Paarbeziehungen in Westdeutschland

Der lange Weg zu mehr Gleichberechtigung

08:10 Minuten
Eine ältere Frau bereitet an einem Herd das Essen zu - Deutschland in den 70ern.
Emanzipation hin, Gesetze her: Auch in den 1970er-Jahren standen immer noch die Frauen hauptsächlich in der Küche am Herd. © IMAGO/Werner Otto
Von Lotta Wieden · 31.03.2021
Audio herunterladen
Die Hausfrauenehe war lange die Idealvorstellung der heterosexuellen Paarbeziehung. Er geht arbeiten, sie schmeißt den Laden zu Hause. Mit der 68er-Bewegung kam jedenfalls nicht der große Schub zu emanzipierteren Partnerschaften.
"Ich erfülle das Bedürfnis des normalen Durchschnittsbürgers in Deutschland, der die Nase von Frauen wie Sie hat. Stellen Sie doch mal gegenüber: so ein hübsches Mädchen. Und so eine Kratzbürste wie Sie! Und dann fragen Sie den Mann auf der Straße, mit wem er lieber ins Bett geht!" (Gejohle).
9. März 1984: In der Fernsehtalkshow 3 nach 9, ausgestrahlt vom WDR, beschimpft Günter Menger, Inhaber einer Agentur für Heiratsvermittlungen von thailändischen Frauen, die neben ihm sitzende die SPD-Bundestagsabgeordnete Herta Däubler-Gmelin als Kratzbürste, als eine Frau von der der deutsche Durchschnittsbürger die Nase voll habe, zumal, wenn die Möglichkeit bestehe, sich ganz legal eine junge, gut aussehenden Thailänderin nach Hause zu holen.

Die Sendung, in deren weiteren Verlauf der Inhalt eines Weinglases auf dem Kopf eines Bordellbesitzers ausgegossen wird, geht als "Thai-Mädchen-Eklat" in die Mediengeschichte ein, steht aber für sehr viel mehr als nur einen etwas aus dem Ruder gelaufenen Fernsehabend, meint die Historikerin Ulrike Schaper von der Freien Universität Berlin.
"Ich würde eben schon sagen, das ist eine Reaktion auf die Emanzipationsbewegung von Frauen in Deutschland. Man kann daran eben sehen, wie stark diese Forderung der Frauenbewegung in so eine breite Bevölkerung diffundiert sind und dass es da zu einer Irritation gekommen ist."

Exotisierungen und Sexualisierungen

Zwischen 60 bis 200 Agenturen zur Vermittlung ausländischer Ehefrauen entstehen ab Mitte der 70er-Jahre in der Bundesrepublik. Ein Großteil davon spezialisiert sich mithilfe explizit rassistischer Zuschreibungen, Exotisierungen und Hyper-Sexualisierungen zunächst vor allem auf Süd-Asiatinnen – Frauen aus Thailand und den Philippinen: So versprechen Werbeprospekte jener Jahre heiratswilligen deutschen Männern eine möglichst gefügige Ehefrau. Nämlich Frauen, die erkannt hätten – Zitat:
".. dass es keinem nützt, eine bockige oder störrische Frau, ein zänkisches Weib oder eine maskuline Emanze zu sein."
Andere werben mit Erfahrungen von Männern, deren Katalog-Frauen bereits "eingetroffen" sind – Zitat:
"Sie akzeptiert mit Selbstverständlichkeit, dass ich als Mann in allem die letzte Entscheidung habe. In meinem Kollegenkreis in der Schule gibt es Männer, die neidisch auf mich sind."
"Und ich sehe das als Reaktion auf die Emanzipationsbewegung von Frauen in Deutschland, dass da ein Bild der asiatischen Frau entworfen wird, was als ein idealisiertes Gegenbild zur deutschen Frau entworfen ist, die in Anführungsstrichen ´überemanzipiert`sind – das Wort findet man öfter – und dadurch eben unattraktiv und zu anstrengend. Dass man eben nur Geld investieren muss, und dann kann man sich dieser anstrengenden, emanzipierten Frauen eben entledigen", sagt Ulrike Schaper.


Entsprechend heftig fällt die feministische Kritik an diesen "Ausweichbewegungen" deutscher Männer aus. Doch während die Debatten um Frauenrechte und öffentliche Teilhabe ab den 1970er-Jahren in der Öffentlichkeit und vor allen in den Medien immer lautstarker geführt werden, ändert sich die soziale Praxis der Paarbeziehungen in der BRD nur marginal.
Der Historiker Christopher Neumaier vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung hat für dieses Phänomen den Begriff "Laute Evolution" geprägt:
"Dass man über Themen massiv medial also öffentlich gestritten hat. Das Sprechen über Beziehungen, über Familien hat sich signifikant verändert. Aber die Veränderungen sind in weiten Teilen hinter den Veränderungen im Sprechen und hinter den Veränderungen in den rechtlichen Rahmenbedingungen zurückgeblieben."

