"Paar Tage später war ich in Deutschland!"

Samir Odeh-Tamimi im Gespräch mit Holger Hettinger · 20.08.2010
Blockflöte und Klavier in Israel, Kompositionsstudium in Bremen, jetzt die Oper "Leila und Madschnun" in Bochum: Samir Odeh-Tamimi und seine Musik stehen bei der Eröffnung der Ruhrtriennale im Blickpunkt.
Susanne Führer: Leila und Madschnun, das ist das berühmteste Liebespaar der arabischen, der islamischen Kultur. Hier kurz die Geschichte:

Sprecherin: Der klangvolle Name Madschnun ist kein Eigenname, sondern bedeutet "der Wahnsinnige". Und das gibt bereits einen entscheidenden Hinweis auf die Handlung dieses alten Liebesdramas aus dem Jahr 1188. Ein junger Beduine verliebt sich in dieser zeitlosen Geschichte in ein Mädchen namens Laila. Doch Leilas Vater verhindert die Beziehung mit aller Macht, verheiratet seine Tochter mit einem anderen Mann. Und der liebeskranke Beduine wird darüber zum Madschnun. Er irrt ziellos durch die Wüste und erzählt dem Mond von seinem Schmerz. Es sind ergreifende Verse voller Sehnsucht und Liebesschmerz und auch heute noch, gut 900 Jahre nach ihrer Entstehung, sind die Klagelieder von Madschnun beeindruckende Zeugnisse von allumfassender Liebe und verzehrender Leidenschaft.

Führer: Und die Geschichte von Leila und Madschnun wird heute Abend als theatralische Erzählung die Ruhrtriennale in Bochum eröffnen. Das Stück hat Albert Ostermaier geschrieben, die Musik kommt von Samir Odeh-Tamimi. Der Komponist ist Palästinenser und Berliner. Mein Kollege Holger Hettinger hat ihn in seinem Berliner Arbeitsatelier besucht und gefragt, was die besondere Herausforderung für ihn war, sich auf dieses Musiktheaterprojekt einzulassen.

Samir Odeh-Tamimi: Na ja also vielleicht würde ich erst mal nicht an das Musiktheater denken jetzt so an dieses Projekt, sondern überhaupt an die Geschichte "Leila und Madschnun", die natürlich in der arabischen und auch besonders in der islamischen Kultur wirklich die Geschichte schlechthin ist natürlich. Wir wachsen damit auf, man lernt ja die Gedichte in der Schule kennen, auch auf der Straße, im Kindergarten. Also die Gedichte von Madschnun, bis heute gilt er wirklich zu den bekanntesten oder wichtigsten Dichtern in der arabischen Welt überhaupt, also ein ganz, ganz großer Dichter.

Also als ich die Anfrage bekam von der Ruhrtriennale, dieses Werk als Musiktheater zu schreiben, war ich am Anfang … ja ich würde jetzt nicht sagen verwirrt oder so, aber die Idee war dann für mich wirklich ein bisschen fern, wo ich gedacht habe, mein Gott also "Leila und Madschnun" als Theaterstück … Also jeder, der die Geschichte liest, merkt man sofort, er war wirklich verrückt. Also ich meine, jemand, der sich zurückzieht von der Menschheit, geht in die Wüste, lebt mit den Tieren, schmeißt dann auf die Menschen mit Steinen, die ihm in die Nähe kommen und solche Sachen … Ja, wie schafft man das überhaupt?

Holger Hettinger: Samir Odeh-Tamimi, Sie haben es erzählt, man wächst in der arabischen Welt damit auf quasi, man saugt das mit der Muttermilch ein. Nun hat Albert Ostermaier das Libretto geschrieben, ein sehr theatererfahrener Mann. Der Text ist ursprünglich von Nizami, einem persischen Dichter des 12. Jahrhunderts. Wie war das für Sie, der mit diesem Text groß geworden ist, haben Sie das arg respektlos empfunden, wenn jemand wie Ostermaier diesen Text quasi ja für sich neu entdecken muss?

