Abgang mit Furor
Die Repression gegen Kirchenleute in der DDR trieb einen Pfarrer zu einer schrecklichen Tat: Vor 40 Jahren verbrannte sich Oskar Brüsewitz vor der Michaeliskirche in Zeitz.
Je näher der 18. August heranrückt, desto nachdenklicher wird der pensionierte Pfarrer Dieter Ziebarth. Das geht dem rüstigen Rentner mit dem braun gebrannten Gesicht und den kurzen weißen Haaren jedes Jahr so, seit 1976:
"Dieses Ereignis wird man ja nie vergessen, und zum anderen ist er eben auch ein Freund und Kollege von mir gewesen, und insofern denke ich immer, wenn der August kommt, besonders an dieses Ereignis."
Was an jenem Tag vor 40 Jahren in Zeitz geschah, wurde oft beschrieben. Früh am Morgen schneidet Pfarrer Oskar Brüsewitz im Kirchgarten von Rippicha alle Rosen und verteilt sie in der Wohnung. Er umarmt seine Frau, frühstückt mit ihr und den Töchtern, setzt sich in seinen Wartburg und fährt fünf Kilometer bis zur Michaeliskirche in Zeitz. Der 47-Jährige stellt Schilder auf:
"Funkspruch an alle… Funkspruch an alle… Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen."
Einige hundert Schaulustige versammeln sich. Auf einmal nimmt der hagere Mann mit den blonden strubbeligen Haaren eine Milchkanne aus dem Auto, übergießt sich mit Benzin, entzündet seinen Talar mit einem Streichholz. 20 Meter soll er über den Kirchplatz gelaufen sein, lichterloh brennend. Vier Tage später stirbt Pfarrer Oskar Brüsewitz im Krankenhaus. Die Stasi hat nicht zugelassen, dass seine Frau und die beiden Töchter ihn noch einmal besuchen.
"Ich werde dann gehen", dieser Satz seines Amtsbruders hat Dieter Ziebarth viele schlaflose Nächte gekostet, bekam er doch nach der Selbstverbrennung eine ganz neue Bedeutung.
Brüsewitz und Ziebarth trafen sich erstmals 1970 in Zeitz:
"Wir waren die beiden, die im Jahr 1970 etwa zur gleichen Zeit im Kirchenkreis anfingen. Also wir haben uns besucht, uns kennen gelernt. Was wir gemerkt haben, dass wir sehr verschieden sind, nicht nur von der Persönlichkeit, auch vom Bildungsweg, aber dass wir eigentlich wunderbar zusammen arbeiten konnten."
Beiden liegt christliche Jugendarbeit besonders am Herzen. Brüsewitz war so, wie man in der DDR gar nicht sein konnte, erinnert sich Dieter Ziebarth. Er hält auf dem Kirchengelände Hühner und Schafe, baut ohne Genehmigung einen Spielplatz, spielt mit den Kindern Fußball, organisiert Kinderfeste.
Der Mann aus dem Memelland gilt als witzig, charmant, originell, unangepasst, ist bekannt für seine spektakulären Aktionen. Der Stasi entgeht nichts, nicht das Spruchband "2000 Jahre Kirche Jesu Christi", das Brüsewitz als Antwort auf die Losung "25 Jahre DDR" aufhängt. Und schon gar nicht das etwa fünf Meter hohe Neonkreuz auf dem Kirchturm.
"Und das nun in der DDR, wo der gesamte Außenraum dem Staat gehörte und ohne irgendeine Genehmigung überhaupt nichts möglich war. Er hatte das nicht mal mit uns besprochen, noch hatte er sich irgendeine Genehmigung eingeholt, das hing eben einfach da!"
Pfarrer mit Leib und Seele
Keiner von uns Pfarrern war so kompromisslos und stur wie Oskar, erzählt Dieter Ziebarth über seinen Freund. Er stellte uns immer vor vollendete Tatsachen. Für die Kollegen und die Kirchenleitung eine Herausforderung:
"Ich entferne das Kreuz nicht und ihr doch hoffentlich auch nicht! Dann sitzt man natürlich da, ich bin vorher nicht gefragt worden und jetzt heißt es, du kannst mich doch hier nicht alleine lassen. Das haben wir ja auch nicht gemacht, wir fanden das auch ganz toll, wir wären aber nie auf die Idee gekommen."
Bewunderung schwingt mit, wenn er über seinen Amtsbruder, den Pfarrer mit Leib und Seele spricht:
"Also erstmal sehr quirlig und lebendig. Zweitens sehr spontan, das war immer schon so. Also es war immer klar, was Oskar sich in den Kopf gesetzt hat, das wird er machen, da wird ihn niemand davon abbringen, weder seine Frau, noch wir, noch sonst wer."
Der aufmüpfige Pfarrer wird jahrelang akribisch von der Stasi beobachtet. Die Zersetzungsmethoden zeigen Wirkung, seine Scheune wird angezündet, die Stasi schickt anonyme Briefe an die Kirchenleitung, immer weniger Menschen trauen sich in den Gottesdienst. Schließlich wird die Kirchenleitung aufgefordert, den Pfarrer, der gegen den Kommunismus predigt, der sich über den Arbeiter-und-Bauern-Staat lustig macht, zu entlassen.
Im Juli 1976 ist es soweit. Der zuständige Probst schlägt Brüsewitz in einem persönlichen Gespräch einen Neuanfang in einer anderen Gemeinde vor. Für Ziebarth ist heute klar: Brüsewitz hat den Vorschlag des Probstes als Ablehnung verstanden:
"Allein diese Andeutung hat für ihn gereicht, jetzt lässt mich auch die Kirchenleitung fallen. Jetzt will keiner mehr was mit mir zu tun haben, keiner will mehr mitkommen."
"Dass der Knall noch lange nachhallt"
Zwei Tage vor seiner Selbstverbrennung erzählt Oskar Brüsewitz seinem Freund Dieter Ziebarth von dem Gespräch und davon, dass er dann "gehen" werde. Das Wort Selbstmord nimmt der pensionierte Pfarrer bis heute nicht in den Mund. Inzwischen weiß er, dass Brüsewitz seine Selbstverbrennung sorgfältig inszeniert hat, als ein Zeichen für Glaubensfreiheit gegen die Kirchenpolitik der DDR:
"Wenn ich gehe, dann gehe ich so, dass das, was ich gewollt habe, euch jetzt deutlich wird und dass der Knall noch lange nachhallt."
Das Fanal des Oskar Brüsewitz sei zwar nicht der Anfang vom Ende der DDR gewesen, doch zumindest ein Mosaikstein für den Untergang. Noch im gleichen Jahr folgte die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann.