Erler (SPD): Moskau will Maidan nicht zum Erfolg werden lassen
Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), hat die Russen aufgefordert, deeskalierend auf die Situation in der Ostukraine einzuwirken. Russland könnte den Separatisten etwa signalisieren, Referenden nicht anzuerkennen.
Julius Stucke: Am Donnerstag will man sich zusammensetzen, Vertreter der EU, der Ukraine, Russland und aus den USA, an einem Tisch in Genf gemeinsam nach einer Lösung für die Krise in und um die Ukraine suchen. Dass es dringend nötig ist, sich zusammenzusetzen, dafür brauchte es ja eigentlich keinen weiteren Grund. Aber nun gibt es seit diesem Wochenende einen weiteren, eine weitere Eskalation im Osten des Landes.
Prorussische Kräfte besetzten Gebäude, die Regierung in Kiew schickte Einsatzkräfte, es gab Gewalt, Verletzte und Tote. Kiew und Moskau geben sich gegenseitig die Schuld an der Lage. Wie viel kann ein diplomatisches Treffen da noch erreichen, und wer muss welchen Schritt dabei machen? Darüber spreche ich mit Gernot Erler, SPD-Bundestagsabgeordneter, er koordiniert für die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit Russland und mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft. Guten Morgen, Herr Erler!
Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Stucke!
Stucke: Herr Erler, wenn schon das Treffen des UN-Sicherheitsrats heute Morgen ohne Ergebnis beendet wurde, was kann man da noch erwarten von dem Vierergipfel in Genf?
Erler: Auf jeden Fall ist das ein wichtiges Treffen. Denn ich meine, das war eine Forderung von mehreren Seiten, ganz besonders auch von Deutschland immer, dass es irgend so etwas wie eine Kontaktgruppe gibt, dass es vor allen Dingen zu direkten Gesprächen zwischen der Ukraine und der russischen Föderation kommt. Und das wäre jetzt das erste Mal seit dieser ganzen Krise, dass es zu solchen direkten Gesprächen außer ein paar Telefongesprächen kommt. Und da ja auch noch als Vermittler am Tisch die EU sitzt mit Frau Ashton und mit dem Außenminister aus Washington Kerry, kann man trotzdem erwarten, dass hier zumindest das ein wichtiger Schritt ist, dass ein solches Gespräch stattfindet.
Stucke: Also, der Erfolg ist das Gespräch an sich. Aber darüber hinaus erwarten Sie sich was?
"Der ukrainische Übergangspräsident spricht von Krieg"
Erler: Es wird jetzt sicher zu einem Austausch von Positionen kommen. Denn wir sehen ja, dass sich das auch am Wochenende zugespitzt hat. Der ukrainische Übergangspräsident Turtschinow, der spricht von Krieg, der von Moskau geführt wird; aus Russland hört man, man sei nicht verantwortlich für das, was in der Ostukraine passiert. Also, das sind ja Dinge, über die man sprechen muss, wo man auch die Fakten und Daten austauschen muss, die man hat, um überhaupt mal zu einer gemeinsamen Position zu kommen, was vor Ort vorgeht. Das ist ja auch für die ganze Regierung außerordentlich gefährlich, was da passiert.
Stucke: Wie viel der Verantwortung für diese erneute Eskalation trägt denn Ihrer Ansicht nach Russland?
Erler: Ich kann mich natürlich auch nur jetzt beziehen auf die Berichte, die wir bekommen haben. Es wird von verschiedener Seite beobachtet, dass die Kräfte sehr nach denen aussehen, die man schon von der Krim her kennt. Und es gibt sogar Nachrichten darüber, dass einzelne Personen dort wiedererkannt worden sein sollen. Das würde da natürlich für eine organisierte Aktion der russischen Seite sprechen. Aber es ist natürlich auch so, dass es genügend auch radikale Kräfte Russisch sprechender Bürger in der Ostukraine gibt, die auch gut genug dafür wären, solche Zwischenfälle zu provozieren, sodass also die Tatsache alleine, dass es zu solchen Zwischenfällen gekommen ist, noch kein Beweis dafür ist, dass die auch organisiert worden sind von russischer Seite.
Stucke: Herr Erler, aber selbst wenn das nicht zu beweisen ist, wäre es dann trotzdem jetzt an der Zeit für Russland zu sagen, wir gehen einen Schritt in Richtung Deeskalation, indem wir uns von diesen Geschehnissen abgrenzen und ganz klar sagen, damit haben wir nichts zu tun und wir kritisieren das auch?
Erler: Eindeutig ja. Das ist ja auch die Aufforderung, die der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier jetzt mehrfach an die russische Seite gerichtet hat, nämlich einen Schritt zur Deeskalation zu tun. Es wäre ja schon von großer politischer Bedeutung, wenn es mal eine russische Äußerung gäbe, dass man in keiner Weise vorhat, das Krim-Szenario fortzusetzen oder irgendwelche Referenden auch nur anzuerkennen, die dort ausgerufen oder durchgeführt werden. Das würde wahrscheinlich zur Beruhigung der Situation erheblich beitragen, aber bisher vermissen wir eine solche Äußerung aus Moskau.
Stucke: Sie haben es in mehreren Interviews in der vergangenen Zeit gesagt, Russland treibe sich da gerade in die Selbstisolation. Können Sie dieses Verhalten noch verstehen?
"Moskau ist bereit, erhebliche Risiken einzugehen"
Erler: Ich glaube, dahinter steckt die Entschlossenheit, das, was auf dem Maidan passiert ist, nicht zum Erfolg werden zu lassen, um im Grunde genommen genügend Vorwände zu haben, um der ukrainischen Seite Unfähigkeit, Chaos und so weiter vorzuwerfen. Moskau will nicht, dass am Ende der Maidan – also, das ist die Kurzform natürlich für alles, was dort passiert ist – mit dem erfolgreichen Regime-Change von unten tatsächlich Bestand hat. Und dafür ist Moskau ganz offensichtlich auch bereit, erhebliche Risiken einzugehen. Und zu diesen Risiken gehört auch die politische Isolierung.
Stucke: Wenn wir diese Bereitschaft zur politischen Isolierung nehmen, wenn wir den mangelnden Willen zur Deeskalation nehmen, wäre es dann an der Zeit, mehr Druck auf Russland zu machen?
Erler: Wenn man sicher sein könnte, dass mehr Druck auch mehr Erfolg erreichen würde, würde man wahrscheinlich diese Frage bejahen müssen. Aber bisher muss man ja leider auch feststellen, dass das, was vollzogen worden ist an Maßnahmen, an Sanktionen, oder auch das, was angedroht worden ist, keinen durchschlagenden Erfolg hatte. Wobei eben ja die nächste Stufe von Sanktionen geknüpft ist an ein weiteres Vorgehen in der Ostukraine, was ja aber Russland gerade bestreitet, dass es das im Augenblick macht. Das ist also eine schwierige Situation. Jeder versucht, dem anderen die Schuld für die Vorgänge in die Schuhe zu schieben, und es ist nicht leicht, von außen hier sich ein objektives Bild zu machen.
Stucke: Also eine schwierige Ausgangslage für die Gespräche zwischen EU, Ukraine, USA und Russland in dieser Woche. Das waren Einschätzungen von Gernot Erler, SPD-Bundestagsabgeordneter und Koordinator für die Zusammenarbeit mit Russland. Herr Erler, vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!
Erler: Gerne!
Stucke: Und wie es vor Ort aussieht in der Ukraine aussieht, darüber spreche ich gegen zehn nach sieben mit unserer Korrespondentin vor Ort.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.