100. Geburtstag von Otfried Preußler
Mit seinem Buch "Der Räuber Hotzenplotz" hat Otfried Preußler weltweit Kinder zum Lachen gebracht. © picture alliance / dpa / F. J.Tripp / Mathias Weber / Thienemann Verlag
Räuber Hotzenplotz schleicht noch immer durch die Kinderzimmer
Die kleine Hexe, das kleine Gespenst oder der Räuber Hotzenplotz: Generationen von Kindern sind mit Otfried Preußlers Figuren, seinen magischen, manchmal ein bisschen gruseligen Geschichten aufgewachsen. Am 20. Oktober wäre der Autor 100 geworden.
Als Kind habe ich zum Leidwesen meiner Eltern ausschließlich Comics freiwillig gelesen: Micky Maus, Asterix, Lucky Luke. Mit Literatur bin ich auf anderem Wege in Berührung gekommen, nämlich über meine Kassettensammlung. "Das kleine Gespenst" von Otfried Preußler war eines meiner liebsten Hörspiele damals. Ich mochte es so gern, dass ich mich an Karneval als kleines Gespenst verkleidet habe, natürlich mit dem obligatorischen Schlüsselbund mit den 13 Schlüsseln.
Ich mochte das verspielte, abenteuerlustige Wesen, das auf Burg Eulenstein lebt, gut mit sich allein zurechtkommt und die Welt, die es nur bei Nacht kennt, einmal bei Tageslicht sehen will. "Bloß, um den Unterschied kennenzulernen. Ich könnte mir denken, dass es sehr lehrreich wäre für mich, und sehr aufregend", wie es seinem besten Freund, dem schnöseligen Uhu Schuhu nachts erzählt.
Eines Tages erwacht das kleine Gespenst tatsächlich um zwölf Uhr mittags statt zur Geisterstunde. Doch die Freude darüber schwindet mit der Zeit, und es stellt fest, dass es doch eigentlich lieber wieder ein Nachtgespenst wäre. Was – so viel sei verraten – am Ende auch wieder gelingt. Denn alle Geschichten von Otfried Preußler gehen gut aus, genauso wie im Märchen.
Märchen als Inspirationsquelle für Preußler
Das ist kein Zufall, denn Märchen und Sagen waren es, die ihn inspirierten, weil er sie selbst von klein auf gehört hatte. Geboren wurde Otfried Preußler am 20. Oktober 1923 in Reichenberg in Böhmen – heute heißt die Stadt Liberec und liegt im Norden Tschechiens. Seine Großmutter Dora war eine begnadete Märchenerzählerin.
"Nun war meine Großmutter eine bescheidene Frau, weshalb sie uns Kindern weismachte, alles, was sie uns da erzähle, stamme aus einem dicken, alten Geschichtenbuch. Heute weiß ich: Dieses Geschichtenbuch meiner Großmutter, das es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat, ist das wichtigste aller Bücher für mich, mit denen ich je im Leben Bekanntschaft gemacht habe", erinnerte sich Otfried Preußler 1972. Aber auch sonst waren Geschichten und Bücher in seiner Familie omnipräsent. Sein Vater besaß zudem eine große Bibliothek.
Seine Liebe zur Literatur wurde früh geweckt und zog sich durch sein ganzes Leben, auch wenn sein Berufswunsch zunächst Lehrer war. Als Jugendlicher schrieb Otfried Preußler Gedichte über seine böhmische Heimat und die Natur sowie Liebeslyrik. Auch ein Jugendroman, den er als 17-Jähriger geschrieben haben soll, ist überliefert. Allerdings ist unklar wie weit in den Text, der nationalsozialistische Bezüge trägt, eingegriffen worden ist, bevor "Erntelager Geyer" 1944 veröffentlicht wurde.
Wehrmachtssoldat und Kriegsgefangener
Otfried Preußler selbst war zu diesem Zeitpunkt schon als Wehrmachtssoldat im Krieg. Er wurde 1942 unmittelbar nach dem Abi – wie die meisten anderen Jungen seines Jahrgangs auch – zum Kriegsdienst eingezogen und ein Jahr später an die Front versetzt. Schließlich geriet er in sowjetische Gefangenschaft. Doch seiner Kreativität tat das keinen Abbruch. Er schrieb auch im Lager weiter Gedichte, gründete sogar eine Theatergruppe und brachte Komödien auf eine provisorische Bühne aus zusammengerückten Holztischen.
Obwohl der Zweite Weltkrieg 1945 endete, blieb er weiterhin Kriegsgefangener. Erst im Juni 1949 begann für ihn in Rosenheim ein neues Leben. Er war wieder frei, konnte endlich seine langjährige Freundin heiraten und Volksschullehrer werden. Wurden die Kinder in der Klasse unruhig, hat er ihnen Geschichten erzählt.
"Der kleine Wassermann" begeistert Kinder und Kritiker
Die Geschichten kamen ihm bei seinen langen Wanderungen durch den Bayerischen Wald in den Sinn. Er nahm sie dann direkt mit einem Diktiergerät auf, sodass sie nur noch niedergeschrieben werden mussten. 1956 wurde Otfried Preußlers erstes Kinderbuch veröffentlicht.
