Neue Rollensuche in Krisenzeiten
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa müsse sich wieder auf eine Politik der Entspannung besinnen, mahnt der Politikwissenschaftler Heinz Gärtner. Mit dem Vorsitz in der Organisation trage Deutschland eine große Verantwortung. Heute findet in Potsdam ein informelles Treffen der Außenminister der OSZE statt.
Nana Brink: Die Außenminister der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa treffen sich heute in Potsdam. Ausnahmezustand für die Stadt, aber vielleicht Hoffnungsschimmer für die Konflikte in Europa, allen voran natürlich in der Ukraine, wo man lange gehofft hat, die OSZE könne da zu einer Lösung beitragen. Schließlich hat sie eine Beobachtermission dort, und schließlich ist die OSZE auch das einzige Gremium, an dem nicht nur alle Europäer beteiligt sind, sondern auch Russland und die USA.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier – Deutschland hat ja den Vorsitz in diesem Jahr in der OSZE – lässt ja wenig unversucht, wieder Bewegung in die Blockpolitik zu bekommen, die seit ein paar Jahren wieder überhand nimmt. Man dachte ja eigentlich, die Zeiten des Kalten Krieges sind schon vorbei. Professor Heinz Gärtner lehrt am Institut für Politikwissenschaften an der Universität in Wien. Ich grüße Sie!
Heinz Gärtner: Guten Morgen!
Brink: Wie stehen denn die Chancen, dass die OSZE unter deutscher Führung noch in diesem Jahr noch entscheidende Fortschritte in diesem Konflikt in der Ukraine erzielen kann?
Gärtner: Deutschland hat tatsächlich eine große Verantwortung. Allerdings, wenn man sich nur konzentriert auf die Umsetzung des Minsk-Abkommens, das heißt, den Waffenstillstand, dann auch Autonomie, dann wird es wahrscheinlich nicht entscheidende Fortschritte geben. Wenn Deutschland in der Lage sein wird, die OSZE wieder zu einem Organ kooperativer Sicherheit zu machen, aus einem Verständnis, dass Sicherheit nicht gegeneinander, sondern nur miteinander erreicht werden kann, dann ist es möglich, dass man auch im Ukraine-Konflikt und bei den anderen Konflikten vielleicht eine Entspannung erreichen kann.
"Wir haben jetzt wieder einen Hauch von Kaltem Krieg"
Brink: Das heißt, es geht um die Rolle der OSZE überhaupt. Was hat Deutschland da bewirkt? Oder sehen Sie da Chancen?
Gärtner: Es geht um die Rolle der OSZE überhaupt. Die OSZE, wie Sie sagten, ist eine gesamteuropäische Sicherheitsorganisation, wo auch die USA eben vertreten sind, gemeinsam mit Russland. Und die OSZE wäre natürlich in der Lage, wieder nicht nur in die Zukunft zu schauen, sondern auch sich auf ihre Vergangenheit zu besinnen, eben die KSZE, die in die Entspannungspolitik hineingeboren wurde oder beziehungsweise die Entspannungspolitik vorangetrieben hat.
Und wenn Deutschland in der Lage ist, jetzt die Entspannungspolitik wieder abzurufen und sich zu entsinnen, was damals war, und das umzusetzen – wir haben jetzt wieder einen Hauch von Kaltem Krieg –, dann kann man sagen, dass Deutschland die OSZE ein gutes Stück vorangebracht hat.
Brink: Wenn man aber die Politik von Frank-Walter Steinmeier beobachtet, gerade auch sein Verhalten gegenüber Russland, dann kann man doch durchaus das Bemühen ablesen, genau diese Entspannung oder diese ursprüngliche Aufgabe der OSZE wiederherzustellen, zu befördern. Oder wie sehen Sie das?
Gärtner: Frank-Walter Steinmeier hat eine sehr, sehr wichtige Initiative gesetzt, meiner Meinung nach vielleicht ein bisschen zu spät, weil wir sind ja schon an der Hälfte des deutschen Vorsitzes. Aber Österreich könnte das ja aufgreifen und weiterführen.
Aufgaben für den österreichischen OSZE-Vorsitz
Brink: Österreich hat nächstes Jahr den Vorsitz …
Gärtner: Ja, es hat nächstes Jahr den Vorsitz. Und zwar hat er gesprochen von einem Neustart der Rüstungskontrolle, also die Rüstungskontrolle als Vehikel für die Entspannungspolitik. Die meisten Beobachter haben bis jetzt gesagt, die Rüstungskontrolle - wenn es um konventionelle Waffen geht - ist tot, da gibt es keine Fortschritte.
