Alles schon mal da gewesen
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Sperrstunden, Beherbergungsverbote, Kontaktbeschränkungen: All das ist in der Geschichte der Pandemien nichts Neues, sagt der Medizinhistoriker Philipp Osten. Unsere Corona-Maßnahmen unterscheiden sich kaum vom Seuchenschutz der Kaiserzeit.
Angesichts der Corona-Pandemie wird häufig von "historischen Zeiten" gesprochen, als wäre das, was wir derzeit erleben, etwas noch nie Dagewesenes. Aber neu ist daran nicht viel, nicht einmal die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Corona-Pandemie getroffen werden.
Wenn wir dennoch das Gefühl einer historischen Dimension haben, liegt das daran, dass wir es schlicht nicht mehr gewohnt waren, "dass es Krankheiten gibt, gegen die – sagen wir es salopp – kein Kraut gewachsen ist", sagt der Medizinhistoriker Philipp Osten, Direktor am Medizinhistorischen Museum in Hamburg.
Zur Eindämmung der neuen Pandemie müssten wir zudem mit Methoden vorgehen, "die sich von den Seuchenschutzverordnungen der Kaiserzeit nur in Nuancen unterscheiden und von den Pestordnungen der frühen Neuzeit eher graduell", betont Osten. "Denn die Maßnahmen sind ganz ähnlich: Man versucht, die Grenzen zu schließen. Man versucht, die persönliche Freiheit einzuschränken. Man versucht, die Menschen in Quarantäne zu stecken."
Auch Sperrstunden und Beherbergungsverbote gebe es schon sehr lange. Bereits in den Pestordnungen fänden sich diese Maßnahmen, so der Medizinhistoriker. Aber auch bei der Pockenepidemie, die Danzig im Jahr 1833 heimsuchte.
"Da war das dann so, dass man dann Schilder mit der Aufschrift Pockenpest an den Häusern anbrachte, wirklich Polizisten vor die Tür stellte, selbstverständlich alle Festivitäten einstellte, Zusammenkünfte verboten hat, als eine Pockenepidemie auf Danzig zurollte."
Onlineprojekt sammelt Coronazeit-Erinnerungen
Auch im alltagskulturellen Umgang mit Corona sieht Osten Parallelen zu früheren Pandemien: "Da gibt es so – man nannte das apotropäische Zeichen – also Zeichen, um etwas abzuwehren. Neulich fuhr ich neben einem amerikanischen Straßenkreuzer, der hatte an seinem Rückspiegel ein großes Coronavirus hängen." Der Medizinhistoriker vergleicht das mit den Votivgaben früherer Zeit, wo man zum Beispiel kranke Organe abgebildet und in die Kirchen getragen habe.
Bereits im Frühjahr hat das von Osten geleitete Medizinhistorische Museum dazu aufgerufen, Erinnerungsobjekte an die Coronazeit zu sammeln, aufzubewahren oder online im "Coronarchiv" zu teilen: Dort finden sich Videos, Kinderzeichnungen, Alltagsgegenstände wie Kontaktformulare aus der Gastronomie oder Fotos von Schildern, die zum Abstandhalten auffordern.
Denn trotz aller historischer Parallelen nehme er an, "dass das eine Zeit ist, an die man sich erinnern wird wie an die Cholera in den 1830er-Jahren", sagt Osten.
(uko)