Ostasien-Experte: China ökonomisch weiter erfolgreich
Der Ostasienwissenschaftler Thomas Heberer sieht die chinesische Regierung trotz sinkender Wachstumsraten auf erfolgreichem Wirtschaftskurs. 7,5 Prozent Wachstum im Quartal seien zwar der schwächste Wert seit 1990, dennoch aber immer noch ein "Traumergebnis auf der internationalen Bühne".
Korbinian Frenzel: Wenn in China ein Sack Reis umkippt, dann interessiert uns das schon irgendwie, so pazifisch sind unsere Zeiten, dass wir aus der alten Welt heraus schon seit Jahren gebannt auf das schauen, was eine einzige Aufstiegsgeschichte ist: die Geschichte Chinas. Das Land beeindruckt seit gut 30 Jahren mit enormen Wachstumsraten, zehn Prozent und mehr. China leiht der ganzen Welt Geld, vor allem den Amerikanern, und aus dem Armenhaus ist innerhalb von ein, zwei Generationen eine Wirtschaftsmacht geworden. Das ist das Bild, das wir haben, das ist ein Bild, das wir aber vielleicht ein wenig korrigieren müssen, nach unten, wie die Ökonomen sagen. Heute legt die Regierung in Peking Quartalszahlen zum Wachstum vor, und die deuten auf Abkühlung,
Beitrag in Ortszeit, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio)
wie Markus Rimmele berichtet.
Frenzel: Chinas Wirtschaft wächst also weniger stark. Wie sehr muss uns das Sorgen bereiten? Muss es das überhaupt? Fragen, die uns Thomas Heberer beantworten kann, Professor für Politik und Gesellschaft Chinas an der Universität Duisburg-Essen, jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Thomas Heberer: Guten Morgen, Herr Frenzel.
Frenzel: 7,5 Prozent Wachstum, das klingt in europäischen Ohren ja alles andere als dramatisch; ganz im Gegenteil, wir würden uns ja schon über die Hälfte freuen. Warum ist das für China ein Problem?
Heberer: Es ist das schwächste Wachstum seit 1990. Und von daher machen sich die Chinesen schon Sorgen. Aber ich glaube, man muss es etwas anders sehen, nämlich in dieser Hinsicht, dass China gegenwärtig an der Umstrukturierung seiner Wirtschaft arbeitet. Das war auch im letzten Jahr und im vorletzten Jahr schon erkennbar, dass die Eurokrise und der schwächelnde Export nach Europa viele Industriezweige in die Krise gebracht haben. Und deswegen will man jetzt umstrukturieren in Richtung auf den Binnenmarkt und auf den Dienstleistungssektor. Und weg vom Export.
Frenzel: Das heißt, die Chinesen sollen selbst mehr konsumieren, selbst mehr einkaufen, damit die Wirtschaft funktioniert.
Heberer: Genau. Das ist gar nicht so neu, denn China folgt in gewisser Weise dem Modell Japans, Südkoreas und Taiwans, wo auch zunächst Billigwaren produziert wurden, die exportiert wurden. Von den Einnahmen wurden sozusagen dann die Industrien höher heraufgestuft, höherwertige Produkte hergestellt und vom Export ein Stück weggegangen in Richtung auf den Binnenmarkt. Also durchaus etwas, was schon Erfahrung in Ostasien birgt.
Frenzel: Nun ist China ein besonderer Fall, weil es ja so enorm groß ist, so viele Menschen hat. Ich habe gelesen, dass acht Mega-Citys jetzt planen, strenge Regeln einzuführen für das Autofahren, für den Autobesitz. Das wird ganz konkret bedeuten, das hat die chinesische Autoindustrie auch schon beklagt, dass weniger Autos verkauft werden. Stößt China da, jetzt wo es den Binnenmarkt stärken will, auf die natürlichen Grenzen des Wachstums?
