Ottessa Moshfegh: "Heimweh nach einer anderen Welt"

Zwischen Sucht und Sehnsucht

04:47 Minuten
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Ottessa Moshfegh erzählt in ihren Short Storys davon, was für viele US-Bürger heute vom amerikanischen Traum übriggeblieben ist. © Liebeskind Verlag / Deutschlandradio
Von Daniel Haas |
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Die Kurzgeschichten von Ottessah Moshfegh seien "riskante Inspektionen menschlicher und kultureller Abgründe", meint unser Rezensent - sie zu lesen "ein verstörendes Vergnügen". Tschechow und Bukowski lassen grüßen.
Wenn man lange genug in den Abgrund schaut, schaut er irgendwann zurück, besagt ein Philosophenwort. Die Erzählungen von Otessa Moshfeg sind solche riskanten Inspektionen menschlicher und kultureller Abgründe, sie zu lesen bedeutet einen Blick zu tun in die Tiefen und Untiefen menschlicher Bos- und Dummheit. Düstere Spiegel sind diese Stories, Reflektionen unseres allgemeinen Bemühens, dem Leben Sinn zu geben und wie diese Sinngebungsprozeduren oft ins Leere laufen, lächerlich werden und traurig-komisch bis an die Grenze zum Grotesken.

Existenz als maliziöser Scherz

Das ist überhaupt eine der großen Qualitäten dieses Erzählungenbandes: dass er die schonungslose Zurschaustellung der menschlichen Natur (oder Unnatur) kombiniert mit einem feinen, streckenweise bösartigen Humor. Moshfegh macht dabei keine Witze auf Kosten ihrer Figuren, sie zeigt deren Existenz selbst als maliziösen Scherz.
Da ist die junge Frau, die regelmäßig in ein verlassenes Kaff reist, um dort Drogen zu nehmen, eine Touristin der Eigenbetäubung, die sich in der Umgebung zombiehafter User selbst verliert oder – je nach Perspektive – findet. Da trifft ein Yuppie in einer verlassenen Hütte auf eine junge Streunerin, und innerhalb weniger Stunden ist die bürgerliche Existenz des Mannes zerrüttet.
In einer der besten Erzählungen des Bandes ("Der Beach Boy") kehrt ein Ärzteehepaar von einer Tropenreise zurück, und wie die beiden lüstern-verklemmt in Erinnerungen an die Strichjungen vom Strand schwelgen, das ist der Auftakt für eine Fahrt ins Herz der Finsternis, die am Ende nur einer von beiden überleben wird.

Diet Coke als ein Moment spiritueller Größe

Eine Grundstimmung dieser Prosa ist der Ennui, ein tiefes Gelangweiltsein von den Verhältnissen und der eigenen Lage. In der Auftaktstory "Ich bessere mich" beschreibt eine junge Lehrerin ihr abgründiges Desinteresse an didaktischen Pflichten; auch sie nimmt, wie so viele Moshfeg-Heldinnen, Drogen. Virtuos übersetzt die Autorin das Gefühl existentiellen Sediertseins in einen lakonisch-schwebenden Ton. Und auch der Humor stellt sich leicht und wie beiläufig ein.
Wenn die Heldin in die Kirche gehen will, um dort einen Moment der Besinnung zu erfahren, stattdessen aber in einem McDonald’s landet und dort beim Genuss einer Diet Coke einen Moment spiritueller Größe erlebt, dann ist das eine der vielen kleinen Pointen, mit denen Moshfeg unseren hehren Selbstansprüche und Verstiegenheiten ins Leere laufen lässt.

Doppelte Tonlage aus Coolness und Wehmut

Heimweh nach einer anderen Welt – der Titel der Sammlung legt das Motiv der Sehnsucht nahe, und auch wenn Mosfegh den Sehnsüchtigen gern im Süchtigen aufgehen lässt, gibt es doch auch einen subtilen Zug der Melancholie in diesen virtuos erzählten Stories, eine gnädige Sympathie mit manchen Figuren. Am deutlichsten und zugleich drastischsten ist diese doppelte Tonlage aus Coolness und Wehmut in der Schlussgeschichte herauszuhören.
Ein kleines Mädchen träumt sich aus dem Elend einer lieblosen Familie in eine andere Welt; hierfür ist es nötig, einen bestimmten, per Vorsehung auserwählten Menschen zu finden und zu töten. Erschreckend wie dieses magische Denken sich dann konkretisiert, ohne dass das Ganze in plumpen Horror umschlägt. Vielmehr wird hier aus einer Kinderfantasie heraus eine Utopie entwickelt, und wie jede Utopie fordert auch diese einen hohen Preis.
Ottessa Moshfegh lesen ist ein verstörendes Vergnügen, gerade weil die Verstörung so raffiniert eingefädelt wird. Wer Heimweh nach einer anderen, neuen, zwischen Tschechow und Bukowski flirrenden Erzählstimme hat, ist hier genau richtig.

Ottessa Moshfegh: "Heimweh nach einer anderen Welt. Stories"
Übersetzt von Anke Caroline Burger
Liebeskind Verlag, München 2020
336 Seiten, 22 Euro

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