Osteuropa

Kurz und kritisch

Die Fahnen von Rumänien (2.v.r) und Bulgarien wehen am 25.04.2005 in Sofia (Bulgarien) neben Flaggen der EU. Rumänien und Bulgarien sind seit 2007 in der EU. Doch die volle Freizügigkeit kommt für Arbeitnehmer aus den Ländern erst jetzt. Die Bürger der beiden EU-Länder genießen mit dem 1. Januar 2013 das uneingeschränkte Recht, in allen EU-Staaten einen Job zu suchen. EPA/VASSIL DONEV /dpa
Die rumänische und die bulgarische Fahne neben der EU-Flagge © picture alliance / dpa
Von Stephan Hilsberg |
Die Ausdehnung der Europäischen Union lässt nach der Geschichte der osteuropäischen Länder fragen. Sie ist auch Gegenstand vieler Neuerscheinungen, von denen wir Ihnen heute wieder einige vorstellen wollen.
Zehn lange Jahre hat Rudolf Hamburger in den Stalin‘schen Lagern gesessen. 20 Jahre nach seinem Tod ist posthum seine Erzählung über diese Tortur erschienen, von seinem Sohn Michael, ehedem Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin, herausgegeben.
Buchcover Lesart Siedler Verlag
© Siedler Verlag
Das Buch ist eine Entdeckung und zugleich eine Rehabilitierung. Einen Namen machte Hamburger sich zwar als Architekt und Stadtentwickler – vor dem Zweiten Weltkrieg in Shanghai und danach in Hoyerswerda. Er war aber auch als Agent des Geheimdienstes der Roten Armee unterwegs, bis der überzeugte Kommunist 1943 festgenommen und in Moskau verurteilt wurde, von denen also, für die er zuvor gearbeitet hatte.
Obwohl er kein Schriftsteller war - und auch keiner sein wollte, ist sein Bericht schon an sich bemerkenswert: große Literatur eines Zeitzeugen. Geschrieben hat er ihn in den 70ger Jahren in der damaligen DDR, wo es tabu war, öffentlich über ein solches Schicksal zu reden.
Er nimmt den Leser hinein in die Atmosphäre der Gefängnisse, der Arbeitslager, des Hungers und der Todeserwartungen, beschreibt anschaulich Freundschaften, Mitgefühl und Nächstenliebe. Die eigene Phantasie hat es nicht schwer, sich Hamburger dort vorzustellen, die Mitgefangenen und Aufseher, die Baracken und Eisenbahnzüge, die Untersuchungshaft und die Mafiastrukturen.

Zehn Jahre Lager. Als deutscher Kommunist im sowjetischen Gulag
Ein Bericht von Rudolf Hamburger
Siedler-Verlag, München 2013
240 Seiten, 19,99 Euro, auch als ebook erhältlich

Christian Wehrschütz ist Journalist. Für den Österreichischen Rundfunk beobachtet er von Belgrad aus den Balkan. Er erinnert die Europäische Union an ihr frühes Motiv, im zerfallenden Jugoslawien zu intervenieren, nämlich, dass sie sich um ihrer selbst willen im eigenen Hinterhof als Friedensstifterin beweisen muss – dort, wo bis heute Länder und Volksgruppen nur mühsam miteinander auskommen, sich nur sehr langsam wirtschaftlich und gesellschaftlich Europa nähern.
Buchcover Lesart Brennpunkt Balkan
© styria books
So bietet er keine Sammlung gefühliger Texte "a la Seite drei" der Zeitungen. Er geht tiefer, verbindet aktuelle Politik mit menschlichen Schicksalen vor historischem Hintergrund. Systematisch führt er von Land zu Land – von Bulgarien über Serbien und Kroatien bis nach Albanien.
Was er mitteilen will, veranschaulicht er wie in einem Kaleidoskop, ohne vollständig oder gar erschöpfend zu sein, zuweilen einfach nur schlaglichtartig. Man spürt stets, dass er sich auf dem Balkan auskennt, und weiß mehr über diese Region Südeuropas, wenn man das Buch wieder aus der Hand legt. Es ist kein Reiseführer, gewiss aber eine lohnenswerte literarische Reise.

Blutige Vergangenheit, Ungewisse Zukunft
Christian Wehrschütz über den Brennpunkt Balkan
styria books, Wien 2012
240 Seiten, 24,99 Euro

Lojze Wieser ist Verleger in Klagenfurt. Mehr als 900 Bücher sind beim ihm erschienen, vor allem südosteuropäische Literatur. Das eine, das er jüngst persönlich herausgab, weckte anfangs gemischte Gefühle. Zu sehr schien es lediglich ein Bericht über einen Dialog prominenter Leute am Pfingstwochenende 2013 in der Südsteiermark zu sein, ein Spiegel der üblichen Debatten zur europäischen Integration, nur eben aus Österreich, aber doch wie jene, die in Deutschland leidlich bekannt sind.
Lesart Buchcover Wieser Verlag
© Wieser Verlag
Je tiefer man sich aber hineinliest, desto packender werden die Beiträge. Im Mittelpunkt stehen die kontrovers diskutierten Vereinigten Staaten von Europa, deren Für und Wider aufklärerisch beleuchtet wird. Hier werden Aspekte von Europa deutlich, die mehr sind, als das Jammern über Bürokratie oder Schuldenkrise.
Die europäische Idee zeigt sich weit bedeutsamer als ein Heben des allgemeinen Lebensstandards. Sie lässt sich nicht auf unbeschränkte Mobilität von Mensch und Kapital reduzieren. Vielmehr speist sie sich aus Kultur und Geschichte, schafft daraus eine eigene Identität. Die Teilnehmer des Pfingstdialogs analysieren Wege zu weiterer Demokratisierung, ein Unterfangen, das nur gelingt, wenn die Menschen wieder spüren, dass ihre politischen Entscheidungen Folgen haben.
Auch Ausflüge ins Metaphysische bietet das Buch und liefert eine Fülle von Anregungen, wieder mehr über Europa und damit über uns selber nachzudenken. Und es vermittelt eine Vision von der Buntheit und Kreativität einer gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit. Denn wenn schon eine Diskussion in unserem Nachbarland Österreich so anregend sein kann, wie schön wäre es, dazu Näheres aus Portugal, Polen, England oder Finnland zu erfahren.

Das Hoffen wagen
Lojze Wieser und andere Autoren über die Demokratische Einigung Europas
Wieser Verlag, Klagenfurt 2013
294 Seiten, 19,95 Euro