Pädagogen brauchen Medien-Wissen
Der Sprecher der Initiative "Keine Bildung ohne Medien", Horst Niesyto, fordert, dass Lehrerinnen und Lehrer fit in Sachen Internet, Funk und Fernsehen werden. Dazu sollten Prüfungs- und Studienordnungen ergänzt und geändert werden.
Britta Bürger: Dorothea Jung über das Internetforum isharegossip.com, das heute möglicherweise auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdenden Medien kommt. Im Studio begrüße ich den Erziehungswissenschaftler Horst Niesyto von der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg, er ist einer der führenden Fachleute im Bereich Medienpädagogik und Sprecher der Initiative "Keine Bildung ohne Medien". Schönen guten Morgen, Herr Niesyto!
Horst Niesyto: Schönen guten Morgen!
Bürger: Haben Ihre Forderungen nach mehr Medienkompetenz in den Schulen durch diese Internetseite isharegossip jetzt noch mal eine ganz neue Dringlichkeit, eine neue Dramatik bekommen?
Niesyto: Diese traurigen Vorfälle wie jetzt aktuell in Berlin sind immer wieder da, und leider ist es so, dass dann in der Öffentlichkeit über das Thema Medienpädagogik erst gesprochen wird. Es hat sich ja gehäuft in den letzten Jahren, ich erinnere an den Amoklauf zuletzt in Winnenden, eine ähnliche Situation, dann gab es Anhörungen dort im Landtag. Es werden dann Ideen entwickelt, was man tun könnte. Wir müssen aber leider feststellen aus der Medienpädagogik, dass unterm Strich gesehen keine nachhaltigen Maßnahmen bisher beschlossen wurden, um im Bereich der frühkindlichen Bildung, in den Schulen und im außerschulischen Bereich Medienpädagogik und Medienbildung in einer ganz anderen Weise zu fördern als bisher.
Bürger: Als ich mir diese Seite isharegossip gestern Abend um acht angesehen habe, da waren fast 28.000 Nutzer online. Das ist ja wirklich enorm viel. Darunter waren aber auch eine ganze Reihe, die gesagt haben oder dort geschrieben haben, dass man diese Seite doch besser boykottieren sollte. Ist das sinnvoll, sich daran zu beteiligen und zu sagen, das ist alles Schrott, warum macht ihr hier mit, oder soll man es besser ganz ignorieren?
Niesyto: Na ja, ich denke, das ist eine Reaktionsform von jungen Leuten, die da auch ihre Alltagserfahrungen mit Medien zeigen, bestimmte Plattformen einfach zuzumüllen und dadurch die Server sozusagen nicht mehr instandzusetzen, das Angebot zu machen. Das kennt man ja aus anderen Bereichen, da zeigt sich eine Alltagsmedienkompetenz auch, und es ist eine unmittelbare Reaktionsform, eine Aktion auch, es zu verhindern.
Und ich habe heute in der Presse gelesen, dass auch Schülervertretungen in Berlin das auch diskutiert und dazu aufgefordert haben, und ich finde es sehr wichtig, dass Schüler selbst aktiv werden und sich überlegen: Was können wir gegen solche Geschichten tun? Und ich denke, Lehrkräfte sind gut beraten, genau darauf zu setzen, diese Schüler auch zu unterstützen, Möglichkeiten in der Schule, im Unterricht zu geben, über ihre Medienerfahrungen auch zu sprechen. Das kritisieren wir von der Medienpädagogik, dass viel zu wenig, was jetzt die Schule betrifft, insgesamt über Medienerfahrungen gesprochen wird. Es geht dabei nicht nur um die Frage Daten, es geht insgesamt um die Frage, was für eine Bedeutung Medien im Leben, im Alltag haben, für Information, für Bildung, auch für die Qualifikation für das spätere Berufsleben.
Und da ist es leider nach wie vor so, dass auch ein Großteil der angehenden Lehrkräfte, die ja an Schulen kommt, keine medienpädagogische Grundbildung hat. Und es geht nicht nur um Fortbildungsmaßnahmen, die sind auch wichtig, es beginnt schon in der ersten Phase der Lehrerbildung: Dort sollte verbindlich und viel mehr getan werden.
