Pakistan

Unermüdlicher Kämpfer für Bildung

Von Sieglinde Geisel |
Geoffrey Douglas Langlands hat in Pakistan seine eigene Methode im Kampf gegen Krieg und Fanatismus entwickelt. Er hat eine Schule gegründet. Daniel-Dylan Böhmer porträtiert den agilen Senior voller Bewunderung.
Geoffrey Douglas Langlands, das ist ein Name, den kaum jemand kennt, und selbst dort, wo man ihn kennt, wird der inzwischen 95-Jährige meistens nur ehrerbietig "Major" genannt. Dabei ist er schon lange nicht mehr bei der Armee - er hat vielmehr "den Krieg überlistet".
Er wurde 1917 geboren, also noch während des Ersten Weltkriegs. Im Zweiten Weltkrieg zog er mit der britischen Armee gegen Hitler zu Feld, ging 1943 nach Britisch Indien - und blieb. Er war als Waise aufgewachsen, und nach dem Tod seiner Großmutter habe in England niemand mehr auf ihn gewartet.
In der Armee des neu gegründeten Pakistan wurde Langlands Ausbilder, später unterrichtete er Mathematik am Aitchison College, einer Eliteschule in Lahore. Als er eine Kadettenschule in Nord-Wasiristan leitete, schaffte er als erstes das Bestrafungssystem ab. Er glaube nicht an Strafen:
"Strafen machen den Menschen klein. Das ist genau das Gegenteil von dem, was sie stark und erfolgreich macht."
Einer der vielen weisen Sätze, mit denen der Journalist Daniel-Dylan Böhmer den Major zitiert. Im Zentrum des Buchs steht jedoch die englischsprachige Privatschule in Chitral, die Langlands 1988 gegründet und aufgebaut hat - mit 70 Jahren. In Pakistan ist das Alter kein Hinderungsgrund für Führungsaufgaben.
Chitral, eine Stadt mit 20.000 Einwohnern, liegt im Hindukusch, in einem abgelegenen Tal an der Grenze zu Afghanistan, und für die 1000 Schüler - ein Drittel von ihnen Mädchen - ist die Langlands School ein Tor zur Zukunft.
Respekt steht für den Major an oberster Stelle
Der Major ist seiner Britishness treu geblieben, nicht nur was den Fünf-Uhr-Tee und den Porridge zum Frühstück angeht, sondern auch in der Mentalität. Er sei nicht sehr emotional, sagt er immer wieder, klares Denken und Respekt für die Schüler stehen für ihn an oberster Stelle. Als Pädagoge ist er auf altmodische Weise modern. Disziplin beispielsweise findet er nicht so wichtig:
"Was mir dagegen sehr wichtig ist, das ist die Selbstdisziplin. Die Fähigkeit, das zu tun, was man sich vorgenommen hat."
Mit 95 Jahren geht er nun in den Ruhestand, nachdem endlich eine Nachfolgerin gefunden ist. Die 59-jährige Journalistin Carey Schofield stammt ebenfalls aus England, das war die Bedingung. Die Suche war schwierig, nicht zuletzt aufgrund von Sicherheitsbedenken:
Böhmer: Der Major, der den Krieg überlistete
Böhmer: Der Major, der den Krieg überlistete© Insel Verlag
Auf einer Busfahrt werden vor der Abfahrt alle Insassen gefilmt, "damit man hinterher weiß, wer die Opfer des Anschlags waren und wer ihn vielleicht begangen haben könnte".
Daniel-Dylan Böhmer begleitet den unverwüstlichen, stets gut gelaunten Major auf der beschwerlichen Reise über Gebirgspässe und auf meist unbefestigten Straßen nach Lahore, unermüdlich wirbt Langlands um dringend benötigte Spenden für seine Schule.
Die Übergabe an seine Nachfolgerin geschah diesen Sommer nach Drucklegung des Buchs - wenn man googelt, stößt man auf Berichte britischer Zeitungen: Die finanzielle Lage der Schule sei prekär, heißt es, Strom gibt es selten und Internet gar nicht - auf die Nachfolgerin Schofield wartet offenbar eine Herkulesaufgabe.
