Bilanz von Corona

Die Krisenverlierer müssen entlastet werden

Ein 3D-Rendering zeigt ein Paternoster.
Metapher für die ökonomische Spaltung der Gesellschaft: Viele fuhren in der Coronakrise mit dem Paternoster nach unten, während es für wenige Reiche nach oben ging, meint Christoph Butterwegge. © imago / Westend61
Ein Standpunkt von Christoph Butterwegge · 02.06.2022
Wie ein sozialer Paternoster: So beschreibt der Armutsforscher Christoph Butterwegge die Wirkung der Pandemie. Nach unten ging es vor allem für die, denen es schon vorher schlecht ging. Er fordert, die Krisengewinnler nun zur Kasse zu bitten.
Wem hat die Covid-19-Pandemie schwer geschadet, und wem hat sie genützt? Jetzt, da die unmittelbare Bedrohung durch das Virus etwas abgeklungen ist, muss diese Frage beantwortet werden! Und das nicht in einem verschwörungstheoretischen Sinn, sondern nüchtern, klar und aufgrund valider Daten. Was zeigen sie?
Die Coronakrise hat wie ein sozioökonomischer Paternoster gewirkt: Viele fuhren nach unten, wenige nach oben. Es gab viele Verlierer der Pandemie, die ärmer wurden, und einige Krisengewinnler, die reicher geworden sind. Aufgrund der Pandemie selbst, der von ihr mit ausgelösten Wirtschaftskrise sowie der unausgewogenen Finanzhilfen des Staates sind die Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Menschen weiter auseinandergedriftet. Darüber täuscht auch die „Gemeinsam gegen Corona“-Rhetorik nicht hinweg.

Die Schwachen als Hauptleidtragende

Hauptleidtragende, weil überwiegend einkommens- und immunschwach, waren: Wohnungs- und Obdachlose, Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige, Suchtkranke, Sexarbeiterinnen, Erwerbslose, Geringverdiener, Kleinstrentnerinnen und Transferleistungsbezieher sowie die Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften, etwa Strafgefangene, Geflüchtete, osteuropäische Werkvertragsarbeiter deutscher Großschlachtereien bzw. Fleischfabriken und Saisonarbeiter. Diese Aufzählung ist sicher unvollständig.
Die durch das Coronavirus ausgelöste Unterbrechung von Lieferketten und die Zerstörung von Vertriebsstrukturen, der Verlust von Absatzmärkten sowie die als Reaktion auf die Pandemie behördlich verordnete Schließung von Geschäften, Gaststätten, Hotels, Diskotheken, Clubs, Kinos, Theatern und anderen Kultureinrichtungen hatten zahlreiche Betriebsaufgaben und Entlassungen zur Folge.
Am härtesten traf es kontaktintensive Dienstleistungsbranchen, in denen viele Geringverdiener arbeiten: Genannt seien Friseurinnen, Fußpflegerinnen und Beschäftigte in Fitnessstudios. Auch diese Aufzählung ist sicher unvollständig.

Reiche haben am meisten profitiert

Ob ein Unternehmer oder ein Privatinvestor durch die Pandemie reicher wurde, hing entscheidend von dem Wirtschaftszweig ab, in dem er sich engagiert hatte.
Während die Gastronomie, Touristik und Luftfahrtindustrie starke Gewinneinbußen verzeichneten, realisierten die Großkonzerne krisenresistenter Branchen in der Coronakrise sogar Extraprofite: Lebensmittel-Discounter, Drogeriemärkte, Versandhandel, Lieferdienste, Digitalwirtschaft und Pharmaindustrie stachen hervor.
Es machte einen großen Unterschied, ob man einen Baumarkt oder einen Messebaubetrieb, ja sogar, ob man ein Kino oder ein Autokino besaß.
Zu den Hauptprofiteuren des pandemiebedingten Krisendesasters gehörten einige der kapitalkräftigsten Unternehmen mit den reichsten Eigentümern. Sie hatten den Nutzen davon, dass die durch Kurzarbeit, Bankrott und Erwerbslosigkeit klammen Familien vermehrt bei Lebensmittel-Discountern einkauften, wodurch die ohnehin zu den vermögendsten Deutschen gehörenden Besitzer von Ladenketten wie Aldi, Lidl und Kaufland noch reicher geworden sind.
Zu resümieren bleibt, dass Arme, sozial Benachteiligte und Menschen ohne Vermögen die Verlierer der Coronakrise waren, einige Reiche, Unternehmer und Kapitaleigentümer hingegen als Gewinner daraus hervorgegangen sind.
Zuletzt verstärkte der inflationäre Preisauftrieb, den gestörte Lieferketten, gestiegene Transportkosten sowie fehlende Rohstoffe und Vorprodukte mit verursacht haben, den sozioökonomischen Paternostereffekt.

Umverteilung gegen die wachsende Ungleichheit

Um diesen zu brechen, müsste eine Umverteilung des privaten Reichtums von oben nach unten stattfinden. Denn gegen die wachsende Ungleichheit hilft nur mehr Geld für die Leidtragenden der Pandemie, das die Profiteure in Form höherer Kapital- und Gewinnsteuern aufbringen könnten.
Statt „Gemeinsam gegen Corona!“ sollte die Devise lauten: Keine weitere Spaltung unserer Gesellschaft durch Verlagerung der Pandemiekosten auf Menschen, die schon das Virus stärker getroffen hat als Wohlhabende!

Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Kürzlich ist sein Buch „Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona“ bei Beltz Juventa erschienen.

Das Bild zeigt Christoph Butterwegge in Köln
© picture alliance / Geisler-Fotopress

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