Ostukraine

OSZE-Beobachter: Lage hat sich verschärft

Eine Bürgerin diskutiert im ukrainischen Slawjansk mit einem Soldaten.
Eine Bürgerin diskutiert im ukrainischen Slawjansk mit einem Soldaten. © dpa / picture-alliance / Ulf Mauder
Moderation: Marietta Schwarz |
Es seien mehr Gebäude besetzt und auch immer mehr Aktivisten in den Straßen, berichtet der OSZE-Teamleiter in Donezk, Klaus Zillikens. Die Beobachter hätten in der Stadt junge Männer mit Kalaschnikows gesehen: "Das ist neu."
Marietta Schwarz: In der Ukraine-Krise gehen die Bemühungen um eine diplomatische Lösung weiter – heute trifft sich der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Didier Burkhalter in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Deeskalation durch Dialog heißt die Devise. Momentan stehen sich allerdings beide Seiten eher unversöhnlich gegenüber und stellen Bedingungen für ein weiteres Genfer Gespräch. Und auf den Straßen halten in mindestens zwölf Städten prorussische Kräfte Regierungsgebäude besetzt. Die Lage ist weiter angespannt. Klaus Zillekens leitet die OSZE-Beobachtergruppe in Donezk und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Zillikens!
Klaus Zillikens: Guten Morgen!
Schwarz: Sie haben in einem Interview vor rund zwei Wochen noch von Dialogbereitschaft zwischen Separatisten und ukrainischen Aktivisten gesprochen – gibt es die noch?
Zillikens: Ich glaube, die Dialogbereitschaft gibt es noch, aber ich glaube, dass die letzten zwei Wochen für diese Dialogbereitschaft nicht förderlich waren. Ich denke, man muss sehen, dass es in beiden Lagern Kräfte gibt, die auf Dialoge setzen, und diese Kräfte gilt es zu stärken. Das zahlenmäßig sozusagen zu bestimmen, wer da gerade auch auf der Seite der Aktivisten oder Separatisten im Moment den Ton angibt, ist schwer zu sagen.
Sorge vor Gewaltausbrüchen am 9. Mai
Schwarz: Wie hat sich die Lage in Donezk verändert, speziell vielleicht auch seit vergangenem Freitag, nach den blutigen Ereignissen in Odessa?
Zillikens: Die Lage hat sich ganz klar verschärft. Wir sind hier in einer Situation, wo man den Menschen ansieht auf der Straße, wie angespannt sie sind und wie viel Angst sie haben. Angst davor, dass sozusagen – dass die Szenen, die wir aus Slawjansk und die die Leute ja hier auch aus Slawjansk gesehen haben, dass die auch in Donezk Wirklichkeit werden könnten. Wir haben ja hier vor uns wichtige Tage, den 9. Mai, den wichtigen Feiertag, Ende des Zweiten Weltkriegs. Und dann den 11.5., den Tag, an dem dieses sogenannte Referendum stattfinden soll. Alle sind gebannt von diesen beiden Tagen und in Sorge, dass es zu einem Ausbruch von Gewalt kommen wird im Zuge dieser nächsten Woche, dieser nächsten Tage.
Schwarz: Wie sieht es denn in der Stadt überhaupt aus? Wir hier in Deutschland sehen ja immer nur die Bilder von stark bewaffneten Männern, von brennenden Häusern oder was auch immer und von weinenden Frauen. Gibt es so etwas wie Normalität?
Zillikens: Es gibt so etwas wie Normalität. Donezk ist eine Millionenstadt. Jetzt ist gerade so ein bisschen Feiertagsstimmung. Viele sind außerhalb der Stadt auf ihrer Datscha, aber das Leben geht schon weiter. Aber wie ich sagte: Die Anspannung steht den Menschen ins Gesicht geschrieben, und wenn man genau hinschaut, merkt man auch, dass unter der sehr dünnen Oberfläche der Normalität im Grunde so eine Art Ausnahmezustand herrscht. In vielen Büros, höre ich, wird gar nicht mehr wirklich gearbeitet. Da redet man über die Ereignisse, da googelt man, da schaut man, was sind die neuesten Twitter-Meldungen. Man sieht natürlich die Barrikaden.
Immer mehr Aktivisten in den Straßen
Es sind mehr Gebäude besetzt worden – oder es sind jetzt mehr Gebäude besetzt als noch vor zwei Wochen. Man sieht die Barrikaden, man sieht die Autoreifen, man sieht auch immer mehr Aktivisten in den Straßen. Wir haben hier um die Ecke unseres Hotels neulich abends junge Männer mit Kalaschnikows gesehen. Das ist erschreckend, das ist neu, und das ist keine Normalität.
