Fledermausjäger im Forscherparadies
Auf der Insel Barro Colorado kommen seit 90 Jahren Wissenschaftler aus aller Welt zusammen, um Flora und Fauna zu untersuchen. Darunter auch deutsche Fledermaus-Forscher. Sie finden hier ideale Arbeitsbedingungen.
Auf der Insel Barro Colorado kommen seit 90 Jahren Wissenschaftler aus aller Welt zusammen, um Flora und Fauna zu erforschen. Auch deutsche Fledermaus-Forscher. Sie finden hier ideale Arbeitsbedingungen.
Der Rucksack, in dem Thomas Hiller seine Ausrüstung in der Dämmerung zu einem guten Fledermausfangplatz trägt, ist mit 15 Kilo ganz schön schwer, aber das macht nichts. Der junge Biologe hat es nicht weit und der Pfad durch den sonst dichten Urwald ist gut ausgebaut. Das ist nur einer der vielen Vorteile der Forschungsinsel Barro Colorado, kurz BIC. Der Doktorand der Uni Ulm ist von Forschungsreisen nach Afrika ganz anderes gewohnt.
Hiller: "Man muss meistens einen Dryshipper mitnehmen, das ist ein Gefäß, in dem flüssiger Stickstoff transportiert werden kann, um eben die Proben kühl zu halten, was sehr umständlich ist. Das kann man sich hier auf BCI sparen, da der Minus-80-Kühlschrank in greifbarer Nähe ist."
Trotz des guten Weges ist der 28-jährige Biologe in der tropischen Schwüle Panamas nach kürzester Zeit nass geschwitzt. Über seinem Kopftuch trägt er eine Stirnlampe und an den Füßen Gummistiefel gegen die Schlangen. Auf der Forschungsinsel muss er sich nur auf seinen Exkursionen in den Wald mit solchen Widrigkeiten herum schlagen.
"Wir waren in Ghana mit Hängematte und Auto unterwegs und mussten abends selber kochen, mittags selber kochen, mit einem Gaskocher irgendwo im Feld und eben in der Hängematte übernachten und hoffen, dass es nicht regnet. Und hier hat man zwei warme Mahlzeiten am Tag, hat Frühstück, man hat Betten mit Ventilator im Zimmer. Es ist einfach traumhaft."
Fledermausfallen am Bachlauf
Über einem kleinen Bachlauf stellt Thomas Hiller sein Fangnetz auf. Die Fledermäuse fliegen hier in der Dämmerung besonders gerne entlang. Für seine Doktorarbeit untersucht er, wie Viren zwischen verschiedenen Arten übertragen werden. Dazu muss er Fledermäuse einfangen und ihnen Kot-, Blut- und Gewebeproben entnehmen, die zunächst tiefgekühlt und dann später in Deutschland ausgewertet werden. Um auf Barro Colorado Fledermäuse fangen zu dürfen, musste der Forschereine ausführliche Projektbeschreibung einreichen und nachweisen, dass er damit Erfahrung hat.
"Und dass eben die Arbeit mit den Tieren keinen Schaden den Tieren zufügt. Das ist einer der wichtigsten Punkte gewesen. Dass es zwar invasives Arbeiten ist, wenn man die Tiere fängt, allerdings sie an Ort Stelle wieder frei lässt, ohne bleibenden Schaden zu verursachen."
Darüber, welche Forschungsprojekte auf Barro Colorado durchgeführt werden dürfen, entscheidet Oris Acevedo. Die Biologin leitet seit 21 Jahren die Station des Smithsonian Tropical Research Institutes und hat im Laufe der Zeit Wissenschaftler aus über 60 Ländern beherbergt.
Daten aus über 90 Jahren intensiver Forschung
"Was BCI so besonders macht, ist die Masse von Informationen, die es über diesen Wald gibt. Wir sprechen von über 4.000 Studien, die hier gemacht wurden. Dieser Wald ist viel besser erforscht als andere Wälder."
