Pandemie-Tagebücher

Gemeinsamer Rückblick auf einen Ausnahmezustand

11:12 Minuten
Eine Person schreibt mit einem Kugelschreiber in einem linierten Buch
Wie geschätzte Autorinnen ein Verhältnis zu den Herausforderungen der Pandemie artikulieren, ist aus mehreren (Tage-) Büchern zu erfahren. © Unsplash / Lil Arts
Li Gerhalter im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Prominente Autorinnen haben Tagebücher über die Coronazeit veröffentlicht. Um private Einblicke gehe es dabei jedoch kaum, sagt die Historikerin Li Gerhalter.
Carolin Emcke, Marlene Streeruwitz oder Marica Bodrožić: Sie und viele weitere prominente Autorinnen haben Tagebücher über die Coronazeit im letzten Jahr veröffentlicht. So werden die Bücher zumindest vermarktet.
Um klassische Tagebuchaufzeichnungen gehe es hier allerdings nicht, erklärt die Historikerin Li Gerhalter. Als stellvertretende Leiterin der Sammlung Frauennachlässe an der Universität Wien zählen Tagebücher zu ihrem Forschungsschwerpunkt.
Vielmehr handle es sich bei den aktuellen Veröffentlichungen eher um "literarische Texte, die wie ein Tagebuch komponiert sind", sagt Gerhalter. Einige waren auch schon 2020 in Zeitungen veröffentlicht wurden, so etwa die Kolumnen von Carolin Emcke und Marlene Streeruwitz.
Deren Texte waren also bereits von vornherein an die Öffentlichkeit gerichtet und stellen somit keine privaten Dokumente dar - auch, weil sich die Autorinnen bereits im Diskurs eine "zivilgesellschaftliche Stimme erarbeitet" haben und so auch wahrgenommen werden. Insbesondere Emcke verstehe ihre Texte als öffentliche Interventionen, die das aktuelle Tagesgeschehen der im Jahr 2020 noch neuen Pandemiesituation immer auch in einen globalen Kontext setzen, so Gerhalter.

Die Aussicht auf ein Geheimnis

Dass die Bücher als Tagebücher vermarktet werden, mag letzten Endes auch einfach eine Verlagsentscheidung gewesen sein, vermutet Gerhalter. Das Wort "Tagebuch" verschaffe immerhin viel Aufmerksamkeit: Es nähre die Aussicht auf "persönliche Einblicke in das Leben der Schreiberinnen, vielleicht sogar ein kleines Geheimnis, jedenfalls irgendetwas Privates."
Interessant seien die vorliegenden Bücher allerdings wohl eher, weil sie einen gebündelten Einblick darin verschaffen, wie geschätzte Autorinnen ein Verhältnis zu den Herausforderungen der Pandemie artikulieren. Das sei auch an die Erfahrungen zumindest des bildungsbürgerlichen Lesepublikums anschlussfähig: Möglicherweise handele es sich auch um "das Moment einer Kollektivierung von Erfahrung", so die Historikerin.
(mle/thg)
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