Ostdeutschland

Wohltaten machen aggressiv

Teilnehmer einer Demonstration des Bündnisses Patriotischer Europaeer gegen Islamisierung des Abendlandes (Pegida) sind am Montagabend, den 22.12.2014 auf dem Theaterplatz in Dresden versammelt.
Eine Pegida-Demo in Dresden: Woher stammt die Aggression mancher Ostdeutscher? © imago/Robert Michael
Von Rainer Paris |
Viele Milliarden Euro sind in den vergangenen 25 Jahren von West nach Ost geflossen. Dennoch tun sich speziell viele ostdeutsche Rentner mit Groll und Hass hervor. Woran liegt das? Der Soziologe Rainer Paris hat eine Erklärung.
In Hans Magnus Enzensbergers Erzählung "Josefine und ich" vertritt eine alte Dame haarsträubende Ansichten. Etwa diese: "Dem Wohltäter begegnet stets die Abneigung, ja der mehr oder weniger versteckte Hass seines Opfers. Was glauben Sie, wie die Ostdeutschen unter der Großzügigkeit ihrer Brüder und Schwestern im Westen leiden!"
Nun mag man über die Frage, ob die Westdeutschen tatsächlich großzügig seien, geteilter Meinung sein; der Groll und der Hass speziell der ostdeutschen Rentner sind trotz der vielen Milliarden Euro, die in den letzten 25 Jahren von West nach Ost geflossen sind, jedenfalls nicht zu übersehen.
Gewinner sehen sich benachteiligt
Gerade die in Wirklichkeit Privilegierten und Gewinner von Wohlstandsverschiebungen sind mitunter wild entschlossen, sich als ewig Benachteiligte und Zukurzgekommene zu sehen.
Und wenn schon Ostdeutsche die Veränderungen seit der Einheit als permanente Benachteiligung erleben, was sollen dann erst die Griechen sagen, für die die Zeit der "Hilfsprogramme" sich in der Tat als einschneidende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und oftmals gravierender sozialer Abstieg darstellt?
Dies ist ein grundlegendes sozialpsychologisches Phänomen: Wer über Jahre hinweg faktisch über seine Verhältnisse und letztlich auf Kosten anderer gelebt hat, nimmt das erreichte Konsumniveau gleichwohl als gewohnte Normalität und staatlich garantierte Selbstverständlichkeit wahr, die es um jeden Preis zu verteidigen gilt.
Nichts adaptieren wir schneller als einen höheren Lebensstandard, egal durch welche gesellschaftlichen Prozesse oder Leistungen anderer er schließlich ermöglicht wurde.
Umso dramatischer ist dann der Sturz auf den Boden der Tatsachen. Wenn "Hilfe" einerseits als Bedrohung gewohnter Wohlstandsstandards wahrgenommen wird, gleichzeitig aber die Erkenntnis reift, dass ohne die Unterstützung alles vermutlich noch viel schlimmer würde, so findet man sich in einer mentalen Sackgasse wieder, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt.
Hilfsbedürftigkeit verbittert
Wobei die Tatsache, dass man es letztlich selber war, der diese Situation mit herbeigeführt hat, allerdings tunlichst verdrängt und verleugnet wird: Nicht die eigenen Repräsentanten, die man ihrer Wahlgeschenke wegen ja selbst auf den Schild gehoben hat, sondern externe Feinde, böse Mächte und fremde Politiker, haben die Misere bewusst herbeigeführt, um ihre finsteren Absichten und Eigeninteressen durchzusetzen.
Doch das ist nicht alles. Der eigentliche Grund, weshalb Hilfe oftmals so starke Aggressionen und Erbitterung auslöst, liegt in dem Eingeständnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit. Die Unterstützung wird als elementare Kränkung des Selbst, als Verletzung des eigenen Stolzes erlebt, weil sie vor aller Welt die eigene Selbstständigkeit und Autonomie in Frage stellt.
Sich helfen zu lassen unterstellt, dass man selbst nicht mehr dazu in der Lage sei, seine Probleme und Notsituation mit eigenen Ressourcen und aus eigener Kraft überwinden zu können. Und man bezahlt die Hilfe mit Abhängigkeit.
Dennoch muss es nicht dabei bleiben. Alles Helfen zielt ja letztlich darauf, die Selbständigkeit und Handlungsautonomie des anderen wiederherzustellen und ihn dazu zu befähigen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen.
Kränkung kann heilsam sein
Und sofern dies gelingt, die Erfahrung der Hilfe also gleichzeitig als Zuwachs an Selbständigkeit und Eigenverantwortung erlebt wird, nimmt auch der psychische Zwang möglicherweise ab, Abstieg und Kränkung stets erneut in Ressentiment zu verwandeln.
Es ist gar nicht so selten, dass Hilfe und schmerzhafte Einschnitte, so sehr sie am Anfang vehement abgewehrt wurden, sich auf lange Sicht doch als notwendige Gesundungsschritte herausgestellt haben und am Ende akzeptiert werden.
Rainer Paris, geboren 1948 in Oldenburg, lehrte bis 2013 als Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Letzte Buchveröffentlichung: "Der Wille des Einen ist das Tun des Anderen. Aufsätze zur Machttheorie" (2015).
Mehr zum Thema