Pädagoge empfiehlt Zeitzeugen für die Geschichtsvermittlung
Pädagoge Werner Ostendorf sieht in der Fülle von Informationen in den Medien zur Wiedervereinigung vor 20 Jahren zwar einen klaren Vorteil. Für Schüler sei eine altersgerechte Vermittlung aus möglichst vielen Perspektiven aber wichtiger als die Menge.
Marcus Pindur: 20 Jahre deutsche Einheit, und die Macht der zahlreichen Dokumentationen, der Rückbesinnungen, der medialen Vergegenwärtigungen ist enorm. Alle Aspekte der deutschen Einheit, des Unrechtsstaates DDR, des schwierigen, manchmal holprigen Einigungsprozesses werden reflektiert, nicht nur bei uns in Deutschlandradio Kultur, auch in allen Zeitungen und Zeitschriften und im Fernsehen.
Manch einer der Historiker, die in diesen Tagen in Berlin zum Historikertag zusammengekommen sind, stellt schon die Frage, ob die Fülle dieses Angebotes nicht fast schon überreichlich ist. Wir wollen über die Beschäftigung mit der Geschichte und ihren Sitz im Leben reden. Und mit wem könnte man das besser als mit einem Lehrer für Geschichte? Ich begrüße Werner Ostendorf, er ist Lehrer am Rabanus-Maurus-Gymnasium in Mainz. Guten Morgen, Herr Ostendorf!
Werner Ostendorf: Guten Morgen, Herr Pindur!
Pindur: Wie beurteilen Sie denn diese Flut in den Medien anlässlich des 20. Jahrestages der Einheit? Ist das eher gut, dass Geschichte einmal einfach so thematisiert wird, oder wirkt das ein bisschen kontraproduktiv, weil gerade junge Leute von der Flut eher erschlagen werden?
Ostendorf: Ja, also zunächst sehe ich als sehr positiv an, dass die Medien diese wichtigen historischen Themen aufgreifen, wie die Wiedervereinigung, und zur Aufklärung der Bevölkerung beitragen. Ich denke aber, dass die Schule eine andere Aufgabe hat als die Medien. Ihre Aufgabe ist es, die Flut dieser Informationen, die Sie ja eben benannt haben, für die Jugendlichen zu filtern, aber filtern bedeutet, möglichst sachlich und multiperspektivisch zu informieren, und, was in den Schulen dazukommt, dies altersgerecht zu vermitteln.
Pindur: Also Sie wollen nicht einfach nur Wissen, Daten, Fakten weitergeben, sondern auch einfach die Fähigkeit, damit umzugehen, mit diesen Fakten?
Ostendorf: Ja, ich denke, das ist Grundlage wissenschaftlicher Arbeit, dass zunächst mal sachlich informiert wird, und gerade in der heutigen Zeit, in der die Jugendlichen ja von der Fülle der Informationen fast totgeschlagen werden, tatsächlich den Jugendlichen die Fähigkeit zu vermitteln, das Wichtige von dem Unwichtigen zu trennen, und das gelingt nur, indem man den Jugendlichen das Bewusstsein gibt, dass sie ihren eigenen Verstand anstrengen, dass sie ausreichend recherchieren, selbst versuchen, zu den Ergebnissen zu kommen, die für sie wichtig sind, und zwar nicht, die Ergebnisse von oben vorgeben zu lassen, sondern dass sie selbst zu wichtigen Entscheidungen kommen, die sie dann auch begründen können.
Pindur: Man muss jetzt unseren Zuhörern sagen, dass Sie selber elf Mal beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten gewonnen haben mit Ihrem Kurs. Sie haben da einen besonderen Projektunterricht an Ihrer Schule. Was machen Sie denn, um junge Leute für Geschichte zu begeistern?
