Ozean im Stresstest
Stimmen die Prognosen der UN, dürfte die Zunahme von CO2 in der Atmosphäre bis 2100 zu einer Versauerung der Ozeane führen. In einem schwedischen Fjord simulieren Forscher das Zukunftsszenario mit riesigen Plastiksäcken, die im Meer schwimmen.
Ein kleines Alu-Boot namens Wassermann treibt auf den Wellen im Gullmarsfjord, einem schmalen Meeresarm, 100 Kilometer nördlich von Göteborg an der Westküste Schwedens. Auf dem flachen Boot stehen vier junge Forscher – gegen die Kälte eingepackt in orangefarbenen Schutzanzügen. Sie haben gerade eine Probe aus dem Meer gezogen. Im Probennehmer aus durchsichtigem Plastikglas sind unzählige helle Punkte zu erkennen, einige wie helle Sandkörner, andere größer; und sie bewegen sich.
"Hier unten zum Beispiel ein Copepod, der verschwindet jetzt gleich ins Loch rein hier – der immer so rumspringt."
Thomas Hornick zeigt auf einen Ruderfußkrebs, der sich hüpfend durchs Wasser bewegt, und der gerade an der tiefsten Stelle des Probennehmers im Schatten verschwindet. Nachher im Labor an der Forschungsstation Kristineberg wird Hornick DNA aus der Probe isolieren und analysieren. So kann er feststellen, welche Lebewesen in der Probe sind, und zwar nicht nur die sichtbaren - auch Bakterien, Viren und kleine Einzeller.
Hornicks Kollege Lennart Bach steuert inzwischen den nächsten Mesokosmos an. Ihre Proben nehmen die Forscher nicht einfach im offenen Meer, sondern in sogenannten Mesokosmen. Das sind riesige, sackartige Konstruktionen, die rund 55 Kubikmeter Meerwasser einschließen und vom umgebenden Meer trennen. Die Säcke sind aus Polyurethanfolie, ihr Durchmesser: zwei Meter. Jeder Sack ragt an Gestänge zwei Meter über die Wasseroberfläche hinaus, hat ein Dach aus durchsichtigem Plastik, reicht unter Wasser gut 17 Meter weit in die Tiefe und wird von Schwimmkörpern gehalten.
"Hups. Ich will hier grad noch mal ganz elegant eingleiten. Nicht Ulfs Mesos zu Schrott fahren."
Bachs Kollegen vertäuen die "Wassermann" am Mesokosmos – er zieht die nächste Probe. An einer Seilwinde hängt er den Probennehmer ein und schwenkt das Ganze in den Mesokosmos.
"Und dann kommt er hier rein, sanft. Na ja, mehr oder weniger sanft ins Wasser so und dann möglichst gleichmäßig runterlassen."
Am Seil lässt er den Probennehmer bis auf 17 Meter hinab, der saugt kontinuierlich Wasser ein.
"Um dann eine Probe zu kriegen, die sozusagen eine integrierte Probe über die ganze Wassersäule ist."
Die Lebensbedingungen verändern sich grundlegend
Alle zwei Tage ziehen Bach, Hornick und ihre Kollegen Proben aus allen zehn Mesokosmen, die im Fjord schwimmen und fest am Meeresboden vertäut sind. Ihr Thema: die Ozeanversauerung. Sie haben in fünf der zehn Mesokosmen so viel Kohlendioxid zugesetzt, dass die Bedingungen dem entsprechen, was die Experten im UN-Klimabericht IPCC für das Jahr 2100 prognostizieren, wenn der Mensch weiter wie bisher immer mehr CO2 in die Atmosphäre pustet. Das Meerwasser wird dadurch saurer, die Lebensbedingungen für die Organismen verändern sich grundlegend. Zum Vergleich herrschen in fünf Mesokosmen genau dieselben Bedingungen wie im offenen Meer.
Gerade jetzt ist ein besonderer Moment im Jahr, sagt Lennart Bach:
"Die Frühjahrsblüte. Jedes Jahr findet die statt, so um die Jahreszeit jetzt. Das ist, wenn hier noch viele Nährsalze im Wasser sind, also Stickstoff, Phosphor, alles was so Pflanzen zum Wachsen brauchen – und dann nach dem Winter auch Licht kommt. Und wir wollten halt, dass wir diese Frühjahrsblüte noch mitbekommen."