Odeh-Tamimi: Nein, ganz im Gegenteil. Also ich bin sogar sehr froh, weil wenig ist bekannt in der europäischen Welt über die arabische oder islamische Literatur. Natürlich war ich die ganze Zeit wahnsinnig gespannt, was Albert Ostermaier daraus machen wird. Wir haben uns natürlich schon getroffen, immer mehr darüber gesprochen und er sagte mir dann immer, ja also er möchte aber auch seine eigene Geschichte daraus machen. Und als ich dann das Libretto bekam, das erste Mal … Klar, das ist dann erst mal auch eine fremde Geschichte. Also, man würde den Eindruck bekommen, verdammt, das ist ja nicht mein Madschnun, ja, das ist ja ein völlig anderer Madschnun. Und es dauerte aber nur eine kurze Weile, bis ich dann eigentlich drin war. Und also für mich war dann da doch eine neue "Leila und Madschnun". Also es ist großartig.

Hettinger: Leila und Madschnun als das größte Liebespaar der islamischen Welt – wenn man es auf unsere Verhältnisse bezieht: Wir haben ja so als Prototyp des Liebespaares immer Romeo und Julia.

Odeh-Tamimi: Ja.

Hettinger: Ist so was eher hinderlich, wenn man weiß, na die haben da andere Ikonen, die haben da eine andere Geschichte? Oder ist das auch inspirierend in seiner Wechselwirkung?

Odeh-Tamimi: Ich muss ganz ehrlich sagen, also ganz am Anfang, als mich Freunde so fragten und so Bekannte, ja so was ist denn "Leila und Madschnun" und … Dann habe ich immer gesagt, ach das ist so etwas wie "Romeo und Julia" so. Also ich hatte keine Lust jetzt gehabt, das wirklich zu erzählen, und ich hab gesagt, ja das Buch ist echt gut zu empfehlen von Nizami und das ist so ähnlich wie "Romeo und Julia". Aber das stimmt nicht, überhaupt nicht. Erstens: "Romeo und Julia" ist eine erfundene von einem großen, also von Shakespeare, aber "Leila und Madschnun" ist eine wahre Geschichte. Ja und die hat mit "Romeo und Julia" überhaupt nichts zu tun.

Irgendwann haben die gesagt, was erzählst du denn da für einen Blödsinn? Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich hab' überhaupt nicht jetzt an dieses Liebespaar Romeo und Julia eine Sekunde gedacht, also beim Komponieren oder beim Lesen, überhaupt nicht. Also ich bin voll, voll bei Madschnun und Laila wirklich, so wie ich das dann auch von Nizami kenne.

Hettinger: Sie stammen aus Jaljuliya, das ist ein kleiner Ort bei Tel Aviv. Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Odeh-Tamimi: Ja, das sind mehr oder weniger Zufälle. Also mein Großvater ist Sufi gewesen, also Sufitänzer, Sufiheiler, wenn man das so nennen will. Und das war meine erste Musikerfahrung mit Trommeln eigentlich. Also ich, er hat mir aber nie direkt was beigebracht oder direkt was vermittelt oder so. Ich weiß aus meiner Kindheit, dass meine Eltern mir immer wieder erzählten, dass ich immer ganz Ohr war, also dass ich sehr auf die Musik schon seit meiner Kindheit, wenn jemand getrommelt hat oder gesungen hat, dass ich total wach war sogar als ganz kleines Kind.

Ja, wie gesagt, das war die erste Erfahrung. Und meine Mutter hat immer unglaublich viel gesungen, also ich bin mir auch sicher, dass sie mir sehr viel vererbt hat, also was das angeht. Ich hab dann auch in der vierten Klasse Blockflöte angefangen zu lernen und – auch Zufall – da kam mal eine Lehrerin in die Schule und wollte Blockflöte unterrichten, da hab ich mich gemeldet wie alle Kinder. Und von 500 Kindern sind wir nur zu zweit geblieben und zum Schluss ich alleine. Und halt immer wieder tauchten Menschen auf, die mich an die Hand genommen haben, und das war für mich dann auch eine Selbstverständlichkeit.

Hettinger: Gab es irgendwann mal so einen Punkt in Ihrem Leben, wo Ihnen klar war: Jawoll, Musik, Komposition, das mache ich zu meinem Lebensinhalt, zu meinem Beruf?

Odeh-Tamimi: Na ja also, ich habe schon eigentlich von Anfang an komponiert. Also ich habe zum Beispiel mit 14 Jahren angefangen, Klavierunterricht zu nehmen bei einem Russen, bei einem jüdischen Russen. Und die waren in der Zeit eigentlich die Spezialisten für uns in Israel, wenn man Klavier lernen wollte oder so, dann geht man halt zu einem Russen. Wir kamen überhaupt nicht miteinander klar und er hat abgelehnt, mich zu unterrichten, weil ich … Anstatt zu üben, habe ich immer im Unterricht ihm zeigen wollen, was ich komponiert habe. Und der fand das natürlich alles so total doof und …

Hettinger: Für russische Schule ist das ein Affront!