Bürger: Das wollen Sie ändern. Die Initiative "Keine Bildung ohne Medienkompetenz", die heute in Berlin einen zweitägigen Kongress beginnt, die hat ein sogenanntes medienpädagogisches Manifest verfasst, in dem sie eine umfassende strategische Planung fordern, eben nicht nur mal hier und da einzelne Projekte. Wie sollte das aussehen, was halten Sie auch tatsächlich für realisierbar?
Niesyto: Wir sagen, dass Medienbildung an allen Bildungsorten mehr gefördert werden sollte. Es gibt nicht einen zentralen Ort, auf den die Kräfte jetzt zu konzentrieren wäre. Die Schule ist sicherlich ein wichtiger Ort. Es geht um die frühkindliche Bildung aber auch, es geht um die außerschulische Bildung, es geht auch um die Erwachsenen- und Seniorenbildung.
Bürger: Das klingt noch sehr allgemein.
Niesyto: Das sind jetzt erst mal die Felder, und ich bin auch dagegen, immer nur dann jetzt über Datenmissbrauch zu sprechen. Es gibt eine breite Palette von Aufgaben. Dazu gehört auch die Filmbildung, das darf man nicht vergessen in Zeiten des Internets, oder die Hörerziehung, wir sind im Rundfunkbereich gerade. Das sind auch wichtige Aufgaben.
Eine zentrale Forderung von uns ist die medienpädagogische Grundbildung von allen pädagogischen Fachkräften im Rahmen der Ausbildung, dass beispielsweise auch in die Prüfungsordnungen und in die Studienordnungen das verbindlich festgeschrieben wird und nicht nur optional gewählt werden kann. Und dann ist es Aufgabe, das auch motivierend anzubieten und Studierende auch einzubeziehen und ihnen die kreativen Möglichkeiten zu zeigen, aber eben auch kritisch Bewusstseinsbildung auf den Weg zu bringen zu diesen Fragen.
Bürger: Aber sind Lehrer überhaupt die richtigen Vermittler in diesem Bereich, Lehrer und Erzieher? Fühlen sich Schüler, was das Internet angeht, nicht häufig ihren Lehrern überlegen?
Niesyto: Es ist in der Tat so, dass viele Schülerinnen und Schüler weit mehr medienpraktisches Wissen im Umgang auch haben, im praktischen Mediengebrauch, als viele Lehrkräfte. Da entsteht auch eine Befürchtung und eine Angst bei nicht wenigen Lehrkräften, wenn sie jetzt das Thema im Unterricht behandeln, dann werden sie möglicherweise bloßgestellt, dass sie gar nicht so viel können. Ich würde da allen Lehrkräften empfehlen: Suchen Sie das Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern, öffnen Sie Ihren Unterricht, geben Sie Möglichkeiten den Schülern, ihre Erfahrungen darzustellen, und tragen Sie dazu bei, dass es dann eine Auseinandersetzung über diese Erfahrungen gibt!
Bürger: Sie haben aber auch Erfahrung damit, wie es ist, wenn man externe Leute in die Schulen holt, Datenschützer, IT-Fachleute. Hat man da mehr Erfolg als mit Lehrern?
Niesyto: Ich denke, es macht durchaus Sinn, immer wieder Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen für bestimmte Informationen auch in die Schule zu holen, die Schule sollte sich umfassend auch öffnen und auch diese Möglichkeiten nutzen. Aber dies ersetzt nicht die Entwicklung einer eigenen Auseinandersetzung im Unterricht mit diesem Thema, das ersetzt nicht, dass auch Lehrkräfte zum Beispiel die Chancen auch eines aktiven und produktiven Umgangs mit Medien nutzen, nicht nur über Medien sprechen und nicht nur über Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen sprechen, sondern mit ihren Schülerinnen und mit Medien auch Themen bearbeiten, ausdrücken und so auch vorhandene Potenziale bei vielen Schülerinnen und Schülern auch nutzen, und dann macht es eben auch Spaß, wenn sie mal in einem anderen Zusammenhang, als sie es möglicherweise im Alltag gewohnt sind, mit Medien sich ausdrücken können.
Bürger: Das heißt, es sollte in allen Fächern stattfinden und nicht, wir machen jetzt hier mal eine Stunde in der Woche Medienpädagogik?
Niesyto: Genau. Wir sind der Meinung, das Medienthema ist praktisch in allen Themen präsent, in unterschiedlicher Weise, es bieten sich vielfältigste Anknüpfungspunkte, und deswegen eben diese Grundqualifizierung für alle Lehrkräfte, damit sie in der Lage sind, jeweils in ihren Fächern aber auch natürlich fächerübergreifend diese Thematik zu entwickeln.
