Peter Lindbergh/Felix Krämer/Wim Wenders: "Peter Lindbergh. Untold Stories"
Taschen Verlag, Köln 2020
320 Seiten, 60 Euro
Starke Frauen, umwerfende Bilder
05:09 Minuten
Bis kurz vor seinem Tod kuratierte Peter Lindbergh eine Ausstellung mit 150 seiner Aufnahmen. Ein prächtiger Bildband begleitet nun die Düsseldorfer Schau und zeigt das Vermächtnis eines großen Fotografen, der die Modefotografie revolutionierte.
Was für ein Bild! Die Frau in Minikleid und High Heels hängt buchstäblich am Eiffelturm. Sie ist ein Stück hinaufgeklettert, stemmt ihre Füße gegen die Eisenträger und hält sich mit einer Hand fest, während die andere in ihrer Haarmähne verschwindet. Der offensive Blick geht zur Kamera, und seine Botschaft ist eindeutig: Mir gehört die Welt.
Selbstbewußte und unabhängige Persönlichkeiten
1989 war Tina Turner auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, und Peter Lindbergh wusste, sie genial zu inszenieren. Auch er war zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr. Im Vorjahr war dem Fotografen ein Coup gelungen mit den Aufnahmen der später als Supermodels titulierten Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford in weißen Männerhemden. Tatsächlich schrieb der 1944 im polnischen Lezno als Peter Brodbeck geborene und in Duisburg aufgewachsene Lindbergh damit Fotografiegeschichte.
Frauen als starke, selbstbewusste und unabhängige Persönlichkeiten porträtieren – das konnte Peter Lindbergh wie kein anderer. Davon zeugt nicht nur sein großes Oeuvre, das unterstreicht auch seine Düsseldorfer Ausstellung, die von ihm selbst kuratiert wurde und die von einem exzellenten Bildband begleitet wird. Nach dem überraschenden Tod des Fotografen im September 2019 erscheint das Buch nun als besonderes Vermächtnis.
"Peter Lindbergh. Untold Stories" versammelt über 150 Fotografien von den 1980er-Jahren bis heute, fast alle schwarz-weiß. Darunter sind noch nie gezeigte Bilder und solche, die sich ins kollektive visuelle Bewusstsein eingeschrieben haben. Etwa die Modekampagnen mit Linda Evangelista und Co. in den Straßen New Yorks oder inmitten spektakulärer Industriearchitektur und die großartigen Porträts von Stars wie Helen Mirren, Charlotte Rampling, Uma Thurman oder Nicole Kidman.
Antonio Banderas neben Karen Elson
Viele der Aufnahmen erstrecken sich über eine Doppelseite hinweg, ebenso viele hat Peter Lindbergh in Zweier- oder Vierergruppen arrangiert. So ergeben sich ungewöhnliche Konstellationen und/oder Konstanten über Jahrzehnte hinweg; etwa in der Zusammenschau der Porträts der Schauspielerinnen Jeanne Moreau (2003) und Zhang Ziyi (2017) und der Models Arizona Muse (2010) und Mariacarla Buscono (2013).
Auch die Gegenüberstellung des Darstellers Antonio Banderas (neben Richard Gere einer der wenigen porträtierten Männer) mit Sängerin und Model Karen Elson hat Reiz. Und schlichtweg hinreißend sind die Aufnahmen von Naomi Campbell auf Ibiza (2000); so entspannt und natürlich hat man das Supermodel noch nie gesehen.
Eine Würdigung durch Wim Wenders und ein Interview mit Peter Lindbergh beschließen den prächtigen Bildband. Es ist spannend und berührend zu lesen, wie dieser außergewöhnliche Fotograf sich im Gespräch tastend seinem Tun nähert, das ihm selbst "in Teilen ein Geheimnis" geblieben sei.
Können, Instinkt, Bauchgefühl, eine tiefe Liebe zu den Menschen und – wie Wenders beschreibt – ein unermesslich großes Talent zur Freundschaft sind in sein einzigartiges Werk eingeflossen. Wie traurig, dass es nun abgeschlossen ist.