Oyinkan Braithwaite: "Das Baby ist meins"

Ein Gigolo wird zum "Vater" wider Willen

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Cover des Buchs "Das Baby ist meins" von Oyinkan Braithwaite.
"Das Baby ist meins" ist so etwas wie der erste Corona-Lockdown-Roman, meint unser Rezensent. © Blumenbar / Deutschlandradio
Von Ulrich Noller · 02.02.2021
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Ein haltloser Gigolo muss mitten im Lockdown in Nigeria Verantwortung für ein Baby übernehmen, um das sich zwei Frauen streiten. Oyinkan Braithwaite bürstet in "Das Baby ist meins" Geschlechterbilder gegen den Strich.
Lockdown auch in Lagos, Nigeria. Um zu Hause bleiben zu können, muss man natürlich auch eines haben. Der Lebemann und Gigolo Bambi ist froh, dass er bei einer gut situierten Schönheit mit schicker Wohnung recht komfortabel unterkommen konnte. Dann kommt der Moment, in dem sie sein Smartphone knackt und feststellen muss, dass der er auch mit anderen Frauen flirtet. Unverzeihlich.

Zwei ungleiche Frauen zanken um ein Kind

Bambi landet also auf der Straße und sieht bloß eine Möglichkeit: Er muss bei seiner Tante unterkommen, deren Mann kürzlich an Corona verstorben ist. Dort angelangt, erwartet ihn eine dicke Überraschung: Im Bungalow der Tante befinden sich zwei Frauen und ein Baby. Die Tante, klar, und die ehemalige Geliebte des Onkels. Unvorstellbar eigentlich, die beiden unter einem Dach vorzufinden.
Die Situation ist allerdings auch noch besonders brenzlig, denn die ungleichen Frauen zanken um das Kind. Und zwar heftig. Beide behaupten, das Baby sei ihres, Bambi gerät in die Rolle eines Schiedsrichters. Das Problem: Wegen des Lockdowns gibt es keine Möglichkeit, belegbar festzustellen, welche der beiden Frauen nun die Wahrheit sagt.
Und weil die Situation immer stärker eskaliert, bleibt nur eine Option: Bambi kümmert sich um das Baby, nachts vor allem, und das muss mindestens so lange anhalten, bis die Labore nicht mehr überlastet sind, sodass ein Gentest gemacht werden kann. Das geht jetzt nicht, trotz befreundeter Ärzte, die Labore sind über dem Limit. Und so wird der Gigolo zum "Vater" wider Willen, mit allem Drumunddran – wickeln, singen, füttern.
Während durch Corona und den Lockdown allerorten eine "Retraditionalisierung" der Geschlechterrollen droht, wie die Soziologin Jutta Allmendinger analysiert, nutzt Oyinkan Braithwaite die Lage, um die Verhältnisse mal eben umzukehren. Zumindest in der Fiktion. So schnell und so einfach könnte das gehen, wenn die Umstände es erfordern, zum Beispiel durch eine Pandemie, die nicht bloß das Leben, sondern auch das Denken herausfordert. Oder, wenn die Frauen es so wollen. Die allerdings in dieser verschmitzten Geschichte ebenfalls ihr Fett abbekommen – denn was wollen sie eigentlich?

Der Corona-Lockdown als erzählerische Struktur

Oyinkan Braithwate, geboren 1988, hat mit ihrem Debütroman "Meine Schwester, die Serienmörderin" im vergangenen Jahr mächtig für Furore gesorgt: eine Kampfansage ans Patriarchat mit den Mitteln des Genreromans. Mit "Das Baby ist meins" legt sie noch einen drauf, wobei sie dieses Mal auf den doch eher plakativen Genre-Rahmen verzichten kann, ihre Geschichte ist auch ohne eine solche Stütze stark genug – und der Corona-Lockdown bietet ja auch eine bestens passende Struktur.
Interessant zu sehen ist auch, wie diese junge Schriftstellerin mit ihrer Prosa auftritt. Das ist nicht in irgendeiner Form sogenannte "Literatur aus Afrika", sondern Weltliteratur, die sich selbstbewusst und selbstverständlich am globalen Diskurs beteiligt – und dabei insbesondere in der Pandemie-Zeit ganz weit vorne liegt.
Um nicht zu sagen: an der Spitze. Auch deshalb, weil "Das Baby ist meins" der erste Corona-Lockdown-Roman ist in dem Sinne, dass die Lebenssituation in der Pandemie nicht bloß tagebuchartig oder als Chronik reflektiert wird; vielmehr ist sie strukturell und dramaturgisch prägend. All das steckt in diesem Roman.

Oyinkan Braithwaite: "Das Baby ist meins"
Aus dem Englischen von Yasemin Dinçer
Blumenbar, Berlin 2021
125 Seiten, 15 Euro

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