Jetzt sind die Stoffumsätze am höchsten, die Kieselalgen vermehren sich schlagartig, werden dann von größeren Organismen gefressen. Letztere bekommen Nachwuchs. Dieses Ereignis auf jeden Fall mitbekommen wollten sie, deshalb sind sie seit Januar hier. Das Forschungsschiff Alkor brachte die Mesokosmen vom Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Geomar in Kiel hier herauf und setzte sie im Fjord aus. Dann gingen die Schwierigkeiten los, sagt der Leiter der Studie, der Biogeochemiker Ulf Riebesell:
"Als wir im Januar hier ankamen mit Alkor, und die Mesokosmen ausgesetzt haben, da war noch tüchtig Eis auf dem Fjord. Wir waren schon ein bisschen drauf vorbereitet, allerdings nicht, dass das Eis solange bleiben würde."
Der kalte Winter 2012/13 machte den Forschern einen Strich durch die Rechnung. Erst als das Eis sich endlich verzogen hatte, konnten sie loslegen.
"Dann werden die Säcke runtergelassen, alle fast gleichzeitig. Und dann sinken diese Säcke wie Vorhänge einfach runter und schneiden eine Wassersäule – 20 Meter tief, zwei Meter im Durchmesser – aus dem Fjord raus und schließen alle Organismen, die da zu dem Zeitpunkt mit drin sind, mit ein. Und das geht von Viren, Bakterien, Phytoplankton, Zooplankton, Fischlarven, Quallen – was immer da drin ist, wird dann mit eingeschlossen. Dann machen wir unten zu, und dann ist sozusagen der Laden dicht. Und dann haben wir die für uns."
Die "biologische Pumpe" der Meere wird schwächer
Die Forscher können mitverfolgen, was das zusätzliche CO2 bewirkt, das sie zugesetzt haben. Am Ende der Frühjahrsblüte zum Beispiel: Viele der Organismen aus der Blüte sterben einfach ab, vor allem die Kieselalgen. Ihre toten Überreste sinken nach unten. Im natürlichen System fallen sie bis auf den Meeresboden, alles was sie an Körpermasse mit nach unten nehmen, verschwindet aus dem aktiven Stoffkreislauf zwischen Ozean und Atmosphäre – auch der Kohlenstoff. So wird der Ozean zu einer Senke für Kohlenstoff und damit für Kohlendioxid. Die Forscher nennen diesen Vorgang "biologische Pumpe", weil dabei Kohlenstoff und andere Nährstoffe aus dem aktiven Stoffkreislauf herausgepumpt werden. Die offene Frage: Was geschieht bei mehr CO2 im Wasser, wird die Pumpe stärker oder schwächer?
Bisherige Studien zeigen, dass sie wohl schwächer werden wird, das heißt, der Ozean der Zukunft wird weniger CO2 aufnehmen und speichern als bisher. Ozeane nehmen bis heute etwa ein Drittel des CO2s, das der Mensch jährlich freisetzt, auf. Ohne diesen Speicher wäre die CO2-Konzentration in der Luft heute schon höher, der Treibhauseffekt wäre stärker.
Der Versuch im Fjord soll noch bis in den Juni, Juli hinein laufen. Dann wird das Forschungsschiff Alkor den Fjord wieder ansteuern und die Mesokosmen einsammeln.
"Wenn wir es schaffen, solange hier durchzuhalten. Das 'Schaffen' ist nicht, ob wir die Ausdauer haben, sondern das 'Schaffen' ist, ob uns irgendwie ein Sturm oder was anderes das System auseinanderreißt. Also: Wenn wir es schaffen, sind wir bis Ende Juni, Anfang Juli hier."
Dann wäre das Experiment immerhin drei volle Monate gelaufen. Das ist länger als alle Versuche, die Ulf Riebesell bisher mit seinen Mesokosmen gestartet hat. Und das hat einen Grund: Der Forscher will wissen, ob sich die Organismen im Meer an die neuen Verhältnisse anpassen können. Immerhin bleibt in der Realität laut IPCC-Prognose noch bis ins Jahr 2100 oder noch länger Zeit, bis die Verhältnisse so werden, wie sie Ulf Riebesell in seinen Mesokosmen simuliert.
"Genau das ist die entscheidende Frage: Ist Anpassung in diesen hundert Jahren möglich? Wenn die sich bei uns in Monaten komplett anpassen können, dann wäre die Antwort: Ozeanversauerung ist kein Problem."
Im Laborexperiment bricht der Stoffwechsel zusammen
Dass die Antwort tatsächlich "kein Problem" lautet, ist unwahrscheinlich. Es ist klar, dass einige Arten mit dem saureren Meerwasser nicht zurande kommen werden. Bei einigen bricht im Laborexperiment der Stoffwechsel zusammen, bei anderen, die Kalk in ihren Skeletten oder in der Schale verwenden, löst sich das Skelett im saureren Meerwasser auf oder lässt sich nur mit größerem Aufwand bilden. Ziemlich wahrscheinlich ist, dass einige Arten unter Hoch-CO2-Bedingungen deshalb einfach aus dem Ökosystem verschwinden werden. Und all die winzigen Organismen – und was sie zusammengenommen leisten – sind unschätzbar wichtig, sagt Ulf Riebesell. Sie sind die Basis der Nahrungskette.