Heberer: Es stößt auch an natürliche Grenzen. Nicht nur im Bereich der Ökologie und Umweltschutz, sondern auch die Arbeitskosten sind gestiegen, sodass jetzt Billigproduktion verlagert wird nach Südostasien, in Länder wie Vietnam oder Laos. Also von daher würde ich auch sagen, stößt an Grenzen des Wachstums. Aber auf der anderen Seite muss man sehen, dass 7,5 Prozent, wie Sie selber eben gesagt haben, noch ein Traumergebnis auf der internationalen Bühne darstellen.
Frenzel: Wir sind ja in den letzten Jahren immer wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass China immer wichtiger, immer mächtiger, wirtschaftlich auch immer stärker wird. Ist das eine lineare Entwicklung, die sich jetzt trotz der Einbußen des reduzierten Wachstums fortsetzen wird, oder müssen wir auch damit rechnen, dass es eventuell eine ganz andere Entwicklung geben kann, dass China zerfällt?
Heberer: Damit müssen wir momentan noch nicht rechnen. Man hat ja gesagt, dass zwischen fünf und sechs Prozent Wachstum pro Jahr nötig sind, um die entsprechenden Arbeitsplätze zu schaffen und auch die Einnahmen für den Staat zu generieren. Und unter diese Grenze zu fallen, davon ist China noch weit entfernt. Aber es muss jetzt eben umstrukturieren. Es gibt zu viele Überkapazitäten in einzelnen Branchen, und China will da mit Betriebsstilllegungen reagieren. Es gibt eine zu starke Förderung immer noch des Staatssektors, obwohl der Privatsektor 90 Prozent aller Betriebe ausmacht. Aber der Staatssektor bekommt Vorzüge in Hinblick etwa auf die Kreditvergabe. Und gerade, was die Kreditpolitik anbelangt, will China die Vergabe an alte Industrien und an Industrien, die sozusagen Überkapazitäten produzieren, rigoros einschränken. Und das ist, glaube ich, ein Umbau, der einfach erforderlich ist.
Frenzel: Kredit ist ja so ein Stichwort. Im Inland, aber auch im Ausland, China ist einer der großen Gläubiger. Die USA haben enorme Schulden in China – kann es denn sein, dass ein Szenario eintritt wie in den 30er-Jahren? Da war es so, dass die Amerikaner den Europäern viel Geld geliehen haben, dann in die Krise kamen, das Geld zurückgeholt haben und damit eine Wirtschaftskrise ausgelöst haben. Kann so was auch passieren, dass die Chinesen ihr Geld abziehen?
Heberer: Ich glaube, der Kernfaktor ist momentan, dass die Banken alle noch in Staatseigentum sind, und das war weder in den 30er-Jahren in Europa und Nordamerika der Fall noch ist es heute in Europa und Nordamerika der Fall. Und der Staat kann sozusagen jederzeit eingreifen in das Bankensystem und umstrukturieren, was er jetzt auch sagt. Indem die Zentralbank die Auflage bekommen hat, die Ausgabe von Mitteln für die Banken, für die Kreditvergabe rigoros einzuschränken und stärker zu kontrollieren. Also von daher sehe ich diese Gefahr momentan nicht.
Frenzel: Ist denn das chinesische politische Modell auch ein Modell, das funktioniert, um einen solchen Umbau zu gestalten, oder wird die kommunistische Partei da an ihre Grenzen stoßen?
Heberer: Man kann es nie ausschließen, dass sie an ihre Grenzen stößt, aber momentan kann man davon ausgehen, dass die Umstrukturierung der Wirtschaft im Mittelpunkt steht, nicht politische Reformen, und dass sie hier durchaus Wege beschreitet, die in Ostasien schon abgesichert wurden durch Erfahrung, und dass sie das durchaus erfolgreich bewerkstelligen können.
Frenzel: Aber wenn das Wachstum ausbleibt, damit die Erfolge, die auch den Bürgern geboten werden können, dann könnte die politische Krise doch schon folgen, oder?