Odeh-Tamimi: Ja, ja genau, genau, aber er hat dann irgendwann mal gesagt … Der war auch alt, also der hatte keine Geduld mehr und keine Lust mehr, der war schon über 80 und … Und dann sagte er zu meinem Vater, ach es ist so hoffnungslos mit Ihrem Sohn, vergessen Sie es einfach, also … Und ja, aber trotzdem, ich habe immer weiter gemacht irgendwie und das Komponieren jetzt nicht wirklich im westlichen Sinne, dass man jetzt komponiert am Schreibtisch und man schreibt die Noten und so, sondern hab ja immer am Klavier oder am Keyboard oder so was gemacht, und das war für mich dann eigentlich klar, dass ich Komposition oder so Komponieren studieren wollte.

Hettinger: Wie sind Sie dann nach Deutschland gekommen?

Odeh-Tamimi: Reiner Zufall auch. Ich war vorher in Griechenland, ich wollte aber dort nicht bleiben, weil ich, ich hab immer so etwas gesucht, das Fremde oder so. Und Griechenland war für mich ziemlich nah irgendwie an meiner Kultur, die Landschaft, an dem Wesen der Menschen, die Musik … Es war, es war sehr nah. Und wollte aber immer nach Europa, also nach Westeuropa und wollte auch so, ich wollte nach Frankreich oder nach Italien und … Aber ich hatte mal so mit einem Freund telefoniert, der damals in Kiel, im Norden Pharmazie studiert hatte, hab ihm auch erzählt und … Er sagte, ach komm, komm doch nach Deutschland, das ist doch ein wunderbares Land und wenn du überlegst, Deutschland ist doch das Land der großen Komponisten. Und ich hab dann ein bisschen überlegt und ich dachte: Tatsächlich, also man kann ja so viele großartige Komponisten nennen. Paar Tage später war ich in Deutschland!

Hettinger: Sie sind dann irgendwann nach Bremen gegangen, haben dort Komposition studiert bei Younghi Pagh-Paan, einer Koreanerin. Ich stell mir das eigentlich ganz lustig vor, wenn ein junger Komponist aus Tel Aviv zu einer Koreanerin geht, um ja in irgendeiner Weise die Sehnsucht nach deutscher Musik einzulösen!

Odeh-Tamimi: Ja also, ich muss ganz ehrlich sagen, also die Sucht nach deutscher Musik hatte ich nie in dem Sinne, sondern nach westlicher Musik. Und dass ich jetzt zu Younghi Pagh-Paan gegangen bin, das ist auch ein reiner Zufall. Ich kannte sie vorher nicht, ich kannte auch nicht mal den Namen, weil die Neue Musik war für mich schon eine Entdeckung schon kurz davor, als ich Younghi Pagh-Paan kennenlernte. Und ehrlich gesagt, ich war ja schon fast acht Jahre in Deutschland und hab keinen einzigen Ton komponiert.

Ich hatte Musikwissenschaft studiert und war völlig verzweifelt, weil ich immer gedacht habe, so kann man ja nicht komponieren, also was soll ich denn komponieren? Wie Beethoven oder wie Bach? Das ist mir so fremd! Und ich würde nicht sagen jetzt so fremd, aber so wenn ich das selber, selber so was machen müsste, wozu denn? Die haben es doch so toll gemacht. Bis ich dann halt wirklich die Neue Musik entdeckt habe, so wie Schönberg, Xenakis … Und dann war für mich eigentlich klar, da ist mein Weg, ich hab da was gefunden.

Führer: Der Komponist Samir Odeh-Tamimi im Gespräch mit Holger Hettinger. Heute Abend wird die musikalisch-theatralische Erzählung "Leila und Madschnun" in Bochum die Ruhrtriennale eröffnen und eine Premierenkritik hören Sie selbstverständlich in unserem Kulturmagazin "Fazit" ab 23:05 Uhr.
Aleksandar Radenkovic und Nadine Schwitter in "Leila und Madschnun"
Aleksandar Radenkovic und Nadine Schwitter in "Leila und Madschnun"© Paul Leclaire
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