Ost-Beziehungen

Harte Sanktionen nur "Ultima Ratio"

Rainer Lindner im Gespräch mit Nana Brink |
Vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel hat der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner, vor harten Wirtschaftssanktionen gegen Russland gewarnt. Gleichzeitig setze Russland sein Image als Investitionsstandort aufs Spiel.
Nana Brink: Es bedurfte ja nicht erst der Krim-Krise, um zu zeigen, dass Russlands Wirtschaft alles andere als rund läuft. Präsident Putin gibt sich zwar unbeeindruckt, aber viele russische Unternehmen blicken angstvoll nach Brüssel: Wird es weitreichende Sanktionen des Westens geben? Sie könnten heute beschlossen oder zumindest auch beraten werden beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und -Regierungschefs. Und dabei geraten die russischen Geschäfte deutscher Unternehmen immer mehr in den Fokus.
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Rainer Lindner ist Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und jetzt bei uns. Schönen guten Morgen, Herr Lindner!
Rainer Lindner: Guten Morgen!
Brink: Was bedeutet denn das, was wir gerade gehört haben, für Russland?
Lindner: Zunächst mal sehen Sie an diesen beiden Fällen, dass im Grunde das Russland-Geschäft der deutschen Wirtschaft in einer Art – wie soll ich sagen? – täglichem Geschäftsmodus sich befindet. Es gibt viele solcher Deals, die auch in diesen Tagen überlegt, geprüft, vielleicht auch auf Eis gelegt werden. Aber das ist im Grunde der normale Modus, dass wir im Grunde jede zweite Woche irgendein Geschäft mit den russischen Kollegen abschließen. Das steht jetzt natürlich auf dem Prüfstand, insbesondere dann, wenn es sich natürlich um sensible Themen wie Energie oder eben gar Rüstung handelt. Ich glaube, das sind Themen, die man jetzt in der Tat natürlich auch vor solchen Gipfeltreffen wie dem heutigen noch mal auf den Prüfstand nimmt, ich glaube nicht, dass man langfristig so weit gehen wird, um Handelsbeziehungen insgesamt zu unterbrechen. Das würde sowohl Deutschland wie auch Russland, glaube ich, nicht gut bekommen.
Brink: Aber die Nervosität aufseiten der russischen Geschäftspartner ist doch groß. Was hören Sie?
Unternehmer voll auf Linie mit Putin
Lindner: Wir hören zwei Dinge. Einmal hören wir, dass die Unternehmer in Russland voll auf der Linie ihres Präsidenten sind. Selbst diejenigen, die wir lange Zeit als liberale Unternehmer mit hohem Anteil an Geschäft in Europa haben, sagen, das ist genau die richtige Linie. Also, das ist sozusagen die eine Seite. Die zweite Seite ist in der Tat eine gewisse Sorge, ob jetzt die lange Jahre gewachsenen Beziehungen – nicht zuletzt zur deutschen Wirtschaft, aber auch zur europäischen Wirtschaft insgesamt – auf dem Spiel stehen. Und hier gibt es natürlich auch noch keinerlei Vorstellungen. Im Übrigen, auch wir als deutsche Wirtschaft können uns noch nicht ausmalen, was harte Wirtschaftssanktionen bedeuten würden. Es gibt ja diese Stufe drei, die angekündigt wurde von der Bundeskanzlerin und von der Europäischen Union, die dann in Kraft träte, beispielsweise wenn jetzt in der Ostukraine womöglich sich militärisch engagiert würde. Das heißt, wir haben noch keine Vorstellung, welche Art von Sanktionen auf die deutsche Wirtschaft zukommt, das Gleiche gilt für die Russen.
Brink: Aber Sie haben ja erwähnt, die russische Seite würde voll auf Linie ihres Präsidenten stehen. Das ist doch eigentlich auch für die deutschen großen Wirtschaftsunternehmen zumindest der Fall, die haben ja Bundeskanzlerin Merkel schon Unterstützung bei Sanktionen signalisiert!
Lindner: Na ja, wir haben immer gesagt, dass … Gerade der Ost-Ausschuss hat sich ja insbesondere auch explizit geäußert, dass wir natürlich den Primat der Politik anerkennen, das ist selbstverständlich, das war auch in früheren Jahrzehnten so, ich erinnere an ein Erdgasröhrenembargo-Problem vor allem in den 60er-Jahren. Das Primat der Politik muss gelten. Gleichwohl sagen wir: Harte Wirtschaftssanktionen, also, ich sage mal, Lieferunterbrechungen, Restriktionen bei Exporten und Importen, Investitionsstopp, das sind natürlich Mittel, die in der Tat uns als äußerste Maßnahme erscheinen und wo wir hoffen, dass bis dahin noch Möglichkeiten auch im politischen Raum geprüft werden. Das muss wirklich die Ultima Ratio sein.