"Sozusagen das, was im Ozean überhaupt erst Leben möglich macht."
Was an dieser Basis geschieht, beeinflusst alles Leben im und am Meer. Also auch die Frage, wie viel der Mensch in Zukunft zum Beispiel an Fisch – Dorsch oder Hering etwa – aus dem Meer holen kann. Die Forscher haben gerade einige abgezählte Heringseier in ihre Versuchssäcke eingesetzt. Heringseier kleben in der Natur fest auf Steinen oder anderem Untergrund. Die Wissenschaftler haben sie auf Glasscheiben aufgebracht, abgezählt und in die Mesokosmen eingesetzt. In zwei Wochen schlüpfen daraus die Heringslarven.
"Hier wollen wir untersuchen: Wie wirkt es sich aus, wenn das gesamte Nahrungsnetz schon sich auf Hoch-CO2 eingestellt hat, die Futterqualität eine andere ist, das Artenspektrum ein anderes ist. Hat das Auswirkungen auf die Entwicklung der Fischlarven? Das ist praktisch das erste Experiment dieser Art, wo die Fischlarven auch in eine Umgebung kommen, wo das gesamte System schon hoch-CO2-erfahren ist."
Ulf Riebesell will so die Studien ergänzen, die sich auf die gut kontrollierten Bedingungen in Laborexperimenten stützen. Im Labor hat sich gezeigt, dass Fischlarven erst bei sehr hohen, fast schon unrealistischen CO2-Werten spürbar langsamer wachsen. Doch gilt das auch draußen in der Natur? Um das zu testen, nimmt Riebesell in Kauf, dass ihm die Natur immer wieder das Leben schwer macht, und er dann nach Abhilfe suchen muss. Er zeigt auf die rundlichen Plastikdächer, die auf den zehn Mesokosmen im Fjord aufsitzen.
"Wenn Sie ganz genau hinschauen: Da sind solche kleinen Pikser, und die sind dazu da, dass sich die Vögel nicht drauf setzen. Wir hatten in der Ostsee so eine Studie, wo um die Mesokosmen herum sich Hunderte Seevögel angesammelt haben, und die saßen dann gerne auf den Mesokosmen drauf. Und natürlich geben die dann auch mal was ab, und dann fällt das rein. Und dann hat man dann plötzlich einen Nährstoffeintrag – aber nicht in jedem gleich, sondern in manchen, wo sie drauf sitzen. Und dann hat man das Experiment sich versaut dadurch."
Also Spikes auf die Dächer. Das Motto könnte sein: Nur wer nicht aufgibt, hat gewonnen und findet am Ende vielleicht heraus, was die Ozeanversauerung für das Leben im Meer bedeutet.
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Hornicks Kollege Lennart Bach steuert inzwischen den nächsten Mesokosmos an. Ihre Proben nehmen die Forscher nicht einfach im offenen Meer, sondern in sogenannten Mesokosmen. Das sind riesige, sackartige Konstruktionen, die rund 55 Kubikmeter Meerwasser einschließen und vom umgebenden Meer trennen. Die Säcke sind aus Polyurethanfolie, ihr Durchmesser: zwei Meter. Jeder Sack ragt an Gestänge zwei Meter über die Wasseroberfläche hinaus, hat ein Dach aus durchsichtigem Plastik, reicht unter Wasser gut 17 Meter weit in die Tiefe und wird von Schwimmkörpern gehalten.
"Hups. Ich will hier grad noch mal ganz elegant eingleiten. Nicht Ulfs Mesos zu Schrott fahren."
Bachs Kollegen vertäuen die "Wassermann" am Mesokosmos – er zieht die nächste Probe. An einer Seilwinde hängt er den Probennehmer ein und schwenkt das Ganze in den Mesokosmos.
"Und dann kommt er hier rein, sanft. Na ja, mehr oder weniger sanft ins Wasser so und dann möglichst gleichmäßig runterlassen."
Am Seil lässt er den Probennehmer bis auf 17 Meter hinab, der saugt kontinuierlich Wasser ein.
"Um dann eine Probe zu kriegen, die sozusagen eine integrierte Probe über die ganze Wassersäule ist."
