Pakistan nach dem Tod von Benazir Bhutto

Von Jochen Thies |
Der Mord an Benazir Bhutto ist in seinen Konsequenzen und Folgen noch nicht abzusehen. Aber er markiert auf unheimliche Weise die eine Seite des riesigen Konfliktherdes, der vom östlichen Mittelmeer bis an die Grenzen von Indien reicht.
Auf der anderen Seite, im Libanon, einem ungemein wichtigen Land, ist in den letzten Monaten der politische Mord zu einem Machtmittel geworden, das immer häufiger eingesetzt wird. Aber die Lage in Pakistan ist noch viel dramatischer, wie auch die kraftlosen Reaktionen auf das Attentat im Westen zeigen.

Mit der Ruhe zu Weihnachten und zum Jahresende ist es schlagartig vorbei. Denn die Ermordung von Benazir Bhutto 30 Jahre nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters, den einer Militärregierung hinrichten ließ, versetzt die gesamte Krisenregion in Schwingungen. Wenige Stunden vor ihrem Tod war Frau Bhutto in Afghanistan, dessen geringe Stabilität durch die Vorgänge in dem bevölkerungsstarken Nachbarland noch weiter untergraben wird. Schlagartig wird spürbar, dass der Westen nicht mehr viel Zeit hat, sowohl Pakistan, die Nuklearmacht zu stabilisieren als auch das Nachbarland Afghanistan. Denn die Bedrohung für Kabul geht in der Hauptsache von jenen Taliban-Anhängern aus, die in Pakistan ihre Basen haben und von dort aus für einen Nachschub an Kriegern sorgen, der unerschöpflich zu sein scheint.

Der Anschlag auf Benazir Bhutto, die gewusst haben muss, auf welche buchstäblich lebensgefährliche Mission sie sich im Oktober begab, als sie ihr Exil verließ und in die Heimat zurückkehrte, trifft in zweiter Linie dann aber vor allem die Schutzmacht USA, die das pakistanische Militärregime in letzter Zeit dazu drängte, Wahlen durchzuführen und ihnen zumindest einen demokratischen Anschein zu geben. Benazir Bhutto war in diesem Spiel die einzige brauchbare Karte.

Wie es nun in Pakistan weitergeht, ob es gelingen wird, die aufgebrachte Bevölkerung von Exzessen abzuhalten, ob die versprochenen Wahlen stattfinden werden, weiß zu dieser Stunde möglicherweise niemand. Das Militärregime wird jedenfalls gut beraten sein, die Hintergründe des Attentats, dessen Ablauf eine Reihe von Fragen aufwirft, aufzuklären. Aber das bedeutet noch lange nicht einen Ausweg aus der Krise, die die Supermacht nicht zufällig in der Schlussphase der Amtszeit von Präsident Bush trifft, wenige Tage vor Beginn der heißen Phase des amerikanischen Wahlkampfs. Während die Russen sich empört über den Anschlag zeigen und die Chinesen schweigen, kann eine Macht in der Region den Fortgang der Ereignisse in Ruhe abwarten: der Iran. Die Zeit scheint nicht auf der Seite derer zu sein, die ein Interesse an Stabilität im Nahen und Mittleren Osten haben. Nicht nur in Pakistan stehen die Zeichen auf Unruhe, vielleicht sogar auf Umsturz.