Viele reagierten mit Entsetzen auf das Urteil gegen Kavala, darunter auch der Journalist Deniz Yücel. Man habe Kavala dafür verurteilt, sich für die Belange der kurdischen und armenischen Bürger eingesetzt zu haben, so Yücel. "Das Verfahren war politisch motiviert und selbst für türkische Verhältnisse eine Farce." Schon nach dem Putschversuch 2015 habe Präsident Erdoğan den Justizapparat unter seine Kontrolle gebracht. Nun habe er schlichtweg Rachejustiz verübt. Das habe ihm die westliche Staatengemeinschaft infolge seiner Vermittlungen im Ukraine-Krieg vereinfacht.
"Was wir gerade sehen, ist, dass die westliche Welt, in Reaktion auf den russischen Autokraten Putin, den türkischen Autokraten Erdoğan aufwertet. Das haben wir letztes Jahr schon gesehen im Zusammenhang mit Afghanistan. Das ist fatal und für den Westen keine gute Idee, denn Autokraten sind einander ähnlich und auch Erdoğan hat in der Vergangenheit Kriege geführt." Nun sei es wichtig es, Osman Kavala nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
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Lebenslange Haft für Osman Kavala
Mahnwache des PEN-Zentrums für den Verleger und Kulturmäzen Osman Kavala vor der türkischen Botschaft im Oktober 2020. © picture alliance / dpa / Christophe Gateau
„Eine persönliche Vendetta Erdoğans“
06:19 Minuten
Der türkische Kulturförderer und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala soll lebenslang ins Gefängnis, ohne Aussicht auf Entlassung. Das Urteil eines Istanbuler Gerichts stößt auf Entsetzen und Kritik.
Wegen eines angeblichen Umsturzversuches hat ein Istanbuler Gericht den Kulturförderer und Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala zu lebenslanger Haft verurteilt. Der 64-Jährige wurde wegen der Finanzierung landesweiter Demonstrationen im Jahr 2013 des Putschversuchs für schuldig befunden.
In seiner letzten Stellungnahme vor der Urteilsverkündung hatte Kavala den Antrag der Staatsanwaltschaft auf lebenslänglich als "Mordanschlag mit Hilfe der Justiz" bezeichnet. Der Kulturmäzen weist die Vorwürfe im Zusammenhang mit den Protesten im Gezi-Park in Istanbul zurück.
Kavalas Verurteilung löste scharfe Kritik aus. Anwesende Oppositionelle und Menschenrechtler brachten mit lauten Rufen in Richtung Richtergremium ihr Entsetzen zum Ausdruck. Amnesty international spricht von "reinster Willkür".
"Ein Schlag in die Magengrube"
Viele Beobachter hätten dieses Urteil erwartet, sagt Kristian Brakel, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Trotzdem sei es dann „ein Schlag in die Magengrube“ gewesen. Die Hoffnung, dass der türkische Staat vielleicht doch noch auf Forderungen aus den USA und Europa eingehen könnte, Kavala freizulassen, habe sich nicht erfüllt.
Selbst aus der Sicht eines autoritären Systems erschließt sich Brakel der „Mehrwert“ des jetzigen Urteils nicht: „Die Lage für Nichtregierungsorganisationen, für die Opposition, für Kulturschaffende ist schon angespannt“, betont er. Das Urteil füge dem nichts Neues hinzu.
Der Prozess habe sehr wenig mit Fakten zu tun gehabt, sagt Brakel: „Es geht anscheinend um eine persönliche Vendetta des türkischen Präsidenten Erdoğan.“ Das Urteil zeige auch, dass die scheinbare Entspannung, die zwischen EU und Türkei in der vergangenen Zeit zu beobachten gewesen sei, innenpolitisch nicht gelte: „Hier geht es repressiv weiter, hier geht es weiter bergab.“
Die Kritiker sollen schweigen
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte den Prozess als Teil einer Kampagne Erdoğans gewertet, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Menschengerichtshof ordnete Ende 2019 die Freilassung Kavalas an, der sich mit zivilgesellschaftlichen Projekten für einen Wandel in der Türkei eingesetzt hatte und zuletzt viereinhalb Jahre ohne Verurteilung im Gefängnis saß.
Mit dem Urteil droht der Türkei nun ein Ausschluss aus dem Gerichtshof für Menschenrechte, einer Institution des Europarats. Für die lebenslange Haftstrafe wegen Putschversuchs gibt es den Angaben zufolge keine Bewährung. Zusammen mit Kavala wurden sieben weitere Personen zu langen Haftstrafen verurteilt.
(mit rtr)