Ostermärsche 2022
Die Ostermärsche stecken noch zu sehr in alten Weltbilder fest, meint der Politikwissenschaftler Tobias Debiel. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Viele müssen ihre Weltbilder revidieren
08:03 Minuten
"Frieden schaffen ohne Waffen" - von dem einstigen Slogan der Ostermärsche ist in diesen Tagen nicht mehr viel übrig. Pazifisten müssen sich auf neue Zeiten einstellen, sagt Politologe Tobias Debiel. Doch nicht allen scheint das zu gelingen.
Seit mehr als 60 Jahren demonstrieren Menschen an Ostern für Frieden. In diesem Jahr gibt der Ukrainekrieg der Tradition eine ungeahnte Aktualität, stellt sie aber ebenso infrage. Denn am Verhandlungstisch lässt sich in dem Konflikt derzeit wenig erreichen. Stattdessen scheinen Waffenlieferungen das Gebot der Stunde zu sein.
Die Forderungen sind noch aktuell
Grundsätzlich überholt seien die Forderungen der Friedensbewegung deshalb nicht, sagt Tobias Debiel, Politikwissenschaftler und stellvertretender Direktor am Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg. Schon in den 80er-Jahren sei betont worden, dass sich ein dauerhafter Frieden nicht mit Waffen herstellen lasse "und das ist nach wie vor aktuell".
Der pazifistische Ansatz ziele darauf ab, aus der Kriegslogik auszubrechen und Verhandlungen nicht aus dem Blick zu verlieren. "Das wird in der derzeitigen Aufrüstungsdynamik vernachlässigt. Von daher denke ich, dass Pazifistinnen und Pazifisten nach wie vor eine wichtige Stimme sind."
Klare Haltung zu Russland fehlt
Gleichwohl müssten viele Organisatoren der Ostermärsche "ihre Weltbilder revidieren", so Debiel. "Mir gefallen da nicht alle Aufrufe." So fehle beim Ostermarsch Rhein-Ruhr etwa eine klare Verurteilung des russischen Angriffskriegs.
Auch die Bezeichnungen und Forderungen einiger Veranstaltungen seien "zum Teil etwas altbacken und richten sich primär an die NATO und an die Bundesregierung. Es fehlt in einigen Aufrufen die klare Positionierung gegenüber Russland."
In alten Weltbildern verhaftet
Dass die Zahl der Teilnehmenden bei den diesjährigen Ostermärschen ansteigen wird, erwartet der Politikwissenschaftler nicht. Sie würden wohl "etwas mehr Zulauf" haben, aber nicht die Breite der Friedensdemonstrationen erreichen, wie sie unmittelbar nach Beginn des Ukrainekriegs zu sehen gewesen sei.
Mit ihrem orthodoxen Denken in alten Weltbildern schaffe es die Friedensbewegung nicht, junge Generationen und auch Menschen, die zwar grundsätzlich gegen Krieg, aber offen für Waffenlieferung seien, auf die Straße holen. "Damit erreicht man nicht die Mobilisierung, die möglich wäre."
(ckü)