"Der kleine Wassermann" brachte ihm gleich den Deutschen Jugendbuchpreis ein. Die Geschichte handelt von einem Wassermannjungen, der am Grund des Mühlenweihers lebt und sich nach und nach seine Welt erschließt – erst unter Wasser und dann an Land. Heute wirkt das Buch wegen seines angestaubten Familienbildes etwas aus der Zeit gefallen: Vater und Sohn sind Best-Buddies und erleben viele schöne Dinge zusammen. Die Mutter steht derweil in Küche am Herd und macht sich ständig Sorgen.
"Die kleine Hexe" lehnt sich gegen Autoritäten auf
Schon ein Jahr später erschien "Die kleine Hexe". Diesmal steht ein Mädchen im Mittelpunkt, eine junge Hexe von gerade einmal 127 Jahren. Die großen Hexen haben ihr zwar verboten, in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg mitzutanzen, aber sie will trotzdem dabei sein. Es kommt, wie es kommen muss: Sie wird erwischt und bestraft und bekommt von der Oberhexe den Auftrag eine "gute Hexe" zu werden. Dann dürfe sie vielleicht im nächsten Jahr auch ums Feuer tanzen. Also bemüht sie sich fortan, Gutes zu tun - und übt am Ende Rache an den großen Hexen.
Räuber Hotzenplotz - gemein, aber nicht gefährlich
Otfried Preußlers bekannteste Figur trat 1962 zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Der dümmliche, hinterhältige, aber trotz allem auch liebenswerte Räuber Hotzenplotz mit seiner Pfefferpistole und den sieben Messern, der stets von zwei Kindern überwältigt wird, zementierte Otfried Preußlers Erfolg als Kinderbuchautor. Das Buch wurde millionenfach verkauft, in 34 Sprachen übersetzt, als Theaterstück adaptiert und fürs Kino verfilmt.
Kinder finden sich in Otfried Preußlers Büchern schnell zurecht. Es gibt die Guten und die Bösen, die am Ende immer den Kürzeren ziehen, und dabei spielen Kinder oft eine entscheidende Rolle: Kaspar und Seppel fangen den Räuber Hotzenplotz. Es sind drei Kinder, die dem kleinen Gespenst dabei helfen, dass es wieder zum Nachtgespenst werden kann.
Die Geschichten sind immer ein bisschen magisch und stellenweise ein bisschen gruselig. Vor allem sind sie – insbesondere der Hotzenplotz – auch witzig. Kasperl, der sich – allein durch den Tausch ihrer Mützen wohlgemerkt – als Seppel verkleidet hat, treibt den Räuber zur Weißglut, indem er ihn Plotzenhotz oder Lotzenpotz oder Potzenlotz nennt. Otfried Preußler spielt virtuos mit der Sprache. Jeder Satz ist einfach und verständlich. Es braucht oft nur wenige Worte, um bei Lesenden und Zuhörenden Bilder im Kopf entstehen zu lassen.
Während ihm die Kinderbücher schnell und leicht von der Hand gingen, plagte sich Otfried Preußler über ein Jahrzehnt mit einem Stoff herum, der ihm abverlangte, sich mit seiner eigenen Vergangenheit, seiner Zeit als Soldat und seiner Jugend im Nationalsozialismus, auseinanderzusetzen.
Preußler-Biograf Carsten Gansel bezeichnete Preußlers Arbeit an "Krabat" als einen "Versuch, sich mit den traumatischen Erfahrungen auseinanderzusetzen und einen Weg zu finden, das Erlebte und Erfahrene in eine narrative Struktur zu überführen". Der düstere Jugendroman "Krabat" erschien 1971, spielt zur Zeit des Dreißigjähriges Kriegs und handelt von einem Waisenjungen, der in einer Mühle lebt und sich gegen finstere Mächte zur Wehr setzt. Auch dieses Buch wurde mit zahlreichen Preisen gewürdigt.
Mit seinem Spätwerk konnte Otfried Preußler nicht mehr an seine vorangegangenen Erfolge anknüpfen. Dennoch schrieb er unaufhörlich weiter und beantwortete laut eigenen Angaben jeden einzelnen Leserbrief. Tatsächlich soll es vom Räuber Hotzenplotz auch nur deshalb Fortsetzungen gegeben haben, weil so viele Kinder ihn darum gebeten hätten.
Den Hotzenplotz hatte ich natürlich auch als Hörspiel, aber ans kleine Gespenst kam die Räuberpistole damals nicht heran. Dafür kann ich dem Hotzenplotz heute sehr viel mehr abgewinnen, da es eine zeitlose Erzählung mit schrulligen Charakteren ist, die sich prima zum Vorlesen eignet. Meine acht Jahre alte Tochter jedenfalls liebt die Wortspiele in dem Buch, und das Wort Rotzenkotz bringt sie immer wieder zum lachen.