Erler hat "vorsichtige Hoffnung" wegen Putins Reaktion
Der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), hofft, dass die Tragödie um den Absturz der malaysischen Passagiermaschine ein Wendepunkt im Ukraine-Konflikt wird.
Christopher Ricke: Der Flugzeugabsturz in der Ukraine, der mit großer Wahrscheinlichkeit ein Flugzeugabschuss war, zeigt, dass die Krise in dieser Woche eine neue Qualität erreicht hat. Aber auch wenn es ein Abschuss aus Versehen gewesen sein sollte, weil man das Flugzeug für eins des Gegners gehalten habe, bleibt es bei den Opferzahlen. Russland hat mit der ganzen Sache offiziell überhaupt nichts zu tun hat, weil man natürlich offiziell überhaupt nichts mit den Rebellen zu tun hat und die schon gar nicht mit Waffen beliefert. Ich spreche jetzt mit Gernot Erler von der SPD, der Bundestagsabgeordnete ist Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit, guten Morgen, Herr Erler!
Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Jetzt hat der russische Präsident, jetzt hat Wladimir Putin die Konfliktparteien in der Ukraine aufgerufen, miteinander zu reden statt aufeinander zu schießen. Kann dieser Flugzeugabsturz oder -abschuss vielleicht eine Wendemarke sein?
Erler: Die Hoffnung kann man zumindest haben, denn er hat nicht nur das gemacht, er hat auch zum ersten Mal beide Seiten, also nicht nur die ukrainische Seite, sondern auch die Separatisten aufgefordert, jetzt eine Feuerpause einzuleiten. Und das ist ja auch eine internationale Erwartung, dass jetzt nicht etwa über diese Unglücksstelle hinweg wieder die Kämpfe anfangen, sondern dass man zumindest eine humanitäre Feuerpause hat, um tatsächlich die einzelnen Hergänge zu untersuchen mit internationalen Spezialisten. Und insofern gibt es vielleicht jetzt eine Chance, dass angesichts dieser Tragödie es doch wieder zu Gesprächen kommt, zu der Kontaktgruppe, die sich kurz nach dem Absturz schon mal per Video verständigt hat für 25 Minuten. Und wenn das fortgesetzt wird, dann kann man da vorsichtige Hoffnungen dran knüpfen.
Ricke: Auf der anderen Seite, im Westen, ist man ja ebenfalls diplomatisch – so höre ich das zumindest – auch relativ vorsichtig. Der US-Präsident Barack Obama ist zwar deutlich und spricht von einem Abschuss, vermeidet es aber, Russlands Präsidenten Putin direkt zu beschuldigen. Er ruft ihn eher auf, sich an der Aufklärung zu beteiligen, und auch die Kanzlerin war gestern doch relativ zurückhaltend. Ist diese diplomatische Zurückhaltung geboten?
Erler: Einmal ist sie natürlich schon mal deswegen geboten, weil man nicht sinnvollerweise sich in diese polemischen Schuldzuweisungen einreihen möchte, die wir ja erleben, die geradezu abstoßend sind, in welcher Weise sich jetzt hier die Konfliktparteien vor Ort gegenseitig mit dem Brustton der Überzeugung beschuldigen, ohne dass es im Augenblick irgendwelche wirklichen Beweise gibt, auch wenn es bestimmte Wahrscheinlichkeiten natürlich gibt. Und dahinter steckt, glaube ich, auch eben diese Rücksichtnahme auf diese Chance, die jetzt da ist, es könnte ja wirklich sein, dass wenigstens diese Tragödie einen Wendepunkt auslöst und dass vielleicht auch so ein bisschen die Erkenntnis wächst, dass es inzwischen eine Internationalisierung hier gegeben hat dieses Konflikts durch den Unheilflug MH17. Und insofern finde ich das begrüßenswert, dass im Augenblick international eher ein bisschen Zurückhaltung zu spüren ist im Ton, wie man hier auftritt.
Ricke: Jetzt haben sich die Russen bislang im Ukraine-Konflikt wenig konstruktiv verhalten und darum haben ja die EU-Staaten auch die Sanktionsschraube in dieser Woche ein Stückchen weitergedreht. Das war vor der Katastrophe. Jetzt ist nach der Katastrophe. Was heißt das denn jetzt im Umgang mit den Russen? Muss man mit den Sanktionen noch weiter gehen, muss man genau da bleiben, wo man gerade ist, oder muss man sie vielleicht sogar ein klein bisschen zurücknehmen, um es Putin leichter zu machen, in eine konstruktive Rolle zu gehen?
Erler: Ich meine, die Sanktionen haben ja eigentlich immer nicht den Sinn zu strafen, sondern den Sinn, eine erhoffte oder erwartete Haltung mit Nachdruck zu fördern. Und ich meine, deswegen wird ja auch die letzte Runde der Sanktionen begründet damit, dass noch nicht ausreichend gemacht worden ist von der russischen Führung zur Stabilisierung der Situation in der Ostukraine. Mit andere Worten: Wenn mehr gemacht worden wäre oder wenn jetzt mehr gemacht wird in diese Richtung, dann entfällt auch die Notwendigkeit weiterer Sanktionen. Das ist der politische Sinn. Und insofern gibt es jetzt durchaus die Option, dass, wenn Putin zum Beispiel beide Seiten jetzt zur Feuerpause aufruft, wenn er für Gespräche sich so deutlich einsetzt, wie er das bisher nicht gemacht hat, dass das zumindest mal die Frage weiterer Sanktionen erst mal nicht auf die Tagesordnung bringt.
Ricke: Das heißt aber, erst müssen die Russen liefern, bevor die Europäer reagieren?
Erler: Ja, zweifellos. Ich meine, die letzte Runde der Sanktionen ist damit begründet worden, dass nicht geliefert worden ist, dass eben nicht genügend getan worden ist für die Stabilisierung. Wenn jetzt mehr kommt, ist das zumindest kein Grund, noch eine, sage ich mal salopp gesagt, Schippe draufzulegen bei den Sanktionen.
Ricke: Gernot Erler von der SPD, er ist Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen sehr fürs frühe Aufstehen!
Erler: Gerne!
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