Heberer: Ja, wenn es eine tatsächliche Wirtschaftskrise geben würden, dann würde das auch sicher zu einer gesellschaftlichen und politischen Krise führen. Aber davon ist gegenwärtig meines Erachtens das Land noch weit entfernt. Es gibt so viele innovative Bereiche, und es gibt eine Wirtschaftspolitik, die autoritär gesteuert ist, aber bislang erfolgreich ist.
Frenzel: Chinas Wirtschaft, unsere Sorgen darüber. Gesprochen habe ich mit Professor Thomas Heberer von der Universität Duisburg-Essen. Vielen Dank dafür!
Heberer: Ja, nichts zu danken. Bis dann, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Frenzel: Chinas Wirtschaft wächst also weniger stark. Wie sehr muss uns das Sorgen bereiten? Muss es das überhaupt? Fragen, die uns Thomas Heberer beantworten kann, Professor für Politik und Gesellschaft Chinas an der Universität Duisburg-Essen, jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Thomas Heberer: Guten Morgen, Herr Frenzel.
Frenzel: 7,5 Prozent Wachstum, das klingt in europäischen Ohren ja alles andere als dramatisch; ganz im Gegenteil, wir würden uns ja schon über die Hälfte freuen. Warum ist das für China ein Problem?
Heberer: Es ist das schwächste Wachstum seit 1990. Und von daher machen sich die Chinesen schon Sorgen. Aber ich glaube, man muss es etwas anders sehen, nämlich in dieser Hinsicht, dass China gegenwärtig an der Umstrukturierung seiner Wirtschaft arbeitet. Das war auch im letzten Jahr und im vorletzten Jahr schon erkennbar, dass die Eurokrise und der schwächelnde Export nach Europa viele Industriezweige in die Krise gebracht haben. Und deswegen will man jetzt umstrukturieren in Richtung auf den Binnenmarkt und auf den Dienstleistungssektor. Und weg vom Export.
Frenzel: Das heißt, die Chinesen sollen selbst mehr konsumieren, selbst mehr einkaufen, damit die Wirtschaft funktioniert.
Heberer: Genau. Das ist gar nicht so neu, denn China folgt in gewisser Weise dem Modell Japans, Südkoreas und Taiwans, wo auch zunächst Billigwaren produziert wurden, die exportiert wurden. Von den Einnahmen wurden sozusagen dann die Industrien höher heraufgestuft, höherwertige Produkte hergestellt und vom Export ein Stück weggegangen in Richtung auf den Binnenmarkt. Also durchaus etwas, was schon Erfahrung in Ostasien birgt.
Frenzel: Nun ist China ein besonderer Fall, weil es ja so enorm groß ist, so viele Menschen hat. Ich habe gelesen, dass acht Mega-Citys jetzt planen, strenge Regeln einzuführen für das Autofahren, für den Autobesitz. Das wird ganz konkret bedeuten, das hat die chinesische Autoindustrie auch schon beklagt, dass weniger Autos verkauft werden. Stößt China da, jetzt wo es den Binnenmarkt stärken will, auf die natürlichen Grenzen des Wachstums?
Heberer: Es stößt auch an natürliche Grenzen. Nicht nur im Bereich der Ökologie und Umweltschutz, sondern auch die Arbeitskosten sind gestiegen, sodass jetzt Billigproduktion verlagert wird nach Südostasien, in Länder wie Vietnam oder Laos. Also von daher würde ich auch sagen, stößt an Grenzen des Wachstums. Aber auf der anderen Seite muss man sehen, dass 7,5 Prozent, wie Sie selber eben gesagt haben, noch ein Traumergebnis auf der internationalen Bühne darstellen.
Frenzel: Wir sind ja in den letzten Jahren immer wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass China immer wichtiger, immer mächtiger, wirtschaftlich auch immer stärker wird. Ist das eine lineare Entwicklung, die sich jetzt trotz der Einbußen des reduzierten Wachstums fortsetzen wird, oder müssen wir auch damit rechnen, dass es eventuell eine ganz andere Entwicklung geben kann, dass China zerfällt?