Schwarz: Die ukrainische Regierung versucht, wieder die Kontrolle über den Osten des Landes zu bekommen. Wo ist sie erfolgreich? Können Sie dazu etwas sagen?
Zillikens: Das fällt mir sehr schwer, das genau zu beurteilen. Im Grunde wissen wir dazu so viel, wie jeder weiß, der ins Internet schaut. Erfolg misst sich ja auch nicht nur sozusagen am operativen militärischen Erfolg, sondern in dieser Situation, in der wir sind, bemisst sich Erfolg ja auch an den politischen Wirkungen. Ich glaube, dass, bei allem Verständnis für das Vorgehen der ukrainischen Regierung, dass man schauen muss, dass man die Dialogkanäle offenhält. Letztlich bin ich der Überzeugung, dass sich dieser Konflikt hier nur im Wege des Dialogs lösen lässt. Das darf man nicht vergessen.
Schwarz: In den letzten Tagen wird sehr viel von geheimdienstlicher Einflussnahme von allen Seiten auf die Geschehnisse gesprochen. Wie geht man als OSZE-Beobachter solchen Gerüchten nach?
Zillikens: Ich bin da sehr enttäuscht eigentlich. Enttäuscht über die Berichterstattung einerseits, und enttäuscht darüber, was das für uns als OSZE-Beobachter bedeutet. Zum ersten: Die Beobachter, die fürs Wiener Dokument hier waren, sind keine Spione gewesen. Das Wiener Dokument ist ein vertrauensbildendes Instrument, und Vertrauensbildung, auch militärische Vertrauensbildung ist genau das Gegenteil von Spionage. Das zum einen. Zum anderen: Wir spüren natürlich schon, dass durch die Geiselnahme und durch die ganze Diskussion darüber unser Image, das Image der OSZE hier gelitten hat. Das schlägt uns schon entgegen bei Gesprächen und bei Kontakten gerade auch mit den Aktivisten.
Und wir müssen hier sehen, wie vieles an Aufbauarbeit, die wir während der vergangenen Wochen geleistet haben, verloren ist, und dass wir erneut Vertrauen hier schaffen und aufbauen müssen. Das ist so, wie es ist, aber es ist natürlich schade. Wir tun das, und wir hoffen, dass wir da auch erfolgreich sind, aber diese ganze Diskussion und die Ereignisse der letzten zehn Tage, die haben uns nicht vorangebracht.
Schwarz: Wie sieht überhaupt der Tag eines OSZE-Beobachters aus? Wie recherchieren Sie?
Zillikens: Wir haben ja ein klares Mandat, und ganz im Vordergrund steht Fact Finding, wie man das auch auf Neudeutsch nennt, also Beobachtung vor Ort. Das heißt, wir schicken Teams raus in die Stadt, aber auch in andere Städte, auf die Überlandstraßen, und versuchen, ein möglichst engmaschiges Netz von Informationen zu bilden, wo wir dann auch im Vergleich meinetwegen zum Vortag oder zur Vorwoche sehen können: Wo gibt es neue Entwicklungen, neue besetzte Gebäude, neue Roadblocks, Straßensperren oder andere Dinge.
In den Medien herrscht ein Informationskrieg
Das nehmen wir auf und berichten das sehr auf die Fakten bezogen, damit wir in dieser Situation, wo ja eine Art Informationskrieg herrscht im Internet und in den Medien generell, die Faktenbasis sozusagen verbreitern. Die Faktenbasis für Entscheidungsträger in unseren Mitgliedsstaaten bei der OSZE selber, aber auch in der Öffentlichkeit, um sagen zu können, hier, das sind die Gerüchte – aber das sind die Fakten, die die OSZE-Beobachtermission festgestellt hat. Das ist das, was sie gesehen hat, aber auch, das ist das, was sie nicht gesehen hat. Oft ist es ja auch so, dass es wichtig ist zu sagen, was wir nicht gesehen haben, was wir nicht überprüfen konnten. Das ist ganz wichtig. Und dann, einen Satz noch: Natürlich haben wir auch die Aufgabe, zu schauen, ob es Dialogfäden gibt, die sich spinnen lassen. Das ist ja im Moment nicht ganz einfach, aber wir sind schon in Gesprächen. Wir haben dazu schon auch Überlegungen.
Schwarz: Klaus Zillikens, Leiter der OSZE-Beobachtergruppe in Donezk. Danke Ihnen und alles Gute, Herr Zillikens!
Zillikens: Vielen Dank, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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