Ein Stück Identität - aber noch leer
Heute wird das palästinensische Nationalmuseum in Ramallah eröffnet. Das Museum verstehe sich als "Mutterschiff", berichtet Bettina Marx von der Heinrich-Böll-Stiftung: Überall auf der Welt solle es Ausgründungen geben.
20 Jahre wurde geplant, fast drei Jahre lang auf einem Hügel bei Ramallah gebaut: Heute nun soll das palästinensische Nationalmuseum eröffnet werden. Das Gebäude wird allerdings leer sein. Mit einer ersten Ausstellung sei aber noch in diesem Jahr zu rechnen, berichtet Bettina Marx, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.
Es habe im Vorfeld sehr viel Streit um die Frage gegeben, was im Museum überhaupt gezeigt werden solle, sagte Marx im Deutschlandradio Kultur. "Man will eigentlich alles", sagte Marx - sowohl die Archäologie als auch das Kunsthandwerk, und eine Sammlung mit palästinenschischer Kunst. Das Museum verstehe sich als "Mutterschiff", sagte Marx - überall auf der Welt soll es kleinere Filialen geben, so dass sich auch Palästinenser in der Diaspora ihres kulturellen Erbes versichern können.
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es kommt durchaus vor, dass ein Museum eröffnet wird, obwohl noch gar keine Ausstellung drin ist. Im Allgemeinen ist das dann aber eine Voreröffnung, die Besuchern die Möglichkeit bietet, die Architektur des Museums quasi pur zu genießen. Und diese Gelegenheit werden die Besucher des Palästinensischen Museums in Ramallah wohl noch eine ganze Weile haben, denn dieses Museum wird zwar heute feierlich eröffnet, aber es ist im Moment noch leer. Und über die Gründe dafür wollen wir jetzt mit Bettina Marx reden. Sie leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Schönen guten Morgen, Frau Marx!
Bettina Marx: Guten Morgen!
Kassel: Es sei zu Verzögerungen gekommen, weil es so wenig Leute mit Erfahrung gebe und die das studiert hätten, den Aufbau eines solchen Museums. Das hat ein Sprecher der Arbeitsgruppe Palästinensisches Museum im deutschen Fernsehen gesagt. Aber, Frau Marx, das ist vermutlich nicht der einzige Grund, oder?
Marx: Das ist sicherlich einer der Gründe, warum das bisher noch nicht ganz klar ist, was in diesem Museum eigentlich gezeigt werden soll.
Ein anderer Grund ist aber, dass auch gar nicht so richtig klar ist: Dieses Museum ist von privaten Stiftern gegründet worden, wird auch von privaten Stiftern bezahlt, die Regierung hat auch ein bisschen Geld dazu gegeben. Es soll aber ja ein nationales Museum sein. Also insofern, diese beiden Dinge schließen sich eigentlich ein bisschen aus, und es gab im Vorfeld sehr viel Streit darüber, soll das ein archäologisches Museum sein, soll es ein Kunstmuseum sein, soll es ein Museum sein, das eine Art Gedenkstätte ist für die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer ursprünglichen Heimat?
Ursprünglich sollte das Museum vor allem Gedenkstätte sein
Das war nämlich die ursprüngliche Idee, als man zum ersten Mal diese Idee aufbrachte, ein nationales Museum zu gründen, 1998, da war dies die Idee. Es sollte eine Gedenkstätte werden. Inzwischen hat sich das sehr viel weiterentwickelt und man will viel mehr damit erreichen. Aber, wahrscheinlich wird noch in diesem Jahr die erste Ausstellung tatsächlich stattfinden.
Und man will eigentlich alles. Man will sowohl die Archäologie dort zeigen als auch Kunsthandwerk, das nationale Erbe. Es soll eine Sammlung angelegt werden mit palästinensischer Kunst, Bildern – aber die müssen natürlich auch erst mal zusammengesammelt werden, denn die Palästinenser sind ja auf der ganzen Welt verstreut.
Kassel: Wie groß ist denn überhaupt das Interesse der Menschen in den palästinensischen Gebieten an diesem Museum?
Das Interesse am eigenen Erbe ist sehr groß
Marx: Das Interesse ist sehr, sehr groß. Die Palästinenser sind sehr interessiert an ihrer eigenen Kultur, an ihrem eigenen Erbe. Das hat natürlich auch etwas mit der Besatzung zu tun. Man möchte sich unter diesen Bedingungen der Besatzung der eigenen Identität, der eigenen Geschichte versichern.
Man möchte auch eine Art Gegennarrativ entwickeln zum Narrativ, das Israel ausgeprägt hat, also Israel, das sozusagen sagt, wir sind hierher gekommen, ein leeres Land, nach 2.000 Jahren in der Diaspora haben wir hier unser Land wieder geschaffen. Da sagen die Palästinenser, nein, Moment, wir waren hier, wir haben hier gelebt, und auch wir haben eine Geschichte, wir haben aber auch eine Gegenwart und eine Zukunft und das wollen wir hier in diesem Museum zeigen.
Ich bin mir ganz sicher, wenn das Museum heute eröffnet wird, dass schon am nächsten Wochenende viele Besucher kommen werden, um sich zumindest das Gebäude schon mal anzuschauen. Und das Interesse generell der Bevölkerung an der eigenen Kultur ist sehr, sehr ausgeprägt.
Kassel: Einige vor Ort sagen auch, ein Museum ohne Ausstellung sei eigentlich sehr passend für ein Volk ohne Staat. Da ist was dran. Ein echtes Nationalmuseum im eigentlichen Sinn kann es ja wohl vorerst gar nicht werden, oder?
Marx: Ja, da ist natürlich etwas dran. Insofern hat das schon auch eine große Symbolkraft. Aber es gibt schon erste Versuche, Ausstellungen anzulegen. Man hat zum Beispiel Fotos gesammelt aus privaten Fotoalben, man hat schon mehr als 10.000 Bilder eingescannt, und es soll so eine Art digitales Archiv des palästinensischen Volkes geben.
Und so wird es auch mit anderen Kunstgegenständen sein. Man wird Kunst einsammeln aus der Diaspora. Aber dieses Museum, und das ist, glaube ich, auch wichtig, um das Konzept des Museums zu verstehen, versteht sich selbst als so eine Art Mutterschiff. Es soll eine Art Gründung sein, und es soll Ausgründungen geben in der palästinensischen Diaspora, im Nahen Osten selbst, wo sehr viele Palästinenser leben, aber auch auf der ganzen Welt.
13,5 Millionen Palästinenser sind weltweit verstreut
Es gibt insgesamt etwa 13,5 Millionen Palästinenser, die weltweit verstreut sind, von denen nur etwa fünf Millionen hier leben zwischen Mittelmeer und Jordan. Und auch die Palästinenser in der Diaspora sollen ihre eigenen kleinen Museen und Ausstellungsräume bekommen, um eben ihr eigenes Erbe, ihre nationale Identität weiter zu tradieren.
Kassel: Das palästinensische Museum in Ramallah wird heute feierlich, aber leer eröffnet. Darüber, wie lange es wohl noch leer bleibt und was reinkommen könnte, sprachen wir mit Bettina Marx, der Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Frau Marx, vielen Dank fürs Gespräch!
Marx: Bitte, gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.