Die Ausstellung von Otobong Nkanga im Kunsthaus Bregenz ist bis zum 6. Februar 2022 zu sehen.
Otobong Nkanga im Kunsthaus Bregenz
Folge dem Baum, könnte das Motto der aktuellen Ausstellung von Otobong Nkanga im Kunsthaus Bregenz lauten. © Markus Tretter / Otobong Nkanga /Kunsthaus Bregenz
Die Wüste ins Museum bringen
05:43 Minuten
Wenn Menschen die Erde auf der Suche nach Rohstoffen und Profiten immer weiter ausbeuten, kommt es zu Dürren und Wüstenbildung. Diesen Prozess macht die Künstlerin Otobong Nkanga in Bregenz anschaulich.
"Das Faszinierendste ist ja: Ich dachte immer, das Kunsthaus hier ist groß, aber dieser Baum ist viel größer", sagt Otobong Nkanga. Mit diesem Baum empfängt die Künstlerin die Besucherinnen und Besucher ihrer Ausstellung im Foyer des Kunsthauses Bregenz. Eine Weißtanne, deren gefällter Stamm vom Foyer aus im 60-Grad-Winkel scheinbar durch alle drei weiteren Etagen hindurchragt und uns begleitet auf der Reise durch die Schichten der Zeit.
Das ist das Großartige an dieser Ausstellung: Was wir sehen, ist nicht viel, es ist nur sehr groß. So groß, dass wir mehrere Etagen brauchen, um es ganz zu sehen – und es erst nach und nach verstehen lernen. Doch erst einmal wieder quasi zurück zu den Wurzeln, ins Foyer: Der Baumstamm wächst scheinbar aus einem lehmigen Wasserbecken heraus, in die Mitte des Betonbodens drapiert.
Austrocknung ist auch eine Form von Energie
Museumsdirektor Thomas Trummer steht davor. "Es ist ein Tümpel", sagt er, "eigentlich ein toxischer Tümpel, erdfarben, sienafarben, braun, mit einem Rand und innen Wasser – aber eigentlich schlammiges Wasser, das am Rand schon austrocknet und ein wenig aufquillt –, und der früher oder später so trocken werden wird, dass es Schollen gibt, die aufreißen, nicht nur Craquelés, sondern richtige Brüche. Es geht darum, Zeit sichtbar zu machen, letzten Endes auch Verfall und Energien, die wirken. Und Austrocknung ist auch eine Form von Energie."
Es ist Erde, der sich die Nigerianerin Otobong Nkanga in ihrem Werk widmet, deren verschiedene Farbtöne sie während ihrer Aufenthalte auf dem afrikanischen Kontinent gesammelt hat. Mit dem Austrocknen möchte sie auf die Dürren durch den Klimawandel aufmerksam machen. Sie sagt: "Manche Landschaften trocknen ja jetzt schon aus, Orte verlieren ihre Vitalität."
Der menschliche Umgang mit natürlichen Ressourcen
Doch um hier gleich mal den Verdacht von Ethnokitsch auszuräumen: Die Erde im Kunsthaus Bregenz stammt nicht aus Afrika, sondern wie der Baum auch aus der Vorarlberger Nachbarschaft vom Architekten und Künstler Martin Rauch, der aus Erdlehm Häuser baut. Er sagt:
"Das habe ich hier eigentlich nur ausgeliehen. Das Material nehme ich eins zu eins wieder zurück, es wird wieder gemischt und fließt in die Produktion ein. Damit werden wieder Häuser gebaut. Dieser Recyclinggedanke ist sehr wichtig."
Die ausgestellte Weißtanne war übrigens bei ihrer Fällung quasi tot. Das ist der Künstlerin wichtig zu erwähnen. Es geht Otobong Nkanga auch darum, uns den gierigen menschlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen vor Augen zu führen.
Die ausgestellte Weißtanne war übrigens bei ihrer Fällung quasi tot. Das ist der Künstlerin wichtig zu erwähnen. Es geht Otobong Nkanga auch darum, uns den gierigen menschlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen vor Augen zu führen.
Kolonialistischer Umgang mit tropischen Pflanzen
Folgen wir dem Stamm über die höheren Etagen, dann stoßen wir auf salatschüsselgroße Glaskugeln, die über dicke Seile mit dem Baum verbunden sind. In diese Glaskugeln hat die Künstlerin winzige Regenwälder aus kleinen, saftig grünen Farnen und Bäumchen gepflanzt. Sie erinnern an Kanonenkugeln, die Seile an Fesseln.
"Es spielt auch auf die koloniale Art und Weise an, wie Pflanzen von tropischen Zonen in andere Zonen transportiert wurden, an die Terrarien, in denen Pflanzen aufbewahrt wurden, wo das Klima kontrolliert werden konnte", sagt die Künstlerin.
"Es spielt auch auf die koloniale Art und Weise an, wie Pflanzen von tropischen Zonen in andere Zonen transportiert wurden, an die Terrarien, in denen Pflanzen aufbewahrt wurden, wo das Klima kontrolliert werden konnte", sagt die Künstlerin.
Alles ist bei Otobong Nkanga politisch, auch wenn es so scheinbar zeitlos skulptural dasteht oder -liegt, in diesen verschwenderisch großen kubischen Betonräumen, auf die sich durch Lichtgeschosse von oben gedämpft das wechselnde, warme Herbstlicht des Bodensees legt.
Otobong Nkanga nutzt die Genialität dieses einmaligen Hauses auch für ein weiteres Kunstwerk: einen Wandteppich, maschinengewebt nach einem Gemälde. Die Tapisserie ist ebenfalls so hoch, dass sie in vier Stücke zerteilt an den Wänden der vier Stockwerke hängt.
Korallenriffe, Quallenschwärme und herumliegende lose Arme
Sie zeigt eine Sicht vom tiefen Dunkel des Meeres bis in die helleren Wassersphären mit bunten Korallenriffen und Quallenschwärmen hinauf, schließlich blicken wir auf einen Strand, hinter dem ein Wald lichterloh brennt. Wie verfremdende Elemente liegen und schwimmen überall lose Arme herum.
"Mit den Armen denke ich über den Körper nach", sagt Otobong Nkanga, "aber vor allem über die Geste: die Art, wie wir graben, wie wir bauen. Ohne den Körper verkörpert die Hand mehr oder weniger das reine Tun. Und ohne Hände wird es hart, irgendetwas zu tun."
"Mit den Armen denke ich über den Körper nach", sagt Otobong Nkanga, "aber vor allem über die Geste: die Art, wie wir graben, wie wir bauen. Ohne den Körper verkörpert die Hand mehr oder weniger das reine Tun. Und ohne Hände wird es hart, irgendetwas zu tun."
Der Mensch, der seine Handlungsmöglichkeiten in der menschgemachten Katastrophe verliert und am Ende seiner Erde nur noch beim Verbrennen zusehen kann – dieser Erzählung folgt man mit jeder Etage, die man höher steigt.
Atemberaubend wird die Ausstellung im vierten Stock, wo sie auf ihre Art sprichwörtlich ausufert. Nkangas Pointe soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Ein Tipp: Sie hat mit 50 Tonnen Lehmerde zu tun und mit Schlamm, der unsere Blicke, unser Bewusstsein unwillkürlich in seine visköse Schwere hineinzieht. Man möchte jeden Tag wiederkommen, um ihm beim Wüstewerden zuzuschauen.