Ein guter Teil der hier gesammelten Daten steht den Wissenschaftlern, die hier her kommen, zur Verfügung, so dass die Forscher leicht auf die Arbeit ihrer Vorgänger aufbauen können. Das sind Daten aus über 90 Jahren Forschungsarbeit.
Die Insel war bis 1908 eine Bergspitze. Für den Panamakanal wurde ein ganzes Tal geflutet, dabei entstanden im Gatunstausee eine ganze Reihe Inseln – die größte davon ist Barro Colorado.
Acevedo: "Als der Kanal gebaut wurde, sah der damalige Gouverneur die Notwendigkeit für zukünftige Genrationen einen Platz zum Forschen zu schaffen. Er schlug vor, diese Insel zu einem geschützten Gebiet zu erklären und sie der Forschung zu widmen."
Bis auf die Unterkünfte für die Wissenschaftler, einige Labore, Verwaltungsbüros und den Esssahl ist die 15 Quadratkilometer große Insel vollständig naturbelassen. Auf dieser relativ kleinen Fläche findet dennoch sich eine unglaubliche Artenvielfalt.
Acevedo: Wir haben mehr als 1000 verschieden Insektenarten, fünf Affenarten, zwei Faultierarten, Tapire, mehr als 350 Vogelarten.
Dazu kommen Wildkatzen, Fledermäuse, Nagetiere und natürlich unzählige Pflanzen – auf der Forschungsinsel wurden alleine 300 Baumsorten gezählt. Die Infrastruktur der Insel in Schuss zu halten, ist eine aufwendige Angelegenheit. Wenn die Gebäude und Wege nicht ständig gepflegt werden, verfallen sie in der tropischen Hitze schnell. Das alles ist teuer.
Acevedo: "Ein Student bezahlt hier pro Tag 47 Dollar. Dafür bekommt er Unterkunft und Verpflegung, darf die Labore und sein Büro benutzen und mit den Booten fahren. Das ist ein hochsubventionierter Preis. Aber wir sind kein Unternehmen, wir sind eine Forschungseinrichtung. Unsere Mission ist die Wissenschaft."
Überall auf der Insel stößt man auf Experimente
Die Gelder für den Betrieb der Forschungsinsel kommen hauptsächlich aus den USA, von privaten Spendern, von Unternehmern und vom Staat. Für einen Doktoranden wie Thomas Hiller, der für zwei Jahre auf Barro Colorado forscht, sind umgerechnet 35 Euro pro Tag immer noch zu viel. Sein Aufenthalt wird aus Mitteln seiner Universität in Ulm finanziert.
Der Fledermausforscher kontrolliert sein Netz. Ein Tier hat sich darin verfangen.
"Das erste, was man machen muss, ist schauen, von welcher Seite die Fledermaus ins Netz geflogen ist."
Das ist notwendig, um die Fledermaus schnell und behutsam befreien zu können. Thomas Hiller passt auf, dass er dabei nicht gebissen wird.
"Ja, ja, ist ja gut. Haben wir dich doch. Komm, lass los. Die hat spitze Zähne. Das ist jetzt eine der fruchtfressenden Fledermäuse. Hat die Streifen im Gesicht, ein Nasenblatt. Und da kommt sie in den Beutel."
Die Fledermaus beißt in den Stoffbeutel. Das beruhigt, meint der Doktorand und macht sich an den Aufstieg zu vom Bach zu einem kleinen Häuschen, in dem ein Generator summt. Er versorgt die Messgeräte eines Langzeitexperimentes der Uni Potsdam mit Strom. Überall auf der Insel stößt man auf Experimente, in denen teils über Jahrzehnte Pflanzenwachstum oder Regenmengen aufgezeichnet werden.
Hiller: "Es gibt hier auch wissenschaftliche Angestellte, die für die Messungen angestellt sind, dass jetzt nicht immer jemand von den anderen Universitäten hier ist. Deswegen ist es möglich, dass es Projekte gibt, die über mehrere Jahre laufen."
