Pakistanische Misere

Von Sabina Matthay · 10.05.2013
Es ist ein historischer Vorgang. Zum ersten Mal in seiner Geschichte erlebt Pakistan den regulären demokratischen Übergang von einer Regierung zur nächsten. Doch ist diese Wahl wirklich ein Grund zum Jubel?
Egal, wer die nächste pakistanische Regierung anführt – ob die Muslim Liga des Favoriten Nawaz Sharif, ob der Newcomer Imran Khan mit seiner "Bewegung für Gerechtigkeit" oder doch noch mal die Volkspartei des Präsidenten Asif Zardari – die Zügel hält so oder so das Militär in Händen. Demokratie in Pakistan bleibt Fassade.

Sicher – diese Nationalversammlung hat einige grundlegende Reformen durchgesetzt, etwa die Macht des Präsidenten beschnitten und Parlament und Ministerpräsident gestärkt. Sie hat das Verhältnis zwischen Zentralregierung, Provinzen und Gemeinden neu geregelt und den Föderalismus gestärkt.

Möglich war das, weil die regierende Volkspartei und ihre Rivalin, die Muslim Liga, zusammenarbeiteten, statt wie in der Vergangenheit mit dem Militär Bündnisse zu schließen, um die jeweilige Konkurrenzpartei zu schlagen.

Und doch hat die Armee auch in den letzten fünf Jahren Pakistans Innenpolitik und seine Außenbeziehungen bestimmt.

Sie hat Präsident Zardaris vorsichtige Annäherung an Indien durch die Attentate von Mumbai 2008 torpedieren lassen; bei der Vorbereitung half ein Agent des berüchtigten Militärgeheimdienstes ISI, die Täter gehörten zur extremistischen Lashkar e Toiba, einer Handlanger-Organisation des ISI. Die Kontrolle über den ISI hat die Armee sich trotzdem nicht abnehmen lassen. Und sie definiert nach wie vor Pakistans Atompolitik und seine Strategie im benachbarten Afghanistan.

Selbst da allerdings, wo die Regierung Zardari hätte handeln können, hat sie versagt: Die Wirtschaftskrise, das niedrige Steueraufkommen, die ständigen Stromausfälle, die zunehmende ethnische und religiöse Gewalt zeugen davon ebenso wie die ausufernde Korruption – wohl kein Wunder, wenn der Mann an der Spitze des Staates als bestechlicher "Mister Ten Percent" gilt.

Es überrascht nicht, dass das Militär lieber hinter den Kulissen die Strippen zieht und seine Vorrechte genießt, als die Macht angesichts der pakistanischen Misere offen zu übernehmen.

Diese Misere ist nicht neu, doch sie verschärft sich so rapide, dass der südasiatische Atomstaat in den Abgrund taumeln und andere in der Region mitreißen könnte.

Nicht zuletzt wegen der doppelzüngigen pakistanischen Strategie im Krieg gegen den islamistischen Terror. Einerseits lassen die Generäle in Rawalpindi sich das Bündnis mit den USA teuer bezahlen, andererseits gewähren sie weiterhin den Extremisten Unterschlupf, die Afghanistan schwächen und Indien provozieren sollen.

Längst ist Pakistan selbst Ziel des Monsters, dass es geschaffen hat: In den letzten fünf Jahren hat sich die Gewalt im Land enorm zugespitzt, in diesem Wahlkampf sind Kandidaten säkularer Parteien von militanten Islamisten bedroht und getötet worden. Dass die Muslim Liga von Nawaz Sharif und die Bewegung für Gerechtigkeit von Imran Khan davon verschont blieben, ist kein Ruhmesblatt für die Parteien. Sie sind den Taliban genehm. Sie konnten mit Großauftritten für sich werben, während die politische Konkurrenz sich eingeschüchtert verbarrikadierte.

Nicht nur alteingesessene politische Dynastien, mächtige Landbesitzer und tief verwurzelte Patronage und Korruption untergraben also die Aussicht darauf, dass eine wirklich repräsentative Demokratie in Pakistan Wurzeln schlägt. Soll dem Diskurs der Islamisten der Boden entzogen, der Untergang des Landes verhindert werden, müssten Pakistans Politiker der Demokratie mehr Gewicht verleihen.

So rückt ein Albtraum näher: ein scheiternder Staat mit 180 Millionen Bürgern, einem wachsenden Atomarsenal und Extremisten, die ungebremst Zulauf erhalten – ein international destabilisierender Faktor.

Und deshalb mag diese Wahl einen historischen Meilenstein markieren. Doch ändern wird sie nichts. Bedrängt vom Extremismus, durchdrungen von Korruption bleibt Pakistan ein Bettelstaat am Rande des Zusammenbruchs.

Sabina Matthay, geboren 1961, studierte Angewandte Sprachwissenschaft in Saarbrücken - mit Abstechern nach Exeter in England und Urbino in Italien. 1990 folgte ihr Einstieg in den Hörfunk beim Deutschen Dienst des BBC World Service in London. Auch nach der Rückkehr nach Deutschland und der Arbeit für verschiedene ARD-Sender ist sie dem Radio treu geblieben. Arbeitsschwerpunkte: Politik, Geschichte, Gesellschaft Großbritanniens und seiner ehemaligen Kolonien und Mandatsgebiete.
Sabina Matthay, Journalistin
Sabina Matthay, Journalistin© privat