"Pan des 21. Jahrhunderts"

Von Udo Taubitz |
Ein Schweizer spielt weltweit die erste Flöte. Emmanuel Pahud aus Genf beherrscht mit Können und Disziplin sein Instrument. Aber auch mit Charme und Ausstrahlung beeindruckt er das Publikum. Der junge Klassikstar ist der einzige Flötensolist mit einem Exklusivvertrag bei einer großen Plattenfirma.
Wie ein Klassikstar wirkt er nicht auf den ersten Blick. Emmanuel Pahud ist ein kräftig gebauter Mittdreißiger, aus seinem dunkelblauen Poloshirt wuchert schwarzes Brusthaar. Aus einem Rucksack zieht er schwungvoll seine Flöte. Ein edles Ding: massives Gold, 14 Karat, kupferroter Schimmer.

"So eine Flöte kostet, damals waren es so 20.000 Dollar, sprich etwa 17.000 Euro. Inzwischen ist es ein bisschen teurer geworden, ich glaube 25.000 Euro."


In drei Teile zerlegt reist das teure Instrument mit Emmanuel Pahud um die Welt, in einem Holzschuber mit rotem Futteral und einem Smiley-Sticker. Heute machen sie Station im Konzerthaus Dortmund. Emmanuel Pahud steckt sein Instrument flink zusammen, führt es eilig zu den sinnlich geschwungenen Lippen und haucht ihm Leben ein.

Pahud legt seine hohe Stirn in Falten und die Flöte auf den Glastisch vorm Sofa, "zum Akklimatisieren", wie er sagt. Zeit fürs Interview. Die erste Frage drängt sich förmlich auf: Wie innig ist die Beziehung zu seiner Flöte?

"Ein leidenschaftliches Verhältnis ist es nicht. Es ist wie für den Handwerker ein M6-Schlüssel. Es ist einfach ein Werkzeug, meine Stimme, mit der ich die musikalische Sprache wiederbeleben kann."

Als Emmanuel Pahud mit 19 sein goldenes Werkzeug kauft, gilt er als Shootingstar der Querflöte. Und hat schon einen weiten Weg hinter sich: Im zarten Alter von fünf Jahren beginnt seine Flötenmanie. Damals wohnt Emmanuel mit seinen Eltern in Rom, hört einen Nachbarsjungen Mozart spielen, und will das auch, unbedingt.

Zu Weihnachten bekommt er seine erste Flöte und übt täglich stundenlang, freiwillig. Sein Vater ist Ingenieur, seine Mutter Hausfrau, aber Emmanuel entscheidet sich mit 15 für den Musikerberuf. Die Familie zieht oft um, er wird in Rom, Brüssel und Paris ausgebildet. Dort schließt er 1990 sein Studium am Nationalen Musikkonservatorium ab, und zwar mit Auszeichnung. Pahud gewinnt Preise bei internationalen Wettbewerben, spielt bei großen Orchestern in Basel und München.

"Ich bin sehr dankbar für die Leute, die mich unterstützt haben damals, in diese Richtung weiterzumachen. Aber ich habe dabei natürlich auch viele andere Sachen auf der Strecke gelassen und hab mich voll darauf konzentriert, Musiker zu werden."

Mit nur 22 wird Pahud Erster Flötist bei den Berliner Philharmonikern. Er ist weltweit der einzige Flötist mit einem Exklusivvertrag bei einer großen Plattenfirma. Seit zehn Jahren flötet er für EMI Tonträger ein, die sich meist in Gold verwandeln. Auch weil der smarte Mann gekonnt für Plattencover und Zeitschriften posiert, fleißig Interviews gibt und nach jedem Konzert CDs signiert. Diese Tätigkeiten mag er zwar nicht besonders, wie er sagt:

"Andererseits möchte ich auch nicht abwesend sein, denn es ist mir bewusst: da ist ein Produkt, das soll auch verkauft sein."

Was die Vermarktung seiner Produkte angeht, scheint Emmanuel Pahud innerlich ein wenig zerrissen.

"Ich glaub, wenn etwas stark und gut ist, der musikalische Inhalt von einem Stück ist doch eine Botschaft, ein Schrei, da braucht man nichts zu vermarkten. Es macht dann den Darsteller wichtiger als die Kunst, und das ist gegen die Kunst."

Pahuds außergewöhnlicher Erfolg basiert einerseits auf musikalischem Können und Disziplin, aber eben auch auf seiner persönlichen Ausstrahlung. Beim Kammermusikkonzert in Dortmund scheinen seine drei Kollegen ans Notenpult gefesselt. Pahud hingegen wirft immer wieder charmante Blicke ins Publikum, er tänzelt auf der Bühne, in Spielpausen streichelt er den Schaft seiner Flöte. Den donnernden Applaus scheint er zu inhalieren. In Künstlerkreisen nennt man so jemanden Rampensau.

"Ich brauche auf jeden Fall die Energie vom Publikum, diese Atmosphäre. Ich pass mich total an die Leute an, die da sind, was das für ein Publikum ist. Aber ich darf nicht einfach zu meinem eigenen Vergnügen da auf der Bühne was darstellen oder gar simulieren, und dabei hoffen, dass die Leute mich bewundern. Das empfinde ich als sinnlos."

Publikum und Musikkritiker lieben Emmanuel Pahud gleichermaßen. Sie bejubeln Pahuds Ausdruckskraft, preisen seine "perfekte Atem- und Fingertechnik", beschreiben seine Konzerte gar als "Erlebnis fürs Leben". In der Presse gibt es keine einzige negative Zeile über ihn. Als "Pan des 21. Jahrhunderts" wurde Pahud schon betitelt. Bei jedem seiner Auftritte sind die Erwartungen extrem hoch, vor allem seine eigenen.

"Ich bin immer kritischer. Dabei versuch ich mich immer zu steigern, nicht lauter oder leiser zu spielen, sondern besser, genauer, beziehungsweise genau den Ton zu treffen, um die Leute da mitzunehmen, wo der Komponist das möglicherweise auch gemeint hat. Das ist meine Mission, meine Aufgabe."

Ob Bach, Debussy oder Pintscher, der sogar eigens Werke für Pahud komponiert, er spielt virtuos Klassik von Barock bis Neuzeit. In seiner Freizeit hört er allerdings lieber Jazz als Klassik. Viel Freizeit hat er aber nicht. Mehr als 150 Auftritte absolviert Pahud pro Jahr in aller Welt, dazwischen besucht er seine beiden kleinen Söhne in Genf oder spielt neue CDs ein. Obwohl er erst 36 ist, hat er schon Angst vorm Ruhestand.

"Es ist üblich, dass bei Flötisten mit fünfzig, Mitte fünfzig ein Alterungsprozess einsetzt, relativ schnell, und dass man relativ schnell die Kontrolle verliert. Ich hoffe nur, dass ich das rechtzeitig spüre, und lieber meine Fangemeinde damit enttäusche, dass ich etwas früher aufhöre, als zu spät."