Was hat die Reform des Ehe- und Familienrechts gebracht?

Beispiel Hausfrauenehe: Nach fast zehnjähriger Vorbereitung tritt 1977 die Reform des Ehe- und Familienrechts in Kraft. Von nun an sind Frauen nicht mehr per Gesetz zur Führung des ehelichen Haushalts verpflichtet. Eheleute können selbst aushandeln, wie sie Aufgaben im Haushalt verteilen. Doch bis heute leisten Frauen mehr Arbeit im Haushalt als Männer.
"Manchmal hat man ja so eine Stilisierung der 68er. Dass sich mit den 68ern die politische Kultur des Zusammenlebens grundlegend verändert hat. Schaue ich mir die Geschlechterrollen an, dann haben die 1968er keine Veränderungen gebracht", stellt Christopher Neumaier fest.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Historikerin Jane Freeland vom Deutsches Historisches Institut London. Ihrer Meinung nach wurde der Kampf um Gleichberechtigung und Wandel in den Geschlechterrollen von der liberalen 68er-Bewegung sogar ausgebremst.
"Die 68er-Bewegungen wollten die Gesellschaft grundsätzlich verändern, aber das bedeutet nicht, dass es außerhalb der gesellschaftlichen Normen und Werte stattfand. Tatsächlich bestätigen die 68er manche Normen noch, das lässt sich besonders gut an Erinnerungen von Frauen an die 68er-Bewegung ablesen, in denen sie beschreiben, dass ihre Rolle in der Bewegung kleingeredet wurden und sie nur in Beziehungen zu den Männern in der Bewegung definiert wurden. So zum Beispiel als Bräute der Revolution oder als männliches Zubehör. Und viele Frauen erkannten diese Doppelmoral, dass eine Bewegung, die sich der Befreiung der Gesellschaft verschrieben hatte, darin versagte, ihren eigenen Umgang mit männlichen Privilegien zu überdenken. und Vorurteile reproduzierte."

Frustrierende Erfahrungen für Frauen

Auch wegen dieser für viele politisch aktive Frauen eher frustrierenden Erfahrung begannen Feministinnen sich zu zunehmend zu vernetzen, gemeinsam zu protestieren, für ihre Rechte einzutreten. Die neue Frauenbewegung entsteht nicht mit der 68er-Bewegung, sondern als Reaktion auf sie.
Wie schwer es ist, tradierte Rollenzuschreibungen aufzulösen, haben Feministinnen später selbst erfahren. 1976 entsteht in West-Berlin das erste Frauenhaus – ein Zufluchtsort für Frauen, die von ihren Ehemännern, Vätern oder Brüdern geschlagen werden, nicht mehr weiterwissen.

Die 80 Plätze sind innerhalb weniger Tage belegt. Allein in den ersten drei Monaten suchen hier 193 Frauen, viele von ihnen Migrantinnen, mit 300 Kindern Zuflucht. Viele in der Frauenbewegung engagierte Aktivistinnen arbeiten im Frauenhaus unentgeltlich nach dem Motto: "Frauen helfen Frauen", doch die Hilfesuchenden interessierten sich nicht sonderlich für Ideen von Emanzipation oder Geschlechtergerechtigkeit.
"Die hatten einfach andere Prioritäten und sie brauchten praktische Hilfe und keine abstrakte Politik. Manche hatten erst einmal ganz grundlegende Probleme wie zum Beispiel Geldsorgen oder eine fehlende Arbeitsmöglichkeit oder keine Unterkunft, andere hatten Gesundheitsprobleme oder waren alkoholkrank oder drogenabhängig. Manche Frauen brauchten auch juristische Beratung. Und diese Frauen waren nicht – zu großen Teilen nicht – interessiert an feministischer Politik. Das war wirklich ein Realitätsschock."
Trotzdem gingen die Aktivistinnen schon bald auf die Bedürfnisse der Hilfesuchenden ein.
"Das heißt, sie organisierten ihre Hilfe um die Bedürfnisse der Frauen herum. Und gleichzeitig kämpften sie für deren Rechte", sagt Jane Freeland.
So blieben die Frauenhäuser, immer wieder angefeindet als Gefahr für den Zusammenhalt von Familien, in den Medien präsent – wodurch auch das Thema dahinter – häusliche Gewalt – allmählich enttabuisiert wurde.
Mehr zum Thema