Brink: Dann entnehme ich Ihren Äußerungen, dass Sie das alles eigentlich möglichst tief hängen wollen?
Lindner: Wir sollten jetzt schauen, gibt es nicht noch, gerade jetzt, nachdem Russland auch gegen das Völkerrecht Tatsachen auf der Krim geschaffen hat, aber auch wir jetzt hoffen, dass es keine weitere Entwicklungen in dieser Richtung gibt, dass jetzt natürlich die Europäische Union nach Möglichkeiten sucht, zum Beispiel mit der OSCE-Beobachtermission, die ja jetzt gerade in die Ukraine entsandt werden soll – Russland scheint ja dem Vernehmen nach dem zuzustimmen –, dass man jetzt wieder in eine Art Modus kommt, den man wieder als politischen Prozess bezeichnen kann, wo es Beobachtungen gibt, wo es Bewertungen gibt, wo man sich dann womöglich auch zwischen Russland und Ukraine an einen Tisch setzen kann. Das heißt, wir brauchen einen neuen Modus, dafür brauchen wir vor allem auch eine neue ukrainische Regierung, die auch von Russland anerkannt wird. Und wir brauchen sicherlich eine Art von Kontaktgruppe, das ist ja lange gefordert, in der man dann die Modalitäten der weiteren Beziehungen auch im wirtschaftlichen Bereich besprechen kann.
Brink: Gehen wir noch mal auf die wirtschaftlichen Verpflichtungen zwischen Deutschland und Russland zurück! Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte ja seine Strategie ursprünglich darauf ausgerichtet, Russland bei der Modernisierung zu helfen. Läuft jetzt Russland Gefahr, diese Modernisierung aufs Spiel zu setzen?
Russland setzt Image als Investitionsstandort aufs Spiel
Lindner: Das ist natürlich ein ganz dramatischer Prozess für Russland im Moment. Russland setzt im eigentlichen Sinne gerade auch sein Image als Investitionsstandort aufs Spiel, ehrlich gesagt. Wenn wir bedenken, dass mehr als 50 Prozent der russischen Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union erfolgen, haben wir einen Eindruck, was da auch an Risiko in dieser Politik steckt. Das kann eigentlich auch Russland nicht wollen, dass langfristig auch sein Image als zum Beispiel interessanter, auch was die Lohnkosten betrifft, interessanter Produktionsstandort, etwa für die deutsche Automobilindustrie, aufs Spiel gesetzt wird. Und so weiter! Das heißt, es ist ein hohes Risiko, das jetzt auch an den russischen Märkten, an den Finanzmärkten, auch übrigens an den wirtschaftlichen Erwartungen für Russland, die sind gestern noch mal deutlich heruntergesetzt worden, die Konjunkturerwartungen für Russland haben nachgegeben …
Brink: Ja, der stellvertretende Handelsminister spricht ja von einer ernsthaften Krise, das ist ja schon bemerkenswert deutlich!
Lindner: Das ist ein deutliches Signal auch nach innen, glaube ich. Weil, wenn Russland sich etwas jetzt nicht leisten kann, dann ist es eine langfristige Unterbrechung einer Modernisierungsstrategie. Und wir als deutsche Wirtschaft sind natürlich eigentlich der Wunschpartner als Modernisierungspartner gewesen.
Brink: Also auch ein Partner, der sich nicht zurückziehen darf?
Lindner: Der sollte sich nicht zurückziehen, weil, ich meine … Wissen Sie, die Menschen in Russland, die haben ja … Und das hat sich jetzt deutlich gezeigt … Man will zwar westlich leben und sich mit den Konsumgütern des Westens auch künftig ausstatten und auch gewissen Standard nicht verlieren, aber man möchte nicht Westen sein. Und das wird irgendwann nicht funktionieren, diese Spannung wird irgendwann nicht funktionieren, weil ein marktwirtschaftliches Modell nun mal auch an Werte und an gewisse demokratische Freiheiten gebunden ist. Diese Spannung wird man nicht aufgeben können und deswegen braucht auch die russische Wirtschaft die deutsche und umgekehrt natürlich, wenn es um Energielieferungen geht, wir natürlich ganz klar auch die russische.
Brink: Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Schönen Dank, Herr Linder, für das Gespräch hier mit der "Ortszeit"!
Lindner: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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