Pakistan

Die Flut und der Machtkampf

22:07 Minuten
Rettungskräfte und Flutopfer, teils mit Sicherheitswesten auf einem Boot
Rettungskräfte versuchen, Millionen Menschen vor den Wassermassen in Sicherheit zu bringen. Am stärksten ist die Provinz Sindh von den Überschwemmungen betroffen. © picture alliance / AA / Adeel Abbasi
Von Charlotte Horn und Andre Zantow · 05.09.2022
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Ein Drittel Pakistans steht durch den starken Monsunregen unter Wasser. Der neue Premier Shehbaz Sharif fordert internationale Hilfe und Maßnahmen gegen die Klimakrise. Der alte Regierungschef Imran Khan sammelt Spenden und will Neuwahlen.
Die Überschwemmungen in Pakistan haben 33 Millionen Menschen getroffen, mehr als eine Millionen Häuser wurden zerstört, mindestens 1200 Menschen getötet. Premierminister Shebaz Sharif ließ ein Video verbreiten, in dem er selbst Hilfsgüter aus einem Militär-Helikopter wirft.
Er versprach allen Flutopfern im Land etwas mehr als umgerechnet 100 Euro. “Jeder Cent an Hilfe wird transparent verteilt. Jeder Cent wird bei denjenigen ankommen, die es am dringendsten brauchen. Keinerlei Hilfsgelder werden verloren gehen”, sagte er.
Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif zu Besuch in der Türkei. Er sitzt an einem Pult. Hinter ihm die pakistanische und türkische Flagge.
Nach dem Misstrauensvotum gegen Imran Khan ist der pakistanische Oppositionsführer Shehbaz Sharif zum neuen Premierminister gewählt worden.© picture alliance / AA / Ali Balikci
Auch der abgesetzte Ex-Premier Imran Khan engagiert sich öffentlichkeitswirksam für die Flutopfer. In einer dreistündigen Live-Show im Fernsehen sammelte er umgerechnet 22 Millionen Euro und schlug vor, mittels einer Online-Plattform Spender und Opfer zu verbinden, um die Hilfe transparenter zu gestalten.
In einigen Landesteilen hätten auch schon Geflüchtete protestiert, weil die Regierung ihnen nicht geholfen habe, niemand sei gekommen, erzählt Haroon Rashid, Gründer des Nachrichten-Portal Independent Urdu in Islamabad.
Menschen in der südlichen Provinz Balochistan seien auf höher gelegene Autobahnbrücken geflüchtet und würden dort jetzt ausharren in der brennenden Sonne. Im Norden Pakistans sei das Wasser abgeflossen. Dort würden die Menschen jetzt zurück in ihre Häuser gehen, wobei meistens alles zerstört sei. "Überall ist Matsch und Schlamm."
Millionen Menschen haben durch die übermäßig starken Regenfälle seit Juni nicht nur ihr Zuhause verloren, sondern auch ihr Vieh und ihre Ernte. Hunderttausende Tiere sind tot: die Lebensgrundlage für viele Pakistaner wie Rehan Ali aus der südlichen Provinz Sindh, die am stärksten betroffen ist.
Auf Aufnahmen der Nachrichtenagentur AP trägt er ein paar Habseligkeiten aus den Trümmern seines Hauses. Der junge Mann hofft auf Spenden. "Ich glaube nicht, dass ich allein eine Hütte wiederaufbauen kann", sagt er. "Ich mache mir Sorgen um Nahrung. Wegen der Überschwemmungen glaube ich nicht, dass ich eine Arbeit finden kann. Ich bin sehr verzweifelt."

Klimakrise trifft Pakistan besonders hart

Kurz nach der ersten großen Überschwemmung hatte die Regierung den Notstand ausgerufen. Die pakistanische Marine versuchte, Menschen in überfluteten Regionen im Süden zu retten. Im Norden waren Militärhubschrauber im Einsatz. Doch schnelle Hilfe ist schwierig – gerade in unwegsamen Gelände.
Die pakistanische Ministerin für Klimawandel Sherry Rehman warnte vor den Folgen von extremen Wetterereignissen wie soziale Unruhen und sogar Gewalt. Klima kenne keine Grenzen, so die Politikerin, und die Folgen seien vor allem in Ländern des Globalen Südens wie Pakistan unverhältnismäßig stark spürbar. "Weil wir näher am Äquator liegen. Wenn Tiefdruckgebiete aus dem Golf von Bengalen kommen, treffen sie uns vor allen anderen. Wir stehen also an der vordersten Front einer globalen Krise".
Nach einigen Tagen ohne Regen werden nun erneut starke Niederschläge in einigen Landesteilen erwartet. Vor allem die jetzt schon stark betroffenen Regionen im Süden wird kaum noch Wasser aufnehmen können, befürchtet Sherry Rehmann. Das Land sei wie ein nasser Schwamm. "Das Wasser ist jetzt auf dem Höchststand. Der Boden ist nicht mehr in der Lage, es aufzunehmen", so Rehmann. "72 Distrikte des Landes sind von der Katastrophe betroffen, das heißt, einer von sieben Pakistanern.“
Pakistan mit seinen 220 Millionen Menschen gehöre zu den zehn Ländern weltweit, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, sagt der Journalist Haroon Rashid. 2010 hat er schon von der letzten großen Flut in Pakistan berichtet. "Aber die Menge des Wassers, die vom Himalaya und anderen Bergen zu uns kam, war dieses Mal viel größer. Man hat das auf vielen Videos auf Social Media gesehen, sehr beängstigende Videos. Schlamm und riesige Steine kamen mit gewaltiger Kraft den Berg runter in die Flussbetten und zerstörten alles, was ihnen im Weg stand."

Wirtschaftskrise: Inflation bei 27 Prozent

Die Überschwemmung trifft Pakistan während eines politischen Machtkampfes. Nach seinem Wahlsieg 2018 musste der Ex-Cricket-Star Imran Khan nach vier Jahren das Amt des Premierministers aufgeben, weil seine Regierungskoalition im April 2022 zerbrach.
Nun seien mit Shehbaz Sharif, dessen Bruder schon Regierungschef war, wieder die alten Dynastien an der Macht, sagt Gul Bukhari. Die pakistanisch-britische Journalistin lebt seit 2019 im Vereinigten Königreich, nachdem sie 2018 in Pakistan für einige Stunden von uniformierten Männern gekidnapped wurde. Sie vermutet einen Zusammenhang mit ihren Publikationen über das pakistanische Militär. Das habe Imran Khan erst aufgebaut und später die Unterstützung entzogen.
Nun drängt Khan auf Neuwahlen, weil seine Popularität nach Verschwörungserzählungen über seine Absetzung durch die USA bei einigen Wählergruppen zugenommen hat. Bukhari hält vorgezogene Neuwahlen durch die Flutkatastrophe für ausgeschlossen.
Riesige Rednertribüne mit dem Bild des ehemaligen Premierministers von Pakistan, Imran Khan, während der Proteste gegen Inflation, steigende Ölpreise, Stromausfälle und politische Instabilität.
Der ehemalige Premierminister von Pakistan, Imran Khan, unterstützt die Proteste gegen Inflation, steigende Ölpreise, Stromausfälle und politische Instabilität.© picture alliance / AA / Muhammed Semih Ugurlu
Dazu kommt eine schwere Wirtschaftskrise. Die Inflation stieg im August auf 27 Prozent – so hoch wie Mitte der 70er-Jahre nicht mehr.
Finanzielle Hilfe von außen ist notwendig. Zusammen mit den Vereinten Nationen stellte Pakistan einen Hilfsplan für sechs Monate im Umfang von 160 Millionen Euro vor. UN-Generalsekretär António Guterres wird diese Woche in die betroffene Region reisen. Er mahnte stärkere Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise an. „Hören wir auf mit dem Schlafwandeln, wenn es um die Zerstörung unseres Planeten geht. Heute ist es Pakistan. Morgen könnte es Ihr Land sein – egal wo – mit steigendem Risiko."

Krankheiten in provisorischen Lagern

Das Ausmaß der Überschwemmungen hat die letzte große Flut vor zwölf Jahren in Pakistan überstiegen. Inzwischen wird Kritik laut, dass es anders als in Bangladesch keine funktionierenden Frühwarnsysteme gibt: Tausende vertriebene Menschen strömen in Millionenstädte wie Karachi im Süden des Landes.
In provisorisch errichteten Lagern verbreiten sich durch Wasser übertragene Krankheiten wie Durchfall, Hautreizungen und Augeninfektionen. Medikamente sind Mangelware. “Ich habe nicht genug Geld, um zum Arzt zu gehen oder Medizin zu kaufen", klagt Riffat Khan, die im Swat-Distrikt mit ihrer Familie lebt, nach dem Abzug des Wassers. "Wir haben Halsschmerzen und auf der Haut bekommen wir Hitzebläschen.”
Die Mutter von neun Töchtern ist bei Freunden untergekommen, weil ihr Haus zerstört wurde. Auch die extra angefertigten Hochzeitskleider ihrer Tochter Bushra für die anstehende Feier sind nur noch ein Haufen verschlammter Lumpen. “Wir sind komplett hilflos. Meine Tochter und ich, wir leiden sehr. Die Auswirkungen der Flut gehen weit darüber hinaus, was ich aushalten kann. Ich weiß einfach nicht, wie wir jemals einen Ausweg finden sollen.”

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