Jetzt ist aber die kleine Fledermaus dran.
"Das war ein Hatibeus Literatus. Der wiegt mit Beutel 94 Gramm. Jetzt nehm ich die Fledermaus aus dem Beutel heraus. Vorsichtig, dass sie nicht abhaut. Hier ist sie, das ist ein Weibchen. Der leere Beutel wiegt 23 Gramm."
Fangnetze flicken als Sisyphusarbeit
Thomas Hiller vermisst die Flügelspannweite, bestimmt das Alter und diktiert alles seiner Feldassistentin Elena Krimmer. DieStudentin macht auf BCI ein Praktikum und wurde zugleich als wissenschaftliche Hilfskraft der Uni Ulm nach Panama entsendet.
Krimmer: "Für mich war das die Chance, mal was ganz anderes zu machen. Mal in die Tropen zu kommen, richtig ökologisch mit Säugetieren zu arbeiten. Und das hat mich sehr gereizt."
Zu Elenas Aufgaben gehört auch die Eingabe der erhobenen Daten in den Computer und das Nähen der Stoffbeutel. Die meiste Zeit geht allerdings für das Flicken der Netze drauf.
"Wenn die Fledermäuse gefangen werden, dann werden sie ein bisschen aggressiv und beißen halt so viel sie können. Und dann gehen natürlich Löcher in die Netze. Und da diese Netze nicht ganz unwertvoll sind, versuchen wir die halt so gut wie möglich zu flicken, was natürlich ein bisschen eine Sisyphusarbeit ist."
Um Verbrauchsmaterialien wie Netze oder Gefäße muss sich jeder Forscher selber kümmern, und wer immer den Fledermausforscher aus Deutschland besucht, bringt eine Tasche voll davon mit.
Neue Forschungsprojekte bahnen sich an
Für Thomas Hiller ist die Insel Barro Colorado nicht nur wegen der guten Infrastruktur ein idealer Forschungsplatz, sondern auch, weil er hier junge Wissenschaftler aus aller Welt und unterschiedlichsten Fachrichtungen kennen lernen und sich mit ihnen austauschen kann.
"Wenn man dann abends zusammen sitzt, kommt man im Gespräch über die Arbeit oder Erlebnisse im Wald auf die tollsten Möglichkeiten für Kooperationen. Man findet immer wieder Überschneidungen, wo jetzt normalerweise nicht daran gedacht wird, dass es fachübergreifend Möglichkeiten gibt, eine Forschung zu verbinden."
Schon so manches große internationale Forschungsprojekt hat auf Barro Colorado seinen Anfang genommen. Thomas Hiller hat erst letzte Woche festgestellt, dass er und eine Panamaerinein ähnliches Thema in ihrer Masterarbeit behandelt haben und die beiden haben beschlossen, daran gemeinsam weiter zu forschen.
"Es ist auf jeden Fall vor allem auch für junge Leute, eine Supermöglichkeit, Kontakte zu anderen Forschern zu knüpfen, zu anderen Instituten zu knüpfen und dadurch Forschungsgemeinschaften für die Zukunft aufzubauen. "
Thomas Hiller nimmt von seiner Fledermaus 123 Kot-, Gewebe- und Blutproben und sammelt eine Zecke ein. 377 Tiere fehlen ihm noch, er hat noch ein Jahr auf der Forschungsinsel um sie fangen und zu untersuchen. Für die Auswertung der Daten und das Schreiben der Arbeit hat er noch mal ein Jahr eingeplant. Dieses Fledermausweibchen hat ihren Dienst für die Wissenschaft erledigt.
Krimmer: So, dann können wir sie ja frei lassen, oder? Da fliegt die schon von alleine weg.
Aber für Thomas Hiller geht es mit der Forschung erst noch richtig los.