Die Lebensbedingungen verändern sich grundlegend
Alle zwei Tage ziehen Bach, Hornick und ihre Kollegen Proben aus allen zehn Mesokosmen, die im Fjord schwimmen und fest am Meeresboden vertäut sind. Ihr Thema: die Ozeanversauerung. Sie haben in fünf der zehn Mesokosmen so viel Kohlendioxid zugesetzt, dass die Bedingungen dem entsprechen, was die Experten im UN-Klimabericht IPCC für das Jahr 2100 prognostizieren, wenn der Mensch weiter wie bisher immer mehr CO2 in die Atmosphäre pustet. Das Meerwasser wird dadurch saurer, die Lebensbedingungen für die Organismen verändern sich grundlegend. Zum Vergleich herrschen in fünf Mesokosmen genau dieselben Bedingungen wie im offenen Meer.
Gerade jetzt ist ein besonderer Moment im Jahr, sagt Lennart Bach:
"Die Frühjahrsblüte. Jedes Jahr findet die statt, so um die Jahreszeit jetzt. Das ist, wenn hier noch viele Nährsalze im Wasser sind, also Stickstoff, Phosphor, alles was so Pflanzen zum Wachsen brauchen – und dann nach dem Winter auch Licht kommt. Und wir wollten halt, dass wir diese Frühjahrsblüte noch mitbekommen."
Jetzt sind die Stoffumsätze am höchsten, die Kieselalgen vermehren sich schlagartig, werden dann von größeren Organismen gefressen. Letztere bekommen Nachwuchs. Dieses Ereignis auf jeden Fall mitbekommen wollten sie, deshalb sind sie seit Januar hier. Das Forschungsschiff Alkor brachte die Mesokosmen vom Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Geomar in Kiel hier herauf und setzte sie im Fjord aus. Dann gingen die Schwierigkeiten los, sagt der Leiter der Studie, der Biogeochemiker Ulf Riebesell:
"Als wir im Januar hier ankamen mit Alkor, und die Mesokosmen ausgesetzt haben, da war noch tüchtig Eis auf dem Fjord. Wir waren schon ein bisschen drauf vorbereitet, allerdings nicht, dass das Eis solange bleiben würde."
Der kalte Winter 2012/13 machte den Forschern einen Strich durch die Rechnung. Erst als das Eis sich endlich verzogen hatte, konnten sie loslegen.
"Dann werden die Säcke runtergelassen, alle fast gleichzeitig. Und dann sinken diese Säcke wie Vorhänge einfach runter und schneiden eine Wassersäule – 20 Meter tief, zwei Meter im Durchmesser – aus dem Fjord raus und schließen alle Organismen, die da zu dem Zeitpunkt mit drin sind, mit ein. Und das geht von Viren, Bakterien, Phytoplankton, Zooplankton, Fischlarven, Quallen – was immer da drin ist, wird dann mit eingeschlossen. Dann machen wir unten zu, und dann ist sozusagen der Laden dicht. Und dann haben wir die für uns."
Die "biologische Pumpe" der Meere wird schwächer
Die Forscher können mitverfolgen, was das zusätzliche CO2 bewirkt, das sie zugesetzt haben. Am Ende der Frühjahrsblüte zum Beispiel: Viele der Organismen aus der Blüte sterben einfach ab, vor allem die Kieselalgen. Ihre toten Überreste sinken nach unten. Im natürlichen System fallen sie bis auf den Meeresboden, alles was sie an Körpermasse mit nach unten nehmen, verschwindet aus dem aktiven Stoffkreislauf zwischen Ozean und Atmosphäre – auch der Kohlenstoff. So wird der Ozean zu einer Senke für Kohlenstoff und damit für Kohlendioxid. Die Forscher nennen diesen Vorgang "biologische Pumpe", weil dabei Kohlenstoff und andere Nährstoffe aus dem aktiven Stoffkreislauf herausgepumpt werden. Die offene Frage: Was geschieht bei mehr CO2 im Wasser, wird die Pumpe stärker oder schwächer?
Bisherige Studien zeigen, dass sie wohl schwächer werden wird, das heißt, der Ozean der Zukunft wird weniger CO2 aufnehmen und speichern als bisher. Ozeane nehmen bis heute etwa ein Drittel des CO2s, das der Mensch jährlich freisetzt, auf. Ohne diesen Speicher wäre die CO2-Konzentration in der Luft heute schon höher, der Treibhauseffekt wäre stärker.
Der Versuch im Fjord soll noch bis in den Juni, Juli hinein laufen. Dann wird das Forschungsschiff Alkor den Fjord wieder ansteuern und die Mesokosmen einsammeln.