Bürger: Den Umgang mit dem Internet muss man lernen, meint der Erziehungswissenschaftler Horst Niesyto und setzt sich dafür ein, Medienpädagogik verbindlich in die Lehrpläne zu bekommen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Niesyto: Danke!
Horst Niesyto: Schönen guten Morgen!
Bürger: Haben Ihre Forderungen nach mehr Medienkompetenz in den Schulen durch diese Internetseite isharegossip jetzt noch mal eine ganz neue Dringlichkeit, eine neue Dramatik bekommen?
Niesyto: Diese traurigen Vorfälle wie jetzt aktuell in Berlin sind immer wieder da, und leider ist es so, dass dann in der Öffentlichkeit über das Thema Medienpädagogik erst gesprochen wird. Es hat sich ja gehäuft in den letzten Jahren, ich erinnere an den Amoklauf zuletzt in Winnenden, eine ähnliche Situation, dann gab es Anhörungen dort im Landtag. Es werden dann Ideen entwickelt, was man tun könnte. Wir müssen aber leider feststellen aus der Medienpädagogik, dass unterm Strich gesehen keine nachhaltigen Maßnahmen bisher beschlossen wurden, um im Bereich der frühkindlichen Bildung, in den Schulen und im außerschulischen Bereich Medienpädagogik und Medienbildung in einer ganz anderen Weise zu fördern als bisher.
Bürger: Als ich mir diese Seite isharegossip gestern Abend um acht angesehen habe, da waren fast 28.000 Nutzer online. Das ist ja wirklich enorm viel. Darunter waren aber auch eine ganze Reihe, die gesagt haben oder dort geschrieben haben, dass man diese Seite doch besser boykottieren sollte. Ist das sinnvoll, sich daran zu beteiligen und zu sagen, das ist alles Schrott, warum macht ihr hier mit, oder soll man es besser ganz ignorieren?
Niesyto: Na ja, ich denke, das ist eine Reaktionsform von jungen Leuten, die da auch ihre Alltagserfahrungen mit Medien zeigen, bestimmte Plattformen einfach zuzumüllen und dadurch die Server sozusagen nicht mehr instandzusetzen, das Angebot zu machen. Das kennt man ja aus anderen Bereichen, da zeigt sich eine Alltagsmedienkompetenz auch, und es ist eine unmittelbare Reaktionsform, eine Aktion auch, es zu verhindern.
Und ich habe heute in der Presse gelesen, dass auch Schülervertretungen in Berlin das auch diskutiert und dazu aufgefordert haben, und ich finde es sehr wichtig, dass Schüler selbst aktiv werden und sich überlegen: Was können wir gegen solche Geschichten tun? Und ich denke, Lehrkräfte sind gut beraten, genau darauf zu setzen, diese Schüler auch zu unterstützen, Möglichkeiten in der Schule, im Unterricht zu geben, über ihre Medienerfahrungen auch zu sprechen. Das kritisieren wir von der Medienpädagogik, dass viel zu wenig, was jetzt die Schule betrifft, insgesamt über Medienerfahrungen gesprochen wird. Es geht dabei nicht nur um die Frage Daten, es geht insgesamt um die Frage, was für eine Bedeutung Medien im Leben, im Alltag haben, für Information, für Bildung, auch für die Qualifikation für das spätere Berufsleben.
Und da ist es leider nach wie vor so, dass auch ein Großteil der angehenden Lehrkräfte, die ja an Schulen kommt, keine medienpädagogische Grundbildung hat. Und es geht nicht nur um Fortbildungsmaßnahmen, die sind auch wichtig, es beginnt schon in der ersten Phase der Lehrerbildung: Dort sollte verbindlich und viel mehr getan werden.
Bürger: Das wollen Sie ändern. Die Initiative "Keine Bildung ohne Medienkompetenz", die heute in Berlin einen zweitägigen Kongress beginnt, die hat ein sogenanntes medienpädagogisches Manifest verfasst, in dem sie eine umfassende strategische Planung fordern, eben nicht nur mal hier und da einzelne Projekte. Wie sollte das aussehen, was halten Sie auch tatsächlich für realisierbar?
