Mehr Informationen zur Aufführung auf den Seiten des Maxim-Gorki-Theaters Berlin
Eine Bühne voller puppenhafter Schmierenkomödianten
Am Berliner Maxim-Gorki-Theater wird Shakespeares "Othello" gegen den Rassismus-Strich gebürstet. Autor Sören Voima und Regisseur Christian Weise bemühen sich redlich, die aktuelle Debatte aufzugreifen. Leider versinkt die Inszenierung trotzdem im Komödienklamauk.
Keine Frage: Nicht wenige der Probleme, die uns derzeit umtreiben, haben damit zu tun, dass die Menschen sich gegenseitig geradezu zwanghaft in Schubladen stecken, dass sie einander Rollen zuweisen, Etiketten anhängen, verallgemeinern und Klischees über gesellschaftliche Gruppen mehr Beachtung schenken als den eigentlichen Menschen und ihrem realen Leben. Das postmigrantische Maxim-Gorki-Theater in Berlin hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit diesen Vereinfachungen zu brechen, was ihm auch immer wieder eindrucksvoll gelingt.
Nun ist also "Othello" dran, der, wann immer er in letzter Zeit auf den Spielplänen auftaucht, zwangläufig Blackfacing-Debatten auslöst. Wie darf man so eine Figur heute noch spielen? Und vor allem: Wer darf es, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, in stereotype Kolonialismus-Fallen zu tappen? An diesem Abend hat Taner Sahintürk in der Titelrolle natürlich kein schwarz angemaltes Gesicht, dafür aber eine Hintergrundgeschichte, die ihm Autor Sören Voima für seine freie Shakespeare-Bearbeitung hinzugedichtet hat: Er ist Tunesier, kein Schwarzer, aber ein Stigmatisierter, einer, der Rassismus schon als Kind erlebt hat in der weißen Mehrheitsgesellschaft und den trotz seines gesellschaftlichen Aufstiegs bis heute die Notwendigkeit quält, sich unentwegt legitimieren und beweisen zu müssen.
Othello verzicht auf den Mord an Desdemona
Christian Weises Inszenierung des Stoffes tut gut daran, den aktuellen Rassismusdiskurs aufzugreifen, ihn beherzt in das Stück einzubauen und Othello am Ende darauf verzichten zu lassen, Desdemona umzubringen. Warum? Weil er begreift, dass dieser Mord aus Eifersucht ebenfalls nur eine Zuschreibung von außen ist, dem Klischee des wilden, animalischen Schwarzen entspricht, der sich nicht zivilisiert zu zügeln weiß.
Erstaunlich bleibt aber doch, dass so viel Freiheit, so viel Bereitschaft zur Verschiebung und Hinterfragung so wenig Funken schlägt und sich immer nur ausbruchsweise artikuliert. Hin und wieder steigen die Darsteller auch aus ihren Rollen aus, thematisieren das Theater selbst, jedoch ohne nennenswerte Vertiefungen oder konstruktive Ergebnisse zu erreichen. Stattdessen erzählen Voima und Weise mühsam die Intrigenhandlung nach, hangeln sich in ungeschickten, bisweilen hilflosen Neu-Formulierungen an Shakespeares Versen ab und stürzen die blutige Tragödie in die Untiefen einer krachledernen Farce.
Cassio als überdrehter Schwuler, Rodrigo als Pegida-Fan
Im venezianischen Commedia dell'arte-Setting der Bühne sind alle Akteure (außer Othello) puppenhafte Schmierenkomödianten: Die Frauenfiguren werden von Männern dargestellt, und das mit Gusto und Gefühl, zugleich jedoch wird aus Cassio bei Oscar Olivo ein allzu hysterisch überdrehter Schwuler. Till Wonkas Rodrigo ist dann, um noch eins draufzusetzen, ein penetrant sächselnder Pegida-Mitläufer, der verkündet, zurück nach Clausnitz zu wollen.
Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn man auf Dialekte zurückgreifen muss, damit es so richtig lustig werden kann, und insgesamt ist das Komödienniveau des Abend erschreckend niedrig. Besorgnis erregt dabei aber vor allem etwas anderes: Am Gorki gönnt man dem Othello endlich Würde und entreißt ihn den Klischeezuschreibungen, aber nur unter der Bedingung, die meisten Figuren um ihn herum zu billigen Schwulen-, Sachsen- und Machtmenschparodien zu degradieren, die hauptsächlich aus Klischees, aus altbekannten Rollenzuschreibungen, fast nur aus groben Diffamierungen bestehen. Dass am Ende alle Darsteller gemeinsam bekunden, keine Lust mehr darauf zu haben und das Publikum fragen, ob niemand einen anderen Text für sie hätte, rettet diese Konstruktion auch nicht mehr, zeigt nur, wie schwer es immer noch ist, rauszufinden aus den alten, aufgeheizten Feindseligkeitsfronten.