Folterer dürfen nicht straffrei davonkommen
Das Ausmaß von Kriegsverbrechen in der Ostukraine ist größer als bisher bekannt. Auch Angehörige der russischen Armee sollen Folter und Verschleppung beaufsichtigt und gedeckt haben. Gesine Dornblüth fragt in ihrem Wochenkommentar: Trägt der Kreml eine Mitverantwortung?
Die Sache ist nicht neu, das Ausmaß aber sehr wohl: Ukrainische Menschenrechtsorganisationen sprechen von 4.000 Fällen von willkürlichen Festnahmen und Geiselhaft allein im Sommer 2015 in den sogenannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk. Von mindestens 79 Foltergefängnissen ist die Rede. Das spricht für einen systematischen Charakter dieser scheußlichen Vergehen, an dem auch dutzende russische Staatsbürger beteiligt waren. Nun soll das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag die Vorwürfe untersuchen. Das ist wichtig, dafür sind Gerichte da.
Aber das Ganze hat auch eine politische Dimension. Denn das Minsker Abkommen, um dessen Umsetzung die Außenminister Frankreichs, Deutschlands, der Ukraine und Russlands ringen, sieht vor, die Separatisten zu legitimieren, mit einer Amnestie, mit Wahlen in den sogenannten Volksrepubliken. Ein Regime, das systematisch foltert, darf diese Aufwertung nicht erfahren. Vor allen Dingen dürfen die Folterer nicht straffrei davonkommen.
Unrecht im Donbass wurde vernachlässigt
Deshalb ist es gut und richtig, dass mehrere Politiker in Deutschland jetzt parteiübergreifend Stellung beziehen, das Thema auf die Tagesordnung bringen. Das Unrecht im Donbass ist viel zu lange vernachlässigt worden. Regierungssprecher Seibert hat Russland einmal mehr aufgefordert, mäßigend auf die Separatisten einzuwirken. Aber was kommt von der russischen Führung? Bisher nichts – und das war zu erwarten.
Bereits im Sommer 2014 berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch über Folter im Donbass, verübt übrigens von beiden Konfliktseiten. Auch damals reagierte niemand in der russischen Führung auf die Vorwürfe gegen die Separatisten; auch die kremltreuen Medien schwiegen. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen von ukrainischer Seite hingegen werden regelmäßig in Russland ausführlich dargestellt und angeprangert.
Dreiste Dementis zu Doping-Vorwürfen
Diese permanente Ignoranz der russischen Behörden ist dreist und leider typisch für den Umgang der Elite mit der Öffentlichkeit, auch bei anderen Themen. Nehmen wir zum Beispiel die jüngsten Doping-Vorwürfe gegen den russischen Sport. Nach Aussagen eines ehemaligen Insiders, Grigorij Rodtschenkow, hat Russland zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi ein Doping-System für seine Sportler eingeführt. Russland dementiert, spricht von "Verleumdungen eines Überläufers". Russland hatte auch Doping in der Leichtathletik zunächst dementiert, die Vorwürfe als Angriffe gegen Russland abgetan. Mittlerweile hat Sportminister Vitalij Mutko diese Fälle eingeräumt. Dass er immer noch Minister ist, ist eigentlich ein Unding. In vielen anderen Ländern wäre er längst zurückgetreten. In Russland gab es nicht mal eine Diskussion darüber.
Auch die russischen Reaktionen auf den Sieg der ukrainischen Sängerin Jamala beim Eurovision Song Contest sprechen Bände. Dass Spitzenpolitiker bis hin zum stellvertretenden Premierminister sich überhaupt dazu äußern, ist schon befremdlich. Dass der Außenpolitiker Konstantin Kosatschow das Urteil der Jurys zu einem Sieg des "Kalten Krieges" umdeutet, ist frech. Den Tiefpunkt aber lieferte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zacharowa. Sie schlug vor, nächstes Jahr mit einem Lied über Assad anzutreten, und dichtete auch gleich einen Refrain: "Assad bloody, Assad worst / Give me prize, that we can host" - "Assad ist blutig, Assad ist der Schlimmste / Gib mir den Preis, damit wir den ESC ausrichten können."
Herr, lass Vernunft über Moskau regnen!
Mitunter fragt man sich wirklich, auf welches Niveau die russische Politik noch sinken will. Nebenbei, dass viele ukrainische Politiker genauso niveaulos sind, ist keine Entschuldigung. Eigentlich kann man solche Leute nicht mehr ernst nehmen. Leider muss man es. Denn sie vertreten das größte Land der Erde, es sitzt im UN-Sicherheitsrat und hat zu allem Überfluss auch noch Atomraketen.
Manchmal bleibt einem nur noch ein frommer Wunsch: Herr, lass Vernunft und Verantwortungsbewusstsein über Moskau regnen. Es kann doch nicht im Interesse Russlands sein, wenn im Donbass, in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, ein schwarzes Loch absoluter Rechtlosigkeit entsteht.