Niesyto: Wir sagen, dass Medienbildung an allen Bildungsorten mehr gefördert werden sollte. Es gibt nicht einen zentralen Ort, auf den die Kräfte jetzt zu konzentrieren wäre. Die Schule ist sicherlich ein wichtiger Ort. Es geht um die frühkindliche Bildung aber auch, es geht um die außerschulische Bildung, es geht auch um die Erwachsenen- und Seniorenbildung.
Bürger: Das klingt noch sehr allgemein.
Niesyto: Das sind jetzt erst mal die Felder, und ich bin auch dagegen, immer nur dann jetzt über Datenmissbrauch zu sprechen. Es gibt eine breite Palette von Aufgaben. Dazu gehört auch die Filmbildung, das darf man nicht vergessen in Zeiten des Internets, oder die Hörerziehung, wir sind im Rundfunkbereich gerade. Das sind auch wichtige Aufgaben.
Eine zentrale Forderung von uns ist die medienpädagogische Grundbildung von allen pädagogischen Fachkräften im Rahmen der Ausbildung, dass beispielsweise auch in die Prüfungsordnungen und in die Studienordnungen das verbindlich festgeschrieben wird und nicht nur optional gewählt werden kann. Und dann ist es Aufgabe, das auch motivierend anzubieten und Studierende auch einzubeziehen und ihnen die kreativen Möglichkeiten zu zeigen, aber eben auch kritisch Bewusstseinsbildung auf den Weg zu bringen zu diesen Fragen.
Bürger: Aber sind Lehrer überhaupt die richtigen Vermittler in diesem Bereich, Lehrer und Erzieher? Fühlen sich Schüler, was das Internet angeht, nicht häufig ihren Lehrern überlegen?
Niesyto: Es ist in der Tat so, dass viele Schülerinnen und Schüler weit mehr medienpraktisches Wissen im Umgang auch haben, im praktischen Mediengebrauch, als viele Lehrkräfte. Da entsteht auch eine Befürchtung und eine Angst bei nicht wenigen Lehrkräften, wenn sie jetzt das Thema im Unterricht behandeln, dann werden sie möglicherweise bloßgestellt, dass sie gar nicht so viel können. Ich würde da allen Lehrkräften empfehlen: Suchen Sie das Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern, öffnen Sie Ihren Unterricht, geben Sie Möglichkeiten den Schülern, ihre Erfahrungen darzustellen, und tragen Sie dazu bei, dass es dann eine Auseinandersetzung über diese Erfahrungen gibt!
Bürger: Sie haben aber auch Erfahrung damit, wie es ist, wenn man externe Leute in die Schulen holt, Datenschützer, IT-Fachleute. Hat man da mehr Erfolg als mit Lehrern?
Niesyto: Ich denke, es macht durchaus Sinn, immer wieder Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen für bestimmte Informationen auch in die Schule zu holen, die Schule sollte sich umfassend auch öffnen und auch diese Möglichkeiten nutzen. Aber dies ersetzt nicht die Entwicklung einer eigenen Auseinandersetzung im Unterricht mit diesem Thema, das ersetzt nicht, dass auch Lehrkräfte zum Beispiel die Chancen auch eines aktiven und produktiven Umgangs mit Medien nutzen, nicht nur über Medien sprechen und nicht nur über Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen sprechen, sondern mit ihren Schülerinnen und mit Medien auch Themen bearbeiten, ausdrücken und so auch vorhandene Potenziale bei vielen Schülerinnen und Schülern auch nutzen, und dann macht es eben auch Spaß, wenn sie mal in einem anderen Zusammenhang, als sie es möglicherweise im Alltag gewohnt sind, mit Medien sich ausdrücken können.
Bürger: Das heißt, es sollte in allen Fächern stattfinden und nicht, wir machen jetzt hier mal eine Stunde in der Woche Medienpädagogik?
Niesyto: Genau. Wir sind der Meinung, das Medienthema ist praktisch in allen Themen präsent, in unterschiedlicher Weise, es bieten sich vielfältigste Anknüpfungspunkte, und deswegen eben diese Grundqualifizierung für alle Lehrkräfte, damit sie in der Lage sind, jeweils in ihren Fächern aber auch natürlich fächerübergreifend diese Thematik zu entwickeln.
Bürger: Den Umgang mit dem Internet muss man lernen, meint der Erziehungswissenschaftler Horst Niesyto und setzt sich dafür ein, Medienpädagogik verbindlich in die Lehrpläne zu bekommen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Niesyto: Danke!