafrikanische Gesellschaft, genau sich mit diesem Phänomen, dem Phänomen Gewalt, auseinanderzusetzen. Reizt Sie das als Romanvorlage?
Angst vor dem bösen schwarzen Mann
Orford: Ich denke, wenn man ein Buch schreiben will, dann muss man etwas haben, was einen fasziniert, was man nicht kennt, was man noch nicht weiß, und das war in diesem Fall nicht so. Der Fall von Pistorius – hier geht es um einen aggressiven, narzisstisch geprägten Mann, der seine Frau um drei Uhr morgens umbringt –, das trägt nicht wirklich etwas Geheimnisvolles in sich. Das ist an sich so simpel, so deprimierend alltäglich. Für einen Roman bietet das wirklich zu wenig Geheimnisvolles und zu wenig Tiefgang. Aber für eine Reportage, für einen journalistischen Text oder einen Essay wäre das durchaus geeignet, und zwar auch wegen der Frage, warum in Südafrika diese Gewalt so verbreitet ist.
Dann auch das Thema der Rasse, des Rassismus, das da mit reinspielt: Pistorius' Verteidigung stellte diese Angst vor dieser Bedrohung, vor diesem Ungeheuer, was da draußen lauert, der böse schwarze Mann oder was auch immer das war, als einfach zu akzeptieren hin. Ein bisschen erinnert das an die Dramen von Otello oder Ödipus, nur dass er sich eben nicht so verhalten hat. Pistorius ist eigentlich der olympische Held ohne Beine, der so viel geleistet hat. Wenn er jetzt es auch noch geschafft hätte, Verantwortung zu zeigen, Verantwortung für das zu übernehmen, was er getan hat ... Pistorius hat diese Gelegenheit verpasst. Er hat sich eher wie eine Schlange benommen als wie ein Held. Das eignet sich nicht für Fiktionen, aber für Journalismus durchaus.
Brink: Margie Orford über den Fall Oscar Pistorius, heute beginnt die Urteilsverkündung, und das Gespräch mit der Schriftstellerin haben wir aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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