Ostendorf: Ja, es ist so, dass das Rabanus-Maurus-Gymnasium elf Mal Bundessieger ist, das ist die Leistung der Fachschaft Geschichte an unserer Schule, und da gibt es ganz viele Faktoren, die dazu beitragen, die langjährige Tradition – wir nehmen seit 30 Jahren an dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teil.
Das Besondere ist die Konzeption dieses Wettbewerbs, weil sie regionalgeschichtlich ausgerichtet ist, oder von einem biografischen Zugang ausgeht, also nicht die Geschichte Deutschlands oder die weltweite Geschichte, sondern die Schüler selbst erforschen Geschichte. Die Schüler selbst gehen auf Spurensuche in ihrem eigenen Umfeld, das heißt: Flucht und Vertreibung, aber am Beispiel der Großmutter. Thema Prostitution hat sich mal eine Schülerin bei uns mit beschäftigt, beim Thema Arbeit, da geht es aber um die Prostitution in Mainz im Verlauf der Geschichte bis hin zu einer Zwangsprostituierten, mit der sie sich unterhalten hat und die zu diesem Zeitpunkt polizeilich in Gewahrsam war.
Pindur: Also man muss junge Leute stark auch über den persönlichen, den sinnlichen Zugang zum Thema ansprechen?
Ostendorf: Ja, wichtig ist ja, dass man es nicht nur versucht zu vermitteln, sondern es gibt ganz viele Möglichkeiten, im Unterricht Jugendliche zu motivieren. Vielleicht kann ich einige Beispiele nennen, …
Pindur: Gerne!
Ostendorf: … durch Exkursionen – ich habe zum Beispiel in meinem Leistungskurs Geschichte einen Fahrtenausschuss, einen Kulturausschuss, die machen Vorschläge für Exkursionen. Und dann kommen so Vorschläge wie Museen, Ausstellung in Speyer, Gutenberg-Museum, Fastnachtsmuseum, Stadtarchiv, Exkursionen ins Haus der Geschichte nach Bonn, Exkursion Hambacher Schloss, Verdun, Maginot-Linie, KZ Osthofen, ganz viele Vorschläge. Und mit engagierten Jugendlichen, die selbst das Interesse haben, kann man auch vieles umsetzen.
Pindur: Was ist denn Ihre Erfahrung, was interessiert Schüler besonders? Ist das da, wo Sie einen persönlichen Zugang finden können, wo sie also ihr geschichtliches Wissen an die Gegenwart anknüpfen können?
Ostendorf: Ja, ich denke, dass dieser aktuelle Bezug für die Jugendlichen enorm wichtig ist. Hinzu kommt aber auch, dass das Wissen so vermittelt wird, dass die verschiedenen Sinne angesprochen werden, und ich denke, in diesem Zusammenhang ist es wichtig, methodisch abwechslungsreich zu arbeiten.
Also mittlerweile ist es ja so, dass man Rollenspiele einsetzt, Standbilder, Zeitzeugenbefragungen, archäologische Studien oder Speaker's Corner - gemeint ist damit, dass die Jugendlichen öffentliche Reden halten, zum Beispiel auf dem Marktplatz in Mainz habe ich das gemacht oder vor dem Mainzer Bahnhof. Bis hin zu einem altbewährten Lehrervortrag, der ist auch noch wichtig. Entscheidend dabei ist aber immer: Alle Jugendlichen müssen in diesen Unterricht einbezogen werden.
Pindur: Kommen wir noch mal zur medialen Aufbereitung von Geschichte. Sie können das ja auch als Historiker beurteilen. Wenn Sie sich mal anschauen, was es an Dokumentationen gibt, besonders in den öffentlich-rechtlichen Programmen – ist die Qualität in den letzten 20, 30 Jahren da gestiegen, oder sehen Sie eher, dass es eine Verflachung gegeben hat?
Ostendorf: Das ist eine schwierige Frage. Also ich bin jetzt seit 30 Jahren im Schulunterricht und bin dankbar, dass in den letzten 30 Jahren die Medien viele Themen aufgegriffen haben und auch wesentlich objektiver und multiperspektivisch aufarbeiten, dafür bin ich dankbar, sodass man genügend Material hat.
Aufpassen muss man natürlich, dass vor allem aufgrund des Internets und vieler Informationen, die dort vermittelt werden, die Jugendlichen auch wirklich lernen, herauszufiltern.
Pindur: Werner Ostendorf, herzlichen Dank für das Gespräch!
Manch einer der Historiker, die in diesen Tagen in Berlin zum Historikertag zusammengekommen sind, stellt schon die Frage, ob die Fülle dieses Angebotes nicht fast schon überreichlich ist. Wir wollen über die Beschäftigung mit der Geschichte und ihren Sitz im Leben reden. Und mit wem könnte man das besser als mit einem Lehrer für Geschichte? Ich begrüße Werner Ostendorf, er ist Lehrer am Rabanus-Maurus-Gymnasium in Mainz. Guten Morgen, Herr Ostendorf!
Werner Ostendorf: Guten Morgen, Herr Pindur!
Pindur: Wie beurteilen Sie denn diese Flut in den Medien anlässlich des 20. Jahrestages der Einheit? Ist das eher gut, dass Geschichte einmal einfach so thematisiert wird, oder wirkt das ein bisschen kontraproduktiv, weil gerade junge Leute von der Flut eher erschlagen werden?
Ostendorf: Ja, also zunächst sehe ich als sehr positiv an, dass die Medien diese wichtigen historischen Themen aufgreifen, wie die Wiedervereinigung, und zur Aufklärung der Bevölkerung beitragen. Ich denke aber, dass die Schule eine andere Aufgabe hat als die Medien. Ihre Aufgabe ist es, die Flut dieser Informationen, die Sie ja eben benannt haben, für die Jugendlichen zu filtern, aber filtern bedeutet, möglichst sachlich und multiperspektivisch zu informieren, und, was in den Schulen dazukommt, dies altersgerecht zu vermitteln.
Pindur: Also Sie wollen nicht einfach nur Wissen, Daten, Fakten weitergeben, sondern auch einfach die Fähigkeit, damit umzugehen, mit diesen Fakten?
Ostendorf: Ja, ich denke, das ist Grundlage wissenschaftlicher Arbeit, dass zunächst mal sachlich informiert wird, und gerade in der heutigen Zeit, in der die Jugendlichen ja von der Fülle der Informationen fast totgeschlagen werden, tatsächlich den Jugendlichen die Fähigkeit zu vermitteln, das Wichtige von dem Unwichtigen zu trennen, und das gelingt nur, indem man den Jugendlichen das Bewusstsein gibt, dass sie ihren eigenen Verstand anstrengen, dass sie ausreichend recherchieren, selbst versuchen, zu den Ergebnissen zu kommen, die für sie wichtig sind, und zwar nicht, die Ergebnisse von oben vorgeben zu lassen, sondern dass sie selbst zu wichtigen Entscheidungen kommen, die sie dann auch begründen können.
Pindur: Man muss jetzt unseren Zuhörern sagen, dass Sie selber elf Mal beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten gewonnen haben mit Ihrem Kurs. Sie haben da einen besonderen Projektunterricht an Ihrer Schule. Was machen Sie denn, um junge Leute für Geschichte zu begeistern?
Ostendorf: Ja, es ist so, dass das Rabanus-Maurus-Gymnasium elf Mal Bundessieger ist, das ist die Leistung der Fachschaft Geschichte an unserer Schule, und da gibt es ganz viele Faktoren, die dazu beitragen, die langjährige Tradition – wir nehmen seit 30 Jahren an dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teil.
Das Besondere ist die Konzeption dieses Wettbewerbs, weil sie regionalgeschichtlich ausgerichtet ist, oder von einem biografischen Zugang ausgeht, also nicht die Geschichte Deutschlands oder die weltweite Geschichte, sondern die Schüler selbst erforschen Geschichte. Die Schüler selbst gehen auf Spurensuche in ihrem eigenen Umfeld, das heißt: Flucht und Vertreibung, aber am Beispiel der Großmutter. Thema Prostitution hat sich mal eine Schülerin bei uns mit beschäftigt, beim Thema Arbeit, da geht es aber um die Prostitution in Mainz im Verlauf der Geschichte bis hin zu einer Zwangsprostituierten, mit der sie sich unterhalten hat und die zu diesem Zeitpunkt polizeilich in Gewahrsam war.
Pindur: Also man muss junge Leute stark auch über den persönlichen, den sinnlichen Zugang zum Thema ansprechen?
Ostendorf: Ja, wichtig ist ja, dass man es nicht nur versucht zu vermitteln, sondern es gibt ganz viele Möglichkeiten, im Unterricht Jugendliche zu motivieren. Vielleicht kann ich einige Beispiele nennen, …
Pindur: Gerne!
Ostendorf: … durch Exkursionen – ich habe zum Beispiel in meinem Leistungskurs Geschichte einen Fahrtenausschuss, einen Kulturausschuss, die machen Vorschläge für Exkursionen. Und dann kommen so Vorschläge wie Museen, Ausstellung in Speyer, Gutenberg-Museum, Fastnachtsmuseum, Stadtarchiv, Exkursionen ins Haus der Geschichte nach Bonn, Exkursion Hambacher Schloss, Verdun, Maginot-Linie, KZ Osthofen, ganz viele Vorschläge. Und mit engagierten Jugendlichen, die selbst das Interesse haben, kann man auch vieles umsetzen.
Pindur: Was ist denn Ihre Erfahrung, was interessiert Schüler besonders? Ist das da, wo Sie einen persönlichen Zugang finden können, wo sie also ihr geschichtliches Wissen an die Gegenwart anknüpfen können?
Ostendorf: Ja, ich denke, dass dieser aktuelle Bezug für die Jugendlichen enorm wichtig ist. Hinzu kommt aber auch, dass das Wissen so vermittelt wird, dass die verschiedenen Sinne angesprochen werden, und ich denke, in diesem Zusammenhang ist es wichtig, methodisch abwechslungsreich zu arbeiten.
Also mittlerweile ist es ja so, dass man Rollenspiele einsetzt, Standbilder, Zeitzeugenbefragungen, archäologische Studien oder Speaker's Corner - gemeint ist damit, dass die Jugendlichen öffentliche Reden halten, zum Beispiel auf dem Marktplatz in Mainz habe ich das gemacht oder vor dem Mainzer Bahnhof. Bis hin zu einem altbewährten Lehrervortrag, der ist auch noch wichtig. Entscheidend dabei ist aber immer: Alle Jugendlichen müssen in diesen Unterricht einbezogen werden.
Pindur: Kommen wir noch mal zur medialen Aufbereitung von Geschichte. Sie können das ja auch als Historiker beurteilen. Wenn Sie sich mal anschauen, was es an Dokumentationen gibt, besonders in den öffentlich-rechtlichen Programmen – ist die Qualität in den letzten 20, 30 Jahren da gestiegen, oder sehen Sie eher, dass es eine Verflachung gegeben hat?
Ostendorf: Das ist eine schwierige Frage. Also ich bin jetzt seit 30 Jahren im Schulunterricht und bin dankbar, dass in den letzten 30 Jahren die Medien viele Themen aufgegriffen haben und auch wesentlich objektiver und multiperspektivisch aufarbeiten, dafür bin ich dankbar, sodass man genügend Material hat.
Aufpassen muss man natürlich, dass vor allem aufgrund des Internets und vieler Informationen, die dort vermittelt werden, die Jugendlichen auch wirklich lernen, herauszufiltern.
Pindur: Werner Ostendorf, herzlichen Dank für das Gespräch!