Heberer: Damit müssen wir momentan noch nicht rechnen. Man hat ja gesagt, dass zwischen fünf und sechs Prozent Wachstum pro Jahr nötig sind, um die entsprechenden Arbeitsplätze zu schaffen und auch die Einnahmen für den Staat zu generieren. Und unter diese Grenze zu fallen, davon ist China noch weit entfernt. Aber es muss jetzt eben umstrukturieren. Es gibt zu viele Überkapazitäten in einzelnen Branchen, und China will da mit Betriebsstilllegungen reagieren. Es gibt eine zu starke Förderung immer noch des Staatssektors, obwohl der Privatsektor 90 Prozent aller Betriebe ausmacht. Aber der Staatssektor bekommt Vorzüge in Hinblick etwa auf die Kreditvergabe. Und gerade, was die Kreditpolitik anbelangt, will China die Vergabe an alte Industrien und an Industrien, die sozusagen Überkapazitäten produzieren, rigoros einschränken. Und das ist, glaube ich, ein Umbau, der einfach erforderlich ist.
Frenzel: Kredit ist ja so ein Stichwort. Im Inland, aber auch im Ausland, China ist einer der großen Gläubiger. Die USA haben enorme Schulden in China – kann es denn sein, dass ein Szenario eintritt wie in den 30er-Jahren? Da war es so, dass die Amerikaner den Europäern viel Geld geliehen haben, dann in die Krise kamen, das Geld zurückgeholt haben und damit eine Wirtschaftskrise ausgelöst haben. Kann so was auch passieren, dass die Chinesen ihr Geld abziehen?
Heberer: Ich glaube, der Kernfaktor ist momentan, dass die Banken alle noch in Staatseigentum sind, und das war weder in den 30er-Jahren in Europa und Nordamerika der Fall noch ist es heute in Europa und Nordamerika der Fall. Und der Staat kann sozusagen jederzeit eingreifen in das Bankensystem und umstrukturieren, was er jetzt auch sagt. Indem die Zentralbank die Auflage bekommen hat, die Ausgabe von Mitteln für die Banken, für die Kreditvergabe rigoros einzuschränken und stärker zu kontrollieren. Also von daher sehe ich diese Gefahr momentan nicht.
Frenzel: Ist denn das chinesische politische Modell auch ein Modell, das funktioniert, um einen solchen Umbau zu gestalten, oder wird die kommunistische Partei da an ihre Grenzen stoßen?
Heberer: Man kann es nie ausschließen, dass sie an ihre Grenzen stößt, aber momentan kann man davon ausgehen, dass die Umstrukturierung der Wirtschaft im Mittelpunkt steht, nicht politische Reformen, und dass sie hier durchaus Wege beschreitet, die in Ostasien schon abgesichert wurden durch Erfahrung, und dass sie das durchaus erfolgreich bewerkstelligen können.
Frenzel: Aber wenn das Wachstum ausbleibt, damit die Erfolge, die auch den Bürgern geboten werden können, dann könnte die politische Krise doch schon folgen, oder?
Heberer: Ja, wenn es eine tatsächliche Wirtschaftskrise geben würden, dann würde das auch sicher zu einer gesellschaftlichen und politischen Krise führen. Aber davon ist gegenwärtig meines Erachtens das Land noch weit entfernt. Es gibt so viele innovative Bereiche, und es gibt eine Wirtschaftspolitik, die autoritär gesteuert ist, aber bislang erfolgreich ist.
Frenzel: Chinas Wirtschaft, unsere Sorgen darüber. Gesprochen habe ich mit Professor Thomas Heberer von der Universität Duisburg-Essen. Vielen Dank dafür!
Heberer: Ja, nichts zu danken. Bis dann, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.