Und wenn Steinmeier das jetzt aufgreift, so war das durchaus mutig und vorausschauend, und noch dazu, wenn man das in den Kontext einer neuen Entspannungspolitik stellt. Meiner Meinung nach hätte das wahrscheinlich etwas früher kommen können, aber es ist eine sehr wichtige und richtige Initiative, die neues Leben in die OSZE und gerade in diesen schwierigen Bereich der Rüstungskontrolle auch bringen könnte.
Brink: Nun ist es ja eine Sache, etwas vorzuschlagen, wenn es auch zu spät kommt, wie Sie sagen, aber was sind denn die Chancen auf Erfolg? Kann er da, ich sag jetzt mal, landen, punkten bei denjenigen, die da in der OSZE auch versammelt sind?
Gärtner: Er hat Themen aufgegriffen, die sehr lange in der OSZE auf Halde liegen, sozusagen nicht behandeln werden, wie auch das Wiener Dokument, also die Vertrauensbildung, aber auch neue Elemente hineingebracht, dass man sagt, man muss auch neue Waffen thematisieren wie etwa Drohnen. Das sind Themen, die da sind, die alle OSZE-Mitgliedsstaaten eigentlich betreffen.
Man müsste natürlich jetzt einen Dialog – Verhandlungsprozess ist vielleicht etwas zu früh gesagt – zustande bringen. Kann ich mir vorstellen, dass im österreichischen Vorsitz das übernommen werden kann und weitergeführt werden kann und vielleicht zu einem konkreten Ergebnis gebracht werden kann. Jetzt: Sechs Monate sind ein bisschen zu wenig, dass also Deutschland das wirklich zu Ende führen kann. Aber es war wahrscheinlich die wichtigste Initiative eines OSZE-Vorsitzes in den letzten Jahren.
Ein Thema: Die Entspannungspolitik mit Russland
Brink: Und bringt dann auch dieses informelle Treffen – das ist ja ganz interessant, das richtige Treffen der OSZE-Außenminister wird ja dann erst am Ende des Jahres in Hamburg stattfinden, jetzt hat ja Frank-Walter Steinmeier zu einem informellen Treffen geladen –, bereitet er den Boden dafür? Ist das der Weg, den man gehen muss, um sozusagen diese Gespräche in Gang zu setzen?
Gärtner: Das weiß ich noch nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob alle beteiligten Staaten bereit sind, jetzt diese Initiative aufzugreifen, insbesondere, wenn es zur Entspannungspolitik mit Russland kommt. Das wird wahrscheinlich etwas dauern, bis die einzelnen Mitgliedsstaaten sich sozusagen auch auf diese grundsätzliche Debatte einlassen können.
Allerdings muss ich sagen, ich glaube nicht, dass es eine Lösung des Ukraine-Konflikts geben wird, wenn nicht die grundsätzlichen langfristigen Strategien angesprochen werden. Ich bin mir nicht sicher, ob das heute schon in Potsdam passieren wird. Aber vielleicht wird da ein Anfang gemacht auch für die Ukraine, eine langfristige Lösung zu finden.
Was ich mir vorstellen könnte, wäre natürlich, dass es zu einer Orientierung kommt, dass die Ukraine nicht, völkerrechtlich garantiert nicht der NATO beitritt, also etwa im Sinne einer Neutralität Österreichs. Und dass Österreich – die österreichische Neutralität war ja im Prinzip das erste Signal der historischen Entspannungspolitik – dass das möglicherweise von Russland auch als Signal akzeptiert wird. Die Frage ist natürlich, wie weit die Ukraine in diese Gespräche eintreten will. Allerdings sehe ich sonst keine Möglichkeit, dass die Ukraine ihre territoriale Integrität und Souveränität zurückbekommt, wenn sie auf NATO-Kurs bleibt.
Brink: Also unterm Strich gesagt, man braucht einen ganz langen Atem, Geduld.
Gärtner: Man braucht langfristige Initiativen und grundsätzliche Vorstellungen, damit die OSZE sich auf ihre Ursprünge besinnen kann und auch zukunftsorientiert handeln kann.
Brink: Herzlichen Dank, Professor Heinz Gärtner. Er lehrt am Institut für Politikwissenschaften an der Universität in Wien. Danke für Ihre Einschätzungen hier in "Studio 9"!
Gärtner: Gern, Wiederhören!
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