"Wenn wir es schaffen, solange hier durchzuhalten. Das 'Schaffen' ist nicht, ob wir die Ausdauer haben, sondern das 'Schaffen' ist, ob uns irgendwie ein Sturm oder was anderes das System auseinanderreißt. Also: Wenn wir es schaffen, sind wir bis Ende Juni, Anfang Juli hier."
Dann wäre das Experiment immerhin drei volle Monate gelaufen. Das ist länger als alle Versuche, die Ulf Riebesell bisher mit seinen Mesokosmen gestartet hat. Und das hat einen Grund: Der Forscher will wissen, ob sich die Organismen im Meer an die neuen Verhältnisse anpassen können. Immerhin bleibt in der Realität laut IPCC-Prognose noch bis ins Jahr 2100 oder noch länger Zeit, bis die Verhältnisse so werden, wie sie Ulf Riebesell in seinen Mesokosmen simuliert.
"Genau das ist die entscheidende Frage: Ist Anpassung in diesen hundert Jahren möglich? Wenn die sich bei uns in Monaten komplett anpassen können, dann wäre die Antwort: Ozeanversauerung ist kein Problem."
Im Laborexperiment bricht der Stoffwechsel zusammen
Dass die Antwort tatsächlich "kein Problem" lautet, ist unwahrscheinlich. Es ist klar, dass einige Arten mit dem saureren Meerwasser nicht zurande kommen werden. Bei einigen bricht im Laborexperiment der Stoffwechsel zusammen, bei anderen, die Kalk in ihren Skeletten oder in der Schale verwenden, löst sich das Skelett im saureren Meerwasser auf oder lässt sich nur mit größerem Aufwand bilden. Ziemlich wahrscheinlich ist, dass einige Arten unter Hoch-CO2-Bedingungen deshalb einfach aus dem Ökosystem verschwinden werden. Und all die winzigen Organismen – und was sie zusammengenommen leisten – sind unschätzbar wichtig, sagt Ulf Riebesell. Sie sind die Basis der Nahrungskette.
"Sozusagen das, was im Ozean überhaupt erst Leben möglich macht."
Was an dieser Basis geschieht, beeinflusst alles Leben im und am Meer. Also auch die Frage, wie viel der Mensch in Zukunft zum Beispiel an Fisch – Dorsch oder Hering etwa – aus dem Meer holen kann. Die Forscher haben gerade einige abgezählte Heringseier in ihre Versuchssäcke eingesetzt. Heringseier kleben in der Natur fest auf Steinen oder anderem Untergrund. Die Wissenschaftler haben sie auf Glasscheiben aufgebracht, abgezählt und in die Mesokosmen eingesetzt. In zwei Wochen schlüpfen daraus die Heringslarven.
"Hier wollen wir untersuchen: Wie wirkt es sich aus, wenn das gesamte Nahrungsnetz schon sich auf Hoch-CO2 eingestellt hat, die Futterqualität eine andere ist, das Artenspektrum ein anderes ist. Hat das Auswirkungen auf die Entwicklung der Fischlarven? Das ist praktisch das erste Experiment dieser Art, wo die Fischlarven auch in eine Umgebung kommen, wo das gesamte System schon hoch-CO2-erfahren ist."
Ulf Riebesell will so die Studien ergänzen, die sich auf die gut kontrollierten Bedingungen in Laborexperimenten stützen. Im Labor hat sich gezeigt, dass Fischlarven erst bei sehr hohen, fast schon unrealistischen CO2-Werten spürbar langsamer wachsen. Doch gilt das auch draußen in der Natur? Um das zu testen, nimmt Riebesell in Kauf, dass ihm die Natur immer wieder das Leben schwer macht, und er dann nach Abhilfe suchen muss. Er zeigt auf die rundlichen Plastikdächer, die auf den zehn Mesokosmen im Fjord aufsitzen.
"Wenn Sie ganz genau hinschauen: Da sind solche kleinen Pikser, und die sind dazu da, dass sich die Vögel nicht drauf setzen. Wir hatten in der Ostsee so eine Studie, wo um die Mesokosmen herum sich Hunderte Seevögel angesammelt haben, und die saßen dann gerne auf den Mesokosmen drauf. Und natürlich geben die dann auch mal was ab, und dann fällt das rein. Und dann hat man dann plötzlich einen Nährstoffeintrag – aber nicht in jedem gleich, sondern in manchen, wo sie drauf sitzen. Und dann hat man das Experiment sich versaut dadurch."
Also Spikes auf die Dächer. Das Motto könnte sein: Nur wer nicht aufgibt, hat gewonnen und findet am Ende vielleicht heraus, was die Ozeanversauerung für das Leben im Meer bedeutet.
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