Oswald Egger: "Val di Non"

Prosa und Poesie zugleich

Im Vordergrund das Buchcover von Oswald Eggers "Val di Non", im Hintergrund Berge in Südtirol
Oswald Egger erschafft in "Val di Non" aus Landschaftserfahrungen sprachliche Grenzerfahrungen. © Buchcover: Suhrkamp/ Hintergrund: imago/robertharding
Von André Hatting |
Oswald Egger setzt seiner Heimat Nonstal mit seinem neuesten Buch ein Denkmal. In "Val di Non" finden sich aber nicht einfach autobiografische Erinnerungen. Der Schriftsteller macht sich darin auf zu Wanderungen durch komplexe Sprachlandschaften.
"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Dieser berühmte Satz von Ludwig Wittgenstein klebt bis heute als Leuchtreklame über der sprachkritischen Moderne. Den konventionalen Ausdrucksmöglichkeiten misstrauen, neue finden, um neuen Erfahrungen gerecht zu werden, das ist immer ein Impuls der Avantgarden gewesen. Oswald Egger fühlt sich ihm verpflichtet. Sein neuester Band "Val di Non" beweist das auf verwirrend radikale Weise. Einerseits ist er so etwas wie Heimatdichtung. In der Nähe des südtirolischen Val Di Non, zu Deutsch Nonstal, ist Egger aufgewachsen, hier hat er seine Kindheit verbracht.
Andererseits sind das nicht einfach autobiografische Erinnerungen. Die Gegend bietet Egger nur den Ausgangspunkt für Wanderungen durch komplexe Sprachlandschaften. Mal beginnt er sie in einem naturwissenschaftlich distanzierten Idiom, das aus einem Handbuch der Geologie oder einem Anatomiekurs stammen könnte, mit entsprechenden Zeichnungen des Autors angereichert. Andere Stellen klingen wie Reisebilder oder Stillleben:
"Die Felder werden Ende Mai, Anfang Juni geschnitten, und nun liegen Ebene und Steppe dürr und rigide da, Disteln und Dornen, in sich üppig't verknotete Spiralformen wuchern auf den Dauerfeldern [ ... ]."

In welche Gattung ordnet sich Oswald Egger ein?

Egger beschreibt nicht, er erschreibt sich seine Umgebung. Das tut der 54-Jährige mit einer pointilistischen Lust. Tupfer aus dem einen Wortfeld, oft aus der Bergregion ("Klamm", "Schrunde", "Salweide", "Karsterle"), mischt er mit ganz anderen semantischen Farbtönen ("Beizmasse", "farblos", "bastgelb"):
"Ich beginne mit einer häutig verwendenden, ärmeligen Molkeklamm, die lebhaft die unruhigen Formen bald fast klobiger Schrunde talt. Ein anderes Mal wirkt diese Beizmasse farblos, undurchscheinend, aber durch und durch glasig mit sehr kleinen Körnern und Klauseln. Die Pinien und üppigeren Zypressen stehen an so strotzenden Hängen, es wuchs jede Salweide, als ob eine bastgelb apere Karsterle sich neigt, und pickt verästigt in die über Sickerblöcke vertrocknete Quelle."
Es ist Beschreibung und Überschreibung, Prosa und Poesie zugleich. Suhrkamp verzichtet konsequenterweise auf den üblichen Gattungsstempel. Alles hängt laut Egger mit allem "unzusammen". Das bedeutet für ihn: "Es gibt keinen Faden, den man verlieren könnte." Damit er sich nicht in Beliebigkeit verliert, brauche er auf der anderen Seite die "rigide Form", die er "austricksen" könne, wie er es nennt. Diese Form könnte im aktuellen Band der geografische Bezug Val di Non und im weitesten Sinne das Genre Heimatdichtung sein.
Oswald Eggers Trickserei macht aus Landschaftserfahrungen sprachliche Grenzerfahrungen. "Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache." Auch das ist Wittgenstein, aber der späte aus den "Philosophischen Untersuchungen". Der Sprachphilosoph Oswald Egger ist ein spezieller Exorzist, einer, der den Teufel mit dem Beelzebub austreibt.

Oswald Egger: Val di Non
Suhrkamp-Verlag, Berlin 2017
208 Seiten, 28,00 Euro

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