Pädagoge Thomas Mücke über Gefährder

"Nicht jedes Feuer kann man löschen"

09:28 Minuten
Der Politologen und Pädagoge Thomas Mücke
Nach den Attentaten in Paris und Wien sei erhöhte Aufmerksamkeit angebracht, meint der Politologe und Pädagoge Thomas Mücke. © dpa / VPN /Sven Klage
Moderation: Axel Rahmlow |
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Das "Violence Prevention Network" versucht, durch Beratungsangebote die Radikalisierung von Jugendlichen zu verhindern. Es gebe gute Chancen bei jungen Leuten, sagt Geschäftsführer Thomas Mücke. Hinweise von Eltern oder Lehrern seien wichtig.
Der Verfassungsschutz sieht die neuerliche Diskussion um die Mohammed-Karikaturen in Frankreich als Hauptauslöser für die islamistisch motivierten Anschläge in den vergangenen Wochen. Auch die islamistische Szene in Deutschland diskutiere sehr intensiv darüber, sagte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Er warnte vor möglichen Nachahmungstätern.

Mit Extremisten reden

Diese Gefahr sei immer da, sagt Thomas Mücke, Geschäftsführer der Organisation "Violence Prevention Network", die versucht, einer Radikalisierung von Personen entgegenzuwirken. Wenn es eine gesellschaftliche Zuspitzung wie jetzt in Frankreich gebe, sei immer zu befürchten, dass sich andere dadurch inspiriert fühlten, eine Nachahmungstat zu unternehmen. "Aber Terrorismus- und Extremismusgefahren sind immer latent vorhanden, weil es das extremistische Milieu gibt."
In vielen deutschen Schulen gibt es nach dem Attentat in Frankreich verunsicherte Lehrer, die sich jetzt an die Beratungsstelle wenden, um Hilfe im Umgang mit muslimischen Schülern und Schülerinnen zu bekommen. Mücke sagt, es sei wichtig, gewisse Anzeichen dafür rechtzeitig zu erkennen, dass sich jemand radikalisieren könnte. "Dann muss man natürlich gucken, mit diesen jungen Menschen auch schnell ins Gespräch zu kommen, und versuchen, weitere Radikalisierungsprozesse zu verhindern, beziehungsweise die Deradikalisierung einzuleiten." Seine Beratungsstelle sei auf Hinweise von Eltern oder Lehrern angewiesen.

Bundesweite Hotlines

Es gebe inzwischen bundesweit solche Beratungsstellen und Hotlines, die seit 2015 entstanden seien. Mücke wies auch auf die "Beratungsstelle Radikalisierung" beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hin, die eine zentrale Hotline betreibe. Dort werde jedem Hinweis nachgegangen.
In den Einzelfällen suche seine Beratungsstelle das persönliche Gespräch, um zu klären, ob es Kontakte in ein extremistisches Milieu gebe und wie die Lebenssituation sei. Die Chancen, einen jungen Menschen herauszuholen, seien sehr gut, sagt Mücke.

Konkrete Hilfe

"Gerade Jugendliche suchen nach einfachen Antworten auf schwierige Fragen", erzählt Mücke aus der Praxis. Die Berater versuchten, sie daran zu hindern, ideologischen Narrativen hinterherzulaufen. Sie sollen stattdessen anfangen, selbstständig zu denken und unterschiedliche Sichtweisen anzunehmen. "Wir müssen auch schauen, was sind überhaupt die Gründe gewesen, warum sie sich für solche Gedanken oder solche Themen interessieren." Das habe sehr oft mit der persönlichen Lebenssituation zu tun.

Auch Fehlersuche ist wichtig

Die Beratungsstelle hatte auch den islamistischen Tatverdächtigen betreut, dem vorgeworfen wird, am 4. Oktober in Dresden zwei Männer aus homophoben Motiven heraus attackiert zu haben. Der eine Mann starb später im Krankenhaus, sein Begleiter überlebte den Angriff. Nach der Tat hätten die Berater alle Hilfsmaßnahmen mit dem Syrer noch einmal geprüft und weitere Gespräche mit dem Mann geführt, so Mücke.
Es werde eine intensive Fehlersuche betrieben und geschaut, welche Erkenntnisse sich auf andere Fälle übertragen lassen. Leider lasse sich auch mit der Beratungsarbeit nicht jeder Fall verhindern, räumte Mücke ein. "Nicht jedes Feuer kann man löschen, aber man kann verhindern, dass es einen Flächenbrand gibt."

Erhöhte Aufmerksamkeit

"Wenn wir eine Terrorwelle haben wie jetzt, dann gilt bei uns natürlich eine erhöhte Aufmerksamkeit in allen Fällen", sagt Mücke. Es werde sehr genau geschaut, was die Geschehnisse in Paris, Nizza, Wien und Dresden bei den Personen auslöse, mit denen die Beratungsstelle gerade arbeite. Wenn es einen Hinweis auf Fehlentwicklungen gebe, werde die enge Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden genutzt. Aber natürlich gebe es auch Menschen, die einen sehr bewusst täuschen, räumte Mücke ein. "Das ist Realität von Beratungsarbeit."
(gem)



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