Der Major erscheint in Böhmers Buch als eine Lichtgestalt von fast übermenschlichen Kräften. Andeutungen darauf, dass er in den letzten Jahren mit der Leitung der Schule möglicherweise überfordert war, finden sich dagegen kaum.
Doch dieser Makel ändert nichts am Gewinn, den man von der Lektüre hat. Denn Daniel-Dylan Böhmer hat nicht nur das Porträt eines Mannes geschrieben, von dem die Welt viel lernen kann. Mindestens so wichtig sind seine Recherchen: Anschaulich erzählt er von diesem Landstrich und seinen Bewohnern, über die so viel geredet wird und über die man doch so wenig weiß.
Selbst Bomben auf seine Schule konnten ihn nicht abhalten
Ein Dutzend Sprachen werden unter den 300.000 Menschen gesprochen, die das Tal von Chitral bewohnen, eine Gegend, die friedlicher ist als andere. Noch sind die Taliban hier nur eine Bedrohung.
Der Major wiegelt ab, sowohl wenn es um seine Entführung geht, die dank seiner Kontakte zu den Stammesfürsten glimpflich ausging, als auch hinsichtlich der Panzerfaust, die vor ein paar Jahren an einem Wochenende auf die Schule abgefeuert worden war: Die Schule stehe nun einmal für das, was die Taliban am meisten fürchteten - Fortschritt.
Im Nachbardistrikt Swat herrscht eine ganz andere Stimmung: Dort hatten die Taliban am 9. Oktober 2012 bekanntlich ein Attentat auf die 14-jährige Schülerin Malala verübt. Im Westen als Heldin gefeiert, wird Malala hier als Opfer wahrgenommen.
"Alle Worte da draußen können sie hier drinnen nicht schützen",
erkennt Böhmer, der Malalas Schulklasse besucht. Er analysiert die Islamisierung der Eliten Pakistans und gibt einen Überblick über die Geschichte dieser umkämpften Region, in der es offenbar immer schon die Neigung zu religiösem Fanatismus gab.
Seitenlang zitiert er aus dem Bericht des 23-jährigen Winston Churchill, der 1898 als Soldat in Afghanistan stationiert war. Am spannendsten jedoch sind die Reportagen innerhalb des Buchs: Wir erleben eine Schulstunde zum Thema "Wie gefährlich ist Pakistan?", und wir werden Zeuge hitziger Gesprächsrunden. Die Taliban sind ein ständiges Thema:
"Wir werden wie Nordkorea",
befürchtet einer, ein anderer wiederum erzählt vom Terror der amerikanischen Drohnen:
"Du hörst das Surren der Drohnen jeden Tag, immer wieder, mal lauter, mal leiser."
Nicht der Missbrauch des Islam sei das Problem im Hindukusch, sondern die autoritären Strukturen, meint ein Lehrer der Langlands School: Sie frustrierten die Jugend und lähmten das Land, selbst sechzigjährige Männer müssten sich noch dem Willen ihrer greisen Väter beugen.
Genau an diesem Punkt setzt das Lebenswerk von Geoffrey Douglas Langlands an. Der Respekt, den die Schüler hier schon als junge Menschen erfahren, ist für viele eine Lebenswende. Es habe keinen Sinn, die Menschen verändern zu wollen, davon ist der Major überzeugt. Viel besser sei es, sie zu bilden,
"weil die Menschen dann selbst etwas verändern können."

Daniel-Dylan Böhmer: Der Major, der den Krieg überlistete. Wie ein britischer Offizier Kindern im Hindukusch eine Zukunft gibt
Insel Verlag Berlin, Oktober 2013
351 Seiten, 21,95 Euro